Chirurgen sind die Ärzte fürs Grobe, Internisten werfen mit Fachbegriffen um sich und Kinderärzte haben von Medizin wenig Ahnung. Solche Klischees sind nicht tot zu kriegen. Doch Zeiten ändern sich. Jetzt gibt es eine neue Ärzte-Typologie: Von „Eifrigen Nerds“ bis zu „Portfolio-Ärzten“.
Anne Gulland aus London wirft im BMJ jetzt alle landläufigen Vorstellungen über den Haufen. Ihre Typologie von Ärzten des 21. Jahrhunderts setzt eher auf Interessen und persönliche Einstellungen. Dabei hat Gulland zwischen OP, Patientenstation und Verwaltung einige Phänotypen identifiziert:
Da wären zum Beispiel die technikaffinen Kollegen. Sie ärgern sich über unser Gesundheitssystem, bemängeln den fehlenden technischen Fortschritt und pflegen innige Kontakte zur hauseigenen IT-Abteilung. In ihrer Freizeit (naja, nicht nur dann) schmieden sie innovative Pläne. Um was es sich dabei eigentlich handelt, weiß niemand so genau.
Trotz ihrer Liebe zur Technik können sie Patienten untersuchen, Routineverfahren wie Blutentnahmen oder Infusionen durchführen und sogar die Kaffeemaschine bedienen. Vielleicht wirkt er oder sie dabei etwas abwesend. Das hat aber keine medizinischen Gründe, sondern liegt vielmehr am „Stealth-Mode“, sprich, der geheimen Produktentwicklung. Etwas Crowdfunding würde nicht schaden, um die App schneller in Richtung Marktreife zu katapultieren. Business Angels mit Risikokapital in der Tasche wurden auf den Klinikfluren aber noch nicht gesichtet.
Während App-Entwickler selten weiter als einen Steinwurf vom nächsten Computer (vorzugsweise ihrer Linux-Maschine) entfernt sind, lassen sich Portfolio-Ärzte schwerer dingfest machen. Nur Behandlungszimmer oder Büro sind ihnen zu wenig.
„Sie wollen mit Dr. Smith sprechen? Das könnte schwierig werden. Montags unterrichtet sie Studierende, und jeden zweiten Dienstag steht ein Meeting mit der klinischen Expertengruppe an. Mittwochs hat sie Home-Office, donnerstags frei, und freitags trifft sie sich immer mit der Forschergruppe Gesundheitsökonomie. Nein, diesen Dienstag sieht es auch schlecht aus. Da ist sie bei einem Kollegen, der eine Praxis zur Tattoo-Entfernung aufbauen will. Im März wäre es besser, oder wollen Sie morgen Früh einfach vor dem Büro warten? Vielleicht schreiben Sie gleich eine E-Mail.“
Wie Dr. Smith das schafft, bleibt Außenstehenden ein Rätsel. Sie ist beliebt, wird von allen geschätzt und hat nichts von ihrer früheren Begeisterung verloren.
Das kann man von ihren nerdigen Kollegen nicht gerade sagen. Schon im Hörsaal mochte niemand neben ihnen sitzen. Medizin hat doch so einen tollen Ruf, so einen hohen Status. Und so viele interessante theoretische Aspekte. Aber was zum Teufel machen eigentlich die anderen Ärzte und die Studierenden im Krankenhaus den ganzen Tag? Sie scheinen sich alle interessanten Fälle zu krallen. Und zu allem Überfluss ist der im eigenen Bereich zuständige Oberarzt noch länger krankgeschrieben.
Eigentlich wissen Nerds, dass sie diese nasogastrale Sonde nicht legen dürfen, aber wie sollten sie jemals üben? Und ja, dieser Mann brauchte eigentlich auch keinen Katheter. Okay, er hätte diesen Kaiserschnitt nicht durchführen sollen, aber Mutter und Baby geht es gut. Vielleicht sollte man doch noch über die Habilitation in einem rein molekularbiologischen Thema nachdenken. Zellen haben sich im Gegensatz zu den renitenten Patienten noch nie beschwert.
Derart kleinteiliges Gemecker ist den selbstgefälligen Kollegen fremd. Wenn schon jammern, dann bitte auf hohem Niveau. „So leicht haben wir es nun wieder auch nicht. Die Privatpraxis läuft nicht so gut, zumindest haben meine Frau und ich alle Hypotheken abgezahlt. Der Steuerberater meint, wir könnten noch eine Wohnung absetzen. Das sollten wir auch tun.“
Sie wundern sich, warum ihre Kollegen immer so gestresst, so müde sind. „Ich liebe meine Arbeit, aber was mich auf die Palme bringt, sind die jungen Ärzte. So lange Gesichter … beklagen sich immer über ihre Zeitverträge, ihre Nachtschichten und über die Kinderbetreuung.“
Mit Kommunikation haben auch die WhatsApp-Queens und -Kings so ihre Not. Wieso muss man eigentlich noch mit Kollegen reden, seit es diese Chat-App gibt? Dafür sind sie Mitglied in diversen WhatsApp-Gruppen mit Kollegen, speziell mit dem Trauma-Team (spannende Fälle!), das ist so hilfreich. Auch mit Studierenden, mit Freunden oder mit der Familie reißt der Kontakt nie ab. Wie dem auch sei, das Ding hat eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, heißt es. Eigentlich können sich der BND oder die CIA nicht mehr einklinken, sagt man. Datenschutz ist doch mehr für Spießer.
Schnell mal ein Bild an den überweisenden Kollegen schicken. Da sind ja nur die Initialen des Patienten drauf, alles gut. Mist, das ging jetzt aber an die falsche Adresse. Ausgerechnet an die Klasse des eigenen Sohnes. Ob sich da wieder jemand bei der Verwaltung beschweren wird?
Bleibt zu befürchten, dass die Kritik auf fruchtbaren Boden fällt. Eigentlich sollten in dem Bereich XY doch sowieso Stellen eingespart werden. Mal sehen, wie sich das im wöchentlichen Pensum unterbringen lässt.
Anne Gulland zeigt im Artikel nur einen Bruchteil der Charaktere in Krankenhaus und Praxis. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?