Kaliumpermanganat, Nitrate oder Ameisensäure – potenzielle Bombenbauer finden in Apotheken alles, was sie brauchen. Mitarbeiter sollen verdächtige Kunden laut Landeskriminalamt direkt bei der Polizei melden. Werden wir jetzt zu Hilfssheriffs im Kampf gegen den Terrorismus gemacht?
Neulich in der Apotheke: Ein Kunde wollte tatsächlich 1000 Milliliter 30-prozentiges Wasserstoffperoxid. Der PTA stockte schier der Atem. Vor ihrem geistigen Auge sah sie schon Anschläge auf Weihnachtsmärkten und sonstige terroristische Handlungen. Zusammen mit Aceton entsteht aus dem Bleichmittel Triacetontriperoxid, ein explosives Molekül.
Der Kunde war allerdings nur Jäger. Er benötigt 30-prozentiges Wasserstoffperoxid, um Schädel erlegter Wildtiere zu bleichen. Manche Verbände berichten zwar von Alternativen, etwa zwölfprozentigem Waserstoffperoxid bei höheren Temperaturen. Andere Experten starten Versuche mit Natriumpercarbonat plus Natriumperoxodisulfat in Waser. Ob das wirklich funktioniert, ist eine andere Frage.
Jäger oder Bombenbauer?
„Mit der 30-prozentigen Wasserstoffperoxid-Lösung ist das Bleichen des männlichen Schalenwildes, das wir verpflichtend bei den öffentlichen Hegeschauen in Bayern vorzeigen müssen, bestens möglich“, sagt ein Sprecher des Bayerischen Jagdverbands. „Die 12-prozentige Lösung wurde durch einige Jäger getestet. Das Feedback war durchweg sehr negativ, das heißt ein fachgerechtes einwandfreies Bleichen ist laut deren Aussage mit dieser Konzentration nicht oder nur sehr schwer möglich.“
Die ABDA hat sich dazu ebenfalls eine Meinung gebildet. 30-prozentiges Wasserstoffperoxid sei eigentlich gar nicht zum Bleichen von Schädeln erforderlich, schreibt der Verband mit Verweis auf das Veterinäranatomische Institut der Universität Leipzig. Jäger bringt das Hin und Her nicht wirklich weiter. Sie fordern jetzt eine Ausnahme.
Seit 27. Januar 2017 greift nämlich eine neue Chemikalienverbotsverordnung (ChemVerbotsV). Das Dokument sieht keine Ausnahmen bei Wasserstoffperoxid-Lösungen oder -zubereitungen über zwölf Prozent vor. Hintergrund ist die Verwendung von Wasserstoffperoxid für Bomben Marke Eigenbau. Bei anderen Oxidationsmitteln, etwa Kaliumpermanganat, Kaliumnitrat, Ammoniumnitrat und Natriumnitrat, greift eine Übergangsfrist bis Ende 2018. Danach ist die Abgabe an Endverbraucher untersagt. Es geht aber nicht nur um vermeintliche Terroristen.
Hobbyimker unter Verdacht
So mancher Hobbyimker kennt das Problem ebenfalls. Beim Kauf von 75-prozentiger Ameisensäure macht sich ein betretenes Schweigen am HV-Tisch bemerkbar – bereitet jemand möglicherweise einen Säureangriff vor? Imkern dient die Chemikalie jedoch zur sachgerechten Bekämpfung von Varroamilben.
Wenig erfreut reagieren Apothekenangestellte auch, falls ambitionierte Modellflieger Methanol ordern. Der Alkohol ist nicht nur ein bekanntes Gift, sondern auch der Brennstoff in kleinen Motoren. Für so manches Verdachtsmoment gibt es plausible Erklärungen.
Die Beispiele zeigen, dass Kunden immer stärker kriminalisiert werden: eine Tatsache, die durch Aufforderungen von Ermittlungsbehörden weiter befeuert wird.
Terrorverdacht vs. Schweigepflicht
Landeskriminalämter raten Mitarbeitern öffentlicher Apotheken nämlich, schon im Verdachtsfall die Polizei zu informieren. Dabei sollten Angestellte nicht nur versuchen, mögliche Täter zu beschreiben, sondern sich auch Kfz-Kennzeichen und Automarken einprägen. Ähnliche Hinweise kommen aus der Schweiz. Auch bei den Eidgenossen stehen mittlerweile 15 Chemikalien im Fokus der Ermittler. Ihre Sorge mag nicht unbegründet sein. Trotzdem beginnen sie, Apotheker zu instrumentalisieren.
Kollegen sollten auf der Hut sein. Sie haben jederzeit das Recht, Chemikalien oder Arzneimittel aufgrund von Bedenken nicht abzugeben. Ansonsten greift die Schweigepflicht: ein Gut, das in Deutschland extrem geschützt wird. Ausnahmen greifen nur beim rechtfertigenden Notstand. Das heißt, Chemikalien wurden schon abgegeben, aber es kommen im Nachhinein Zweifel, ob mit einer missbräuchlichen Verwendung zu rechnen ist. Ansonsten muss die Schweigepflicht gewahrt werden. Das trifft auch dann zu, sollten Polizisten Kundenkarten sehen wollen oder Interesse an Videoaufzeichnungen haben. Ohne richterliche Anordnung haben sie keinerlei Ansprüche auf Materialien.