Best of Blogs | Frau Buchholz-Mittfeldt und ihre anstrengenden Kinder sowie Herr Bauer und Frau Leipinger hatten bei uns Termine vereinbart. Aktuell ist das Wartezimmer leer gefegt. Keiner ist gekommen und niemand hat Bescheid gesagt. Aber das passiert mir nicht noch einmal.
Der Vormittag war die Hölle. So viele Menschen haben die Infektwelle im Herbst voll mitgenommen. Die Hausärzte haben schon kapituliert und schicken die Patienten mit Infekten der oberen Atemwege zu mir. HNO-Hausärztliche Sprechstunde. Nach sechs Stunden Akkord-Arbeit jetzt schnell nach Hause, Mittagessen, Durchschnaufen. Gleich geht es wieder weiter. Bestimmt bis in den Abend.
Auf dem Weg zur Mittagspause schaue ich noch rasch auf den Einbestell-Plan. Familie Buchholz-Mittelfeldt kommt um 15 Uhr. Mutter, drei Kinder und ein Gespräch darüber, ob die Kleine schon wieder Röhrchen braucht. Angesetzte Zeit: ca. 45 Minuten. Könnte eng werden, weil Frau Buchholz-Mittfeldt, obwohl nach mittlerweile fünf derartiger Operationen ihrer drei Kinder schon Expertin, alles noch ein mal neu erfragt. Ach ja, und an Gehörschutz denken.
Schreibtischaufräumen und durchatmen
Die Kinder sind laut. Schreibtisch leer räumen, alles muss spiel- oder besser sportplatzgerecht sein. Die Kinder sind schwer zu bändigen und die freundliche, aber meist komplett erfolglose Art der Mutter, argumentativ auf die Kinder einzuwirken, ist nur theoretisch pädagogisch sinnvoll. Mein Inventar kann davon schon ein Lied singen.
Aufgetankt stelle ich mich der Nachmittagssprechstunde. Vor der Anmeldung hat sich eine Menschentraube gebildet und meine Sprechstundenhilfe sortiert in bewundernswerter Ruhe und Sachlichkeit die Dringlichkeit der Terminvergabe.
Rasch umziehen und Durchatmen für Familie Buchholz-Mittelfeldt.
Auf meinem Bildschirm ist die Wartezimmerliste leer. Dann kann ich ja noch schnell die Anfragen der Versicherungen, des Landesamts, der Berufsgenossenschaft bearbeiten, bevor das Fach überläuft.
Draußen wird es ruhiger
„Moni, spinnt mein PC wieder? Ich habe niemanden auf der Liste!“, frage ich um zwanzig nach drei, stecke vorsichtig meinen Kopf aus der Tür und sehe einen leeren Eingangsbereich. Meine Sprechstundenhilfe sitzt mit den beiden anderen Helferinnen am Tresen.
„Nö, noch keiner da. Herr Bauer und Frau Leipinger fehlen auch noch“, antwortet Moni. Herr Bauer sollte einige Untersuchungen für eine Hörgeräteverordnung durchlaufen und Frau Leipinger den Schwindeltest.
„Wenn ich das gewusst hätte. Die Leute eben habe ich auf die Notfallsprechstunde heute Abend vertröstet.“
Und so blieb die Praxis tatsächlich noch eine halbe Stunde verwaist.
Sind das Einzelfälle?
Die kommenden Tage habe ich mal darauf geachtet, wie denn so die Zuverlässigkeit und Termintreue meiner Patienten ist. Und Moni hat Buch geführt. Das Ergebnis war ernüchternd. Pro Woche werden um die 35 Termine nicht eingehalten und auch nicht abgesagt. Verspätungen kommen noch hinzu. Und ich hetze mich ab, pünktlich aufzurufen.
Wie geht ein Spagat zwischen wirtschaflichem Arbeiten durch volle Terminkalender und moderner Einbestellpraxis mit kurzen Wartezeiten? Wir nehmen uns nun die Airlines zum Vorbild: Jede Stunde buchen wir einen Patienten über.
Nicht erschienen – na und?
Am Abend habe ich übrigens Frau Buchholz-Mittfeldt angerufen. Auf meine Nachfrage reagierte sie empört. Sie hätte ja auch ein Leben und müsse sich um drei Kinder kümmern. Sie habe es eben nicht geschafft.
„Dann, Frau Buchholz-Mittfeldt, suchen Sie sich doch bitte einen anderen HNO-Arzt oder machen Sie in Zukunft Einzeltermine aus, damit die Löcher nicht zu groß werden, wenn Sie es mal wieder nicht schaffen“, hätte ich beinahe gesagt.