Herzstillstand - na und? Kürzlich wurde Herr Perez bei uns in der Klinik operiert. Ein junger Typ, 22 Jahre alt. Ihm stand eine Knie-OP bevor und er war ziemlich nervös, als es losging. Während der Narkosevorbereitung hatte er dann einen kurzen Herzstillstand. Eigentlich doch nichts Besonderes … oder doch
Wie unterschiedlich ein Ereignis aufgenommen werden kann, zeigt mir eine Situation mit Herrn Perez. Herr Perez kommt schon ziemlich nervös in den OP. Er hat eine Knieoperation vor sich, im zarten Alter von 22 Jahren. Es ist seine erste Operation und er versucht, seine Angst mit Scherzen zu überspielen.
Wir kennen die Situation und können ihn gut abholen und beruhigen. Ich klebe die EKG-Elektroden, montiere Blutdruckmanschette und Sauerstoffclip. Der Pfleger legt die Infusion. Die Werte sind okay, der Puls ist mit 47 nicht berauschend, aber bei einem sportlichen, jungen Patienten durchaus im Rahmen. Wir legen noch einen Femoraliskatheter, einen Schmerzschlauch in der Leiste. Kurz nach Anlage des Schmerzkatheters, als wir gerade die allerletzten Vorbereitungen für die Vollnarkose treffen, bimmelt der Monitor.
Bimbim, Herzfrequenz auf 37, Blutdruck 90/67.
„Hallo, hören Sie mich?“
Ich gebe ein Medikament und beobachtete die Werte. Der Puls sinkt weiter, bis er schließlich bei Null ist. Ups. „Herr Perez, hören Sie mich?“
Herr Perez schaut mich aus den Augenwinkeln verärgert an. „Mir ist komisch“, sagt er, während das EKG nach etwa vier Sekunden Flatline wieder einen ersten Herzschlag zeigt. Nach Gabe eines weiteren Medikaments sind sowohl Blutdruck als auch Puls in einem völlig bequemen Rahmen. Wir beobachten den Verlauf der Werte über ein paar Minuten, bis die Oberärztin dann schließlich das Okay für die Einleitung der Narkose gibt. Die Narkose selber verläuft völlig problemlos.
Am Nachmittagsrapport erzählen wir dann jeweils, was wir an diesem Tag Spezielles erlebt haben. Ich erzähle vom kurzen Herzstillstand des Patienten. Die Runde nickt, denkt an selbst erlebte ähnliche Vorkommnisse, erzählt, wie sie das gehandhabt haben. Beunruhigt ist deswegen niemand.
Dem Patienten erkläre ich alles
Kurz darauf gehe ich noch auf der Station vorbei. Herrn Perez geht es tipptopp. Er erinnert sich daran, sich kurz unwohl gefühlt zu haben, kann es aber nicht genau beschreiben. Ich erkläre ihm den ganzen Vorfall und versichere ihm, dass dies weder unüblich noch besorgniserregend ist. Er erzählt, er habe sich komisch gefühlt, als wäre da ein Druck in der Brust. Nach kurzer Zeit sei das Gefühl wieder weggegangen.
„Ist ja voll krass“, ist sein Kommentar dazu. Wir reden eine Weile, er scheint zu verstehen. Den Schmerzkatheter findet er gut, er hat kaum Schmerzen. „Hat sich gelohnt“, findet er.
Und jetzt noch zu den Chirurgen …
Zuletzt fehlt noch ein Abstecher zu meinen chirurgischen Kollegen. Ich setze mich zur Assistenzärztin und erzähle ihr von dem Vorfall. Sie und ihre Stationskollegin sind absolut entsetzt. „Und das sagst du mir jetzt erst?" „Na, ist ja nix passiert. Das waren vier Sekunden, alles in Ordnung.“ „Ja, aber das muss ich doch wissen! Muss der jetzt auf die Intensivstation? Muss ich ein EKG machen? Der ist seit vier Stunden hier auf Station!“ Ich erkläre ihr, dass sie gar nichts machen muss, dass es dem Patienten wunderbar geht und ich den Vorfall ausführlich mit ihm besprochen habe. Dass dies absolut keine Konsequenzen hat. Sie lässt sich bei weitem nicht so schnell beruhigen wie der Patient.
Eine Geschichte, drei Perspektiven
Wir sehen solche Pausen gelegentlich bei allem, was Nadeln beinhaltet. Sei es nur die Venenkanüle oder der Schmerzblock – gerade junge, männliche Patienten sind da anfällig. Praktisch nie hat so ein Vorfall irgendeine Konsequenz und ich gehe davon aus, dass es nicht so selten vorkommt. Meist merkt man es aber nicht, weil Patienten gerade bei Blutentnahmen ja nicht ans EKG angeschlossen sind. Soweit zumindest meine Theorie.
Dennoch: Für mich ist alles halb so schlimm. Für den Patienten ist es im besten Fall eine „krasse“ Geschichte, die er seinen Kollegen erzählen kann. Für den Chirurgen ist es ein Herzstillstand. Drei völlig unterschiedliche Perspektiven.