Mein Geständnis: Ich verdiene am Leid der Menschen. Ich bekomme Geld, weil es meinen Patienten schlecht geht, und ich gehe nach Hause, bevor alle Menschen im Ort gesund sind. Ist eine Arztpraxis ein Wohlfahrtsort oder Wirtschaftsunternehmen?
Als ich vor einigen Jahren die Praxis meines Vorgängers übernommen habe, war das Inventar natürlich nicht mehr auf dem neuesten Stand. Trotzdem war eine Zahlung in Höhe eines kleinen Einfamilienhauses notwendig. Mittlerweile habe ich fast alle Geräte ersetzt, damit fielen also weitere Kosten an.
Viele Geräte sind Bedingung für Kassenzulassung
Es gibt einige Gerätschaften, die ein HNO-Arzt vorweisen muss, wie zum Beispiel ein Audiometer, ein ENG, OAE, BERA, verschiedene starre und flexible Endoskope, Lupenlaryngoskop, Mikroskop. Schauen Sie gerne selbst mal im Internet, was eine neue Videonystagmographie mit entsprechendem PC und Hard- und Software so kostet. Dazu Lizenz- und Wartungsverträge. Die Gründe für den regelmäßigen Austausch der Geräte sind vielseitig: Sie sind defekt, sie haben keine Zulassung der Krankenversicherung mehr oder sie sind nicht kompatibel mit Windows 7.
Nun stand noch eine weitere Investition an: ein Ultraschallgerät. Kein Muss für einen HNO-Arzt, aber eine diagnostische Hilfe. Da ich gerne rasch eine Diagnose stelle und nicht immer zum Radiologen überweisen möchte, stand dieses Gerät auf meiner Wunschliste sehr weit oben. Aber kann ich es mir leisten? Ich zahle immer noch an den vielen anderen Krediten ab. Trotzdem thront es seit gestern auf meiner Behandlungseinheit, leicht erreichbar, nicht zu übersehen.
Der Laden läuft, oder?
Der letzte Patient meiner Notfallsprechstunde ist heute Herr Thimm, ein stadtbekannter und wirtschaftlich erfolgreicher Handwerker. Faire Preise bei stets sehr hochwertiger Arbeit, zuverlässig.
„Mensch, Dr. Fora!“, sind seine Worte beim Herausgehen. Gerade habe ich seine Ohrspeicheldrüse sonographiert. Das neue Gerät hat er sofort registriert. „Praxis voll und jetzt dieser neue tolle Kasten! Läuft, oder?“
„Naja, das ist schon eine ordentliche Investition gewesen“, entgegne ich.
„Aber das Wartezimmer ist doch immer voll bei Ihnen. Je mehr Patienten desto mehr Geld!“, grinst er mich an.
„Eigentlich nicht, ich habe ja ein Budget.“ Gestern hat mein Praxisprogramm ausgerechnet, dass ich im Januar schon fast die Hälfte des Budgets, das ich von der KV für dieses Quartal zugewiesen bekam, erfüllt habe.
„Ein was?“
„Ein Budget. Die Kassenärztliche Vereinigung legt vor Beginn des Quartals fest, wie viel Leistung ich erstattet bekomme. Meistens arbeite ich die letzten drei Wochen umsonst.“
„Ach, deswegen machen die anderen Praxen dann gerne zu. Sie arbeiten aber nicht nur umsonst, sondern bezahlen Ihre Helferinnen ja weiter. Also schreiben Sie eher rote Zahlen!“
„Wenn man das rein wirtschaftlich betrachtet … !“
„Ist Ihre Praxis etwa kein kleines Wirtschaftsunternehmen? Keine Patienten, kein Geld. Viele Patienten, aber eine Begrenzung. Was soll das? Wieso lassen Sie sich das gefallen?“
„Das müssen wir Kassenärzte eigentlich so machen. Von der Politik festgelegt.“
Ultraschallgerät als Goldgrube
„Mit diesem neuen Ding verdienen Sie doch aber bestimmt dazu, oder?"
„Was glauben Sie, wieviel ich für diese zusätzliche Untersuchung bekomme? Natürlich vorausgesetzt, ich befinde mich noch innerhalb meines Budgets?“, frage ich Herrn Thimm.
„Keine Ahnung. 100 Euro?“
Mir entfährt ein kurzer Lacher!
„80? 50?“
Ich schüttle lächelnd den Kopf.
„30? 10 Euro?“
„Zwischen 6 und 7 Euro.“
„Was? Warum kaufen Sie die Kiste? Das dauert ja Jahre, bis sich das rechnet.“
„Ich kann schneller Diagnosen stellen. Sonst hätten Sie eine Überweisung bekommen. Keine Ahnung, wann der Radiologe Ihnen einen Termin gegeben hätte.“
„Also bin ich mit meinem dritten Besuch bei Ihnen in diesem Monat echt geschäftsschädigend, was?“, sagt er ernüchtert. „Das können Sie doch auch nur einmal abrechnen.“
„Stimmt, rein wirtschaftlich gesehen, haben Sie Recht. Und das Medikamenten- Budget haben Sie auch schon überschritten. Das muss ich jetzt an anderen Patienten einsparen. So ist das System!“
„Und was zahlt ein Privatpatient für diese Untersuchung?“
„Das erste Bild ca. 27 Euro, die nächsten drei Bilder je 11 Euro.“
Quersubventionierung: PKV zahlt für GKV
Herr Thimm kann gut mit Zahlen umgehen. Das ist sein tägliches Werk. Er senkt seinen Kopf und nickt immer wieder. Er hat wohl verstanden, dass ich mir dieses Gerät nur leisten kann, weil sich ab und an auch mal ein Privatpatient in meine Praxis verirrt, obwohl ich kein Privatwartezimmer, keinen Jura-Kaffeeautomaten und keine eigenen Sprechzeiten für Privatpatienten anbiete. Ich nutze das Gerät aber natürlich auch für die Kassenpatienten, wie Herrn Thimm.
„Jetzt verstehe ich, warum Sie Privatpatienten brauchen. Dann können Sie sich das leisten und wir Kassenpatienten profitieren!“, sagt der Unternehmer abschließend und verläßt mit einem Rezept und Handschlag den Behandlungsraum. Von mir aus kann er bei seinen Kunden in der Schlossallee gerne Werbung für mich machen. Aber die gehen sowieso meist lieber in die Privatpraxis im Nachbarort.