Die Grippewelle oder allein die Angst vor ihr sorgt in Apothekenkassen für eine schöne Bescherung. Der Nutzen diverser Arzneien sei in zahlreichen Fällen dahingestellt. Aber welcher Apotheker sagt schon Nein zu einem kaufwilligen Kunden?
Dem Institut IQVIA (IMS Health) zufolge weist der Erkältungsmarkt ein paar Besonderheiten auf: Im vierten Quartal 2016 schnellte der Umsatz speziell in diesem Segment um 14 Prozent nach oben, verglichen mit dem gleichen Zeitraum in 2015. Für Erkältungs- und Grippemittel wurden 103,1 Millionen Euro ausgegeben (plus 11,8 Prozent), für Schnupfenmittel 101,5 Millionen Euro (plus 15,4 Prozent) und für Produkte bei Atemwegserkrankungen 99,3 Millionen Euro (plus 18,3 Prozent).
Top Indikationen rezeptfreier Arzneimittel und deren Umsatz © BAH
Die wilde Mischung macht’s gefährlich
Apotheker raten in erster Linie zu Pharmaka mit einzelnen Wirkstoffen, die je nach vorherrschender Symptomatik abgegeben werden. Kombinationspräparate gelten aufgrund ihrer Zusammensetzung und möglicher Wechselwirkung als kritisch, doch die Werbung befeuert den Umsatz immer weiter. Patienten haben oft mehrere Beschwerden gleichzeitig – sie schlucken deshalb nur allzu gerne wilde Gemische. Der Werbung sei Dank. Zwei Beispiele:
Ähnlich kritisch sieht die Sache mit abschwellenden Nasensprays aus, berichtet der WDR. Bundesweit soll es mehr als 100.000 regelmäßige Anwender geben, die sich auf lange Sicht ihre Nasenschleimhaut ruinieren. Apotheker erwähnen zwar gebetsmühlenartig die maximale Anwendungsdauer, erklären Kunden aber nicht, warum dies so wichtig ist. Da mag sich so mancher Laie seinen Teil denken und fröhlich weiter seine Schleimhaut quälen.
Evidenz gesucht, Kunden gefunden
Auch mit weiteren Klassikern im Erkältungsbereich sieht die Sachlage recht düster aus:
Diese Fakten scheinen viele Apotheker nicht sonderlich zu stören, berichteten NDR-Reporter vor wenigen Wochen. Testkäufer äußerten im Handverkauf folgenden Wunsch: „Ich bin gesund, möchte mich aber in der Erkältungszeit vor einer Ansteckung schützen.“ Daraufhin empfahlen neun von zehn Apotheken Präparate ohne hinreichende Evidenz. Dabei wurden zwischen 6,75 und 50 Euro fällig.
Wer sagt schon ja zum Neinverkauf?
Sind die Rollen in Gut und Böse also wieder klar verteilt? Ganz so einfach, wie vermeintlich investigative TV-Formate die Sachlage darstellen, ist es trotzdem nicht. Apotheker sind eben nicht nur Heilberufler, sondern auch Kaufleute. Wer Bachblüten, Homöopathika oder Schüßler-Salze abgibt, braucht über die Evidenz von Vitamin C oder Zink nicht groß nachzudenken. Und kaum ein Kunde akzeptiert das Nein. Er geht zur Konkurrenz oder zückt gleich sein Smartphone, um online zu bestellen.
Trotzdem: Ein paar Tipps, die nicht so selbstverständlich sind wie oft angenommen, sollten Kunden schon mit auf den Weg gegeben werden, vielleicht als kleiner Handzettel zum Mitnehmen: