Forscher des Karolinska-Instituts in Stockholm/S wollen herausgefunden haben, dass man bereits an Hand von Fotos feststellen könne, ob ein Mensch akut krank sei oder nicht. John Axelsson und sein Team injizierten Probanden standardisierte Colibakterien, um eine allgemein akute Entzündungsreaktion hervorzurufen. Die Kontrollgruppe bekam lediglich Placebo injiziert und wurde visuell verglichen.
Zwei Stunden nach den Injektionen wurden Fotos von allen Testpersonen angefertigt.
Eine zweite Probandengruppe sollte sich die Fotos wenige Sekunden lang anschauen, um zu beurteilen, ob die Abgebildeten akut krank oder gesund wirken würden. Angeblich wurden 81 Prozent von der Beurteilungsgruppe als erkrankt erkannt.
In einer weiteren Beurteilungsrunde wurden bestimmte akute Krankheitsmerkmale, die sich angeblich im Gesicht ablesen lassen, bestimmt: Blasse Lippen, bleiche Gesichtsfarbe, fleckige/glänzende Haut, hängende Mundwinkel, Schwellungen/rote Augen.
Aber die in der wissenschaftlichen Veröffenlichung angegebene Sensitivität von 52% und Spezifität von 70% bei der rein visuellen Identifikation von akuter Krankheit oder akut Kranksein auf Fotos sind kein Ruhmesblatt.
Denn dies bedeutet 30% bis 48% irreführende Fehldiagnosen über den allgemein akuten Krankheits- oder Gesundheitszustand o h n e jegliche Hinweise auf deren mögliche Ursachen! Von den positiven Erkennungen waren 775 richtig und 440 falsch positiv. ["Of these positive detections, 775 were true hits and 440 were false alarms, giving a sensitivity and a specificity for identifying sickness from photos of 52% and 70%"]
Bei der Publikation: "Identification of acutely sick people and facial cues of sickness" von John Axelsson et al.
http://rspb.royalsocietypublishing.org/content/285/1870/20172430
handelt es sich wie so häufig um eine Überinterpretation von Ergebnissen wissenschaftlicher Studien.
Eine der Ergebnisaussagen dieser Studie lautet zwar: "the raters could correctly discriminate 13 out of 16 individuals (81%) as being sick better than chance (the lower 95% CI range being above 0.5)".
Aber das ist nur der Griff in die statistische Trickkiste. Denn die Basis-Trefferquote bei binären Ja/Nein-Alternativen beträgt sowieso schon 50 Prozent. Somit kommt nur eine zusätzliche Trefferquote von 31 Prozent und nicht eine von 81% in Betracht.
Weitere Einzelheiten der Publikation:
"Material and Methods - Subjects received either an injection of LPS (Escherichia coli endotoxin, Lot HOK354, CAT number 1235503, United States Pharmacopeia, Rockville, MD, USA) at a dose of 2 ng kg−1 of body weight, or of placebo (0.9% NaCl) on two different occasions, separated by three to four weeks. LPS injection causes a transient and distinct systematic inflammatory response and sickness behaviour"...
"Detection of acutely sick individuals - The 62 raters gave 2945 ratings of sickness for the 32 different facial photos, of which 1215 (41%) were judged as being sick. Of these positive detections, 775 were true hits and 440 were false alarms, giving a sensitivity and a specificity for identifying sickness from photos of 52% and 70%, respectively; the global sensitivity index being d′ = 0.405. Signal detection analysis (ROC curve area) showed an area of 0.62 (95% CIs 0.60–0.63; 1.0 being a perfect discrimination and 0.5 being random). In addition, the raters could correctly discriminate 13 out of 16 individuals (81%) as being sick better than chance (the lower 95% CI range being above 0.5). These results demonstrate that untrained people can, above chance level, identify acutely sick individuals from merely observing a photo for a few seconds."
Dass diese Publikation eher mit manchen früher gerne „gefakten“ vorher/nachher Fotos der Kosmetikindustrie oder plastischer Chirurgie vergleichbar ist, erkennt man unschwer an einer vergleichenden Summations-Foto-Montage unter
http://rspb.royalsocietypublishing.org/content/royprsb/285/1870/20172430/F3.large.jpg
Figure 3. Averaged images of 16 individuals (eight women) photographed twice in a cross-over design, during experimentally induced (a) acute sickness and (b) placebo.
(a) und (b) sollen akute krankheitsspezifische Unterschiede belegen, tun sie aber nicht. (Repro Praxis Dr. Schätzler)
Jede/r DocCheck-Leser/in kann sich selbst davon überzeugen, dass spezifische Unterschiede zwischen Krankheits- und Gesundheits-Physiognomien hier kaum nachzuweisen sind. M. E. gehört diese Publikation in den Bereich „Fake-News“.