Hypoglykämischer Schock. Eine Diabetikerin steht kurz vor der Bewusstlosigkeit. Ich bin hier diejenige mit dem größten medizinischen Wissen. Alle erwarten, dass ich das Richtige tue. Sofort. Dabei hab ich noch nicht mal verarbeitet, wie schnell es zu dem Notfall kam.
Vorgestern habe ich von einer etwas fehlgeleiteten Ersthilfe erzählt und meiner Freundin, die im Skilager ohnmächtig geworden ist. Ich denke, ich erinnere mich deshalb so gut an den Vorfall, weil ich ihn zum Anlass genommen habe, mich danach zum Nothelfer auszubilden. Seitdem konnte ich das Wissen schon häufig anbringen. Nicht jeder erlebt so ein prägendes Erlebnis. An der Uni hatten wir aber einen Professor, der alle Studenten vor folgendes Szenario gestellt hat.
Tu etwas!
Und dafür bin ich ihm wirklich dankbar:
Er hat die Klasse gefragt: „Also, was würdet ihr machen, wenn eine Patientin, die gerade ihr neues Dauerrezept für Lantus bringt, plötzlich sagt, dass sie sich schwach fühlt?“
Erst hatte niemand in der Klasse den Mumm zu antworten – es könnte ja die falsche Antwort sein.
Da hat der Professor das Ganze vorgespielt, indem er die Patientin verkörperte. Er lief direkt zu einer Studentin in der ersten Reihe und sagte: „Schnell, ich werde gleich ohnmächtig! Tu etwas!“
Und als die schockstarre Studentin nicht reagierte, lief er zu einem anderen Studenten und wiederholte es. Der Student sagte: „Ich rufe den Rettungsdienst!"
Das hörte sich nach einer guten Antwort an.
Professor: „Nein, ich bin Diabetiker, verflixt! Sie sollten das wissen, weil Sie gerade mein neues Rezept für Insulin bekommen haben.“
Andere Studentin: „Äh, ihr das Insulin verabreichen?“
Professor: „Oh nein, jetzt haben Sie mich in ein Koma versetzt!“
„Haben Sie denn Traubenzucker in der Apotheke, wo sie das Praktikum machen?“
Alle nicken. Natürlich haben wir das.
„Okay, das Problem der Patientin ist, dass ihr Blutzucker zu niedrig ist. Sie wird demnächst bewusstlos. Aber solange sie das nicht ist, gebt ihr das Traubenzucker, um den Blutzucker wieder hoch zu bekommen.“
Kollektives Versagen im Notfall
Na klar! Aber da es für viele von uns wohl das erste Mal war, dass wir mit der Geschwindigkeit, mit dem sich ein richtiger Notfall direkt vor unseren Augen entwickeln kann, konfrontiert wurden. Etwas, das man nicht aus Büchern lernen kann … In dieser Situation haben wir versagt.
Der „Schock“ dieser Lektion hat uns das bewusst gemacht. Wir konnten noch nicht richtig reagieren, auch aus Angst, das Falsche zu tun.
Und Situationen wie diese kommen im richtigen Leben vor und sind auch schon vorgekommen: in meiner Apotheke, während der Arbeit.
Ich habe da schon Herzinfarkte gesehen, Schrittmacher die nicht mehr richtig funktionierten, akute Asthmaanfälle, epileptische Anfälle und auch einen hypoglykämischen Shock, wie sie der Prof so anschaulich zeigte.
Genau in diesen Fällen muss man reagieren können.
Ich würdevorschlagen, dass im Pharmaziestudium mehr zum Thema „Richtiges Reagieren im Notfall“ gelehrt wird. Es ist ziemlich erschreckend, wenn in einem akuten Fall auf einmal alle auf einen schauen, weil man die Person mit dem größten medizinischen Verständnis im Raum ist. Aber es ist ein Unterschied, ob man die Theorie über die Vorgänge im Körper nur kennt oder auch weiß, wie man in so einer Situation richtig handelt.
Den Rettungsdienst zu rufen war eine gute Antwort. Aber noch besser ist es, etwas zu tun, während man auf ihn wartet.