Nachdem die U.S. Preventive Task Force, vor allem basierend auf der PLCO Studie, sich 2009 ausdrücklich gegen ein PSA-Screening ausgesprochen hat, ist die Bestimmung des Prostataspezifischen Antigens im Rahmen der Krebsfrüherkennung in Verruf geraten. Zu recht?
Das prostataspezifische Antigen (PSA) ist ein Enzym, das als physiologisches Sekretionsprodukt der Prostatadrüse dem Ejakulat beigemengt ist und der Verflüssigung des Samenkoagulums dient. Es handelt sich um eine Protease, deren Substrat das Semenogelin-1 ist, dessen Spaltung die Samenflüssigkeit dünnflüssig macht.
Als PSA-Wert wird die Messung der PSA-Konzentration im Blutserum bezeichnet. Das PSA kann dabei im Serum an Serumproteine gebunden sein oder frei im Serum vorliegen. Der Wert ergibt sich aus der Verhältnis von ins Blut abgegebenen PSA und der Abbau- oder Ausscheidungsgeschwindigkeit. Beides unterliegt individuellen Schwankungen. Beeinflusst wird er unter anderem von der Menge an Prostatagewebe, welche meist im Alter zunimmt, durch Medikamente, Erkrankungen und Reizungen der Prostata. Alles, was die Prostata mechanisch beansprucht, auch indirekt durch Beanspruchungen im Beckenbereich, etwa durch Sport, Sex oder medizinische Maßnahmen, kann die Werte erheblich erhöhen. Einige Medikamente (z.B. 5-Alpha-Reduktase-Inhibitoren) sowie die Entfernung von Prostatagewebe können die Werte auch deutlich senken.
Einen eindeutigen Normalbereich des PSA-Wertes gibt es nicht. Die Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU) sieht ab einem Wert von 4 ng/ml weiteren Abklärungsbedarf. Werden mehrere Messungen in zeitlichem Abstand durchgeführt, zeigt ein steigender PSA-Wert eine fortschreitende Veränderung und kann somit Anlass sein, nach möglichen Ursachen organischer Art oder in den Lebensumständen des Patienten zu suchen.
Ein erhöhter PSA-Wert geht meist mit Veränderungen der Prostata einher: Je höher er ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Erkrankung vorliegt. Dabei sind gut- und bösartige Veränderungen zu unterscheiden. Das PSA weist beinahe ausschließlich auf eine Erkrankung der Prostata hin, kann allerdings auch bei der benignen Prostatahyperplasie (BPH) ebenso erhöht sein wie bei einer Prostatitis oder dem (selteneren) Prostatainfarkt. Es ist also kein Tumormarker im engeren Sinne.
Bei jedem PSA-Wert kann jedoch ein auch Karzinom vorliegen. Der positive prädiktive Wert liegt bei PSA-Werten zwischen 4 und 10 ng/ml bei 25–35 %, bei Werten über 10 ng/ml bei 50–80 %. Bei zwei Dritteln der Tumoren in einem organbegrenzten Stadium steigt der PSA-Wert nicht über 10 ng/ml. Bei der Erstdiagnose eines Prostatakarzinoms haben 20% der Patienten einen PSA-Wert von unter 4 ng/ml, wobei ca. 40 % dieser Karzinome mit einem Gleason-Score über 6 als besonders aggressiv zu werten sind.
Situation in Deutschland
Die Bestimmung des PSA-Wertes im Rahmen der Krebsfrüherkennung (sogenannte Vorsorgeuntersuchung) ist derzeit in Deutschland eine individuelle Gesundheitsleistung (IGeL), das heißt im Regelfall muss der Patient die Kosten hierfür privat tragen. Lediglich bei entsprechender Indikation (prostataspezifische Beschwerden, suspekter Tastbefund bei der digitorektalen Palpation, im Rahmen der Tumornachsorge oder Therapieüberwachung eines bekannten Prostatakarzinoms) übernehmen die gesetzlichen Krankenversicherer (GKV) die Kosten. Aus diesem Grund findet hierzulande auch kein systematisches Screening aller Männer einer bestimmten Altersklasse statt, sondern ein opportunistisches.
Die „Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms” empfiehlt Männern, die nach der Aufklärung über die Vor- und Nachteile eine Früherkennungsuntersuchung wünschen, zusätzlich zur digitorektalen Untersuchung die Bestimmung des PSA-Wertes anzubieten, wobei ein erhöhter Wert unter der Berücksichtigung von Einflussfaktoren kontrolliert werden sollte.
In der Altersgruppe ab 45 Jahren mit einer Lebenserwartung von >10 Jahren kann das Untersuchungsintervall bei einem PSA-Wert von unter 1 ng/ml vier Jahre, zwischen 1 und 2 ng/ml zwei Jahre und über 2 ng/mg jährlich sein. Bei über 72jährigen Männern mit einem PSA unter 1 ng/ml sollten keine weiteren Früherkennungsuntersuchungen mehr erfolgen.
Eine Prostatastanzbiopsie sollte dann erfolgen, wenn mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt ist: ein auch in der Kontrolle auf über 4 ng/ml erhöhter PSA-Wert, ein suspekter Tastbefund oder/und ein steigender PSA-Wert.
Die skandalöse PLCO-Studie
Der amerikanische Prostate Lung Colorectal Ovarian (PLCO) Cancer Screening Trial, an der über 75.000 Männer teilnahmen, konnte keinen signifikanten Unterschied zwischen beiden Studienarmen in Bezug auf Prostatakrebs-bedingte Todesfällen erkennen. Dies führte dazu, dass sich die U.S. Preventive Task Force 2009 ausdrücklich gegen ein PSA-Screening ausgesprochen hat. In direkter Folge wurde nicht nur in den USA den Männern vom PSA-Test abgeraten, sondern die Berichterstattung in den Medien führte auch in Deutschland dazu, dass der Test zunehmend kritisch gesehen wurde. Dabei wurde postuliert, dass die negativen Folgen (unnötige Biopsien, Therapie-Komplikationen usw.) des Screenings größer sind als der Nutzen.
Im Gegensatz dazu zeigte aber die zeitgleich publizierte, große europäische Screening-Studie, an der über 180.000 Männer teilnahmen, dass sich im Langzeitverlauf eine Halbierung der prostatakrebsbedingten Todesfälle ergab, wenn Männer den PSA-Wert messen ließen und bei Auffälligkeiten eine Diagnostik und Therapie durchführen ließen, im Vergleich zu solchen, die dies nicht taten. Die „Number Needed To Screen“ wird für die PSA-Testung mit 1410 angegeben. 48 durch Screenings zusätzlich diagnostizierte Patienten müssen behandelt werden, um ein Krebstoten zu verhindern (Number Needed To Treat). Unter den diagnostizierten Patienten sind natürlich nicht nur solche mit einem organbegrenztem und somit potentiell heilbarem Tumor, sondern auch welche mit einem fortgeschrittenen oder/und metastasierten Tumor, welche nur palliativ therapierbar sind, und solche, die nach einer definitiven Therapie rezidiveren, so dass von den 48 zusätzlich Patienten eben nur einer nicht am Karzinom verstirbt.
Diese unterschiedlichen Studienergebnisse verwirren. Dabei beruhen sie auf falschen Annahmen.
Angesichts einer neuen Analyse der PLCO-Studie verwundert dieses konträre Ergebnis nicht, da in beiden Armen PSA-Tests durchgeführt wurde, im Kontrollarm außerhalb des Studienprotokolls sogar häufiger als in der Screening-Gruppe – mit den entsprechenden Konsequenzen. Denn statt brav zu denen zu gehören, die den PSA-Test unterlassen sollten, war den Teilnehmer dabei unwohl und sie haben die Chance, die sich ihnen bot, privat genutzt. Unschön für die Methodik der Studie, schön für die Menschen, die so gerettet wurden. Doch diese Kontamination der Studienergebnisse verfälscht natürlich die Statistik.
Nach diesen Erkenntnissen kann diese Negativstudie zur Beurteilung der Wertigkeit des PSA-Wertes nicht mehr verwendet werden. Die Rolle des Testes muss komplett neu bewertet werden, da die europäischen Ergebnisse zeigen, dass die Prostatakrebsmortalität letztlich sogar fast halbieren kann.
Negative Konsequenzen
Die Einschränkung der PSA-Bestimmung hat jedoch fatale Folgen, welche sich erst in der näheren Zukunft bemerkbar machen werden. Hochrechnungen gehen davon aus, dass der Verzicht auf den PSA-Test im Rahmen der urologischen Früherkennung bis 2025 etwa 60.000 amerikanischen Männern das Leben kosten könnte. Schon jetzt zeigen dort epidemiologische Daten einen Shift zu fortgeschrittener Tumorstadien und aggressiveren Tumoren und somit einer ungünstigeren Prognose.
Zwar birgt auch der PSA-Wert – wie bei jede Früherkennungsuntersuchung – das Risiko einer „Übertherapie”, da unter Umständen Karzinome behandelt werden, die nie zum Tode geführt hätten. Umso wichtiger ist daher der Umgang mit den Untersuchungsergebnissen. So kann es bei Männern mit einem Low-Risk-Prostatakarzinom ausreichend sein, den Tumor engmaschig zu überwachen (sogenannte Active Surveillance), so dass eine Therapie erst zu einem späteren oder gar nicht erforderlich ist. Hierfür gibt es klare Einschlusskriterien und Nachsorgeempfehlungen, welche unter anderem regelmäßige Kontrollbiopsien beinhalten, um einen Krankheitsprogress rechtzeitig zu erkennen.
Die Ironie dieser Diskussion ist, dass die PSA-Kritiker den Urologen Angstmache vorwerfen. Dabei erzeugen gerade sie Angst vor der Operation, wobei der Leidtragende am Ende der Patient ist. Er hat Angst, einem Therapeuten auf den Leim zu gehen, der ihm zu einer belastenden Therapie rät, die vielleicht gar nicht erforderlich ist. Er hat aber auch Angst vor dem Karzinom in seinem Körper, welches zu einer massiven psychischen Belastung werden kann.
An einem Prostatakrebs zu sterben, was viele Kritiker für so völlig nebenwirkungsarm halten (der von Hackethal postulierte „Haustierkrebs”), hat nun einmal auch seine Schrecken. Von den vielen Männern, die nach wie vor und – allein aufgrund der steigenden Lebenserwartung – immer häufiger an dieser Erkrankung sterben, ganz zu schweigen. Denn die Komplikationen eines fortgeschrittenen Prostatakarzinoms können schwerwiegend sein und die Lebensqualität erheblich einschränken.
Dass durch Screening die Prostatakarzinommortalität gesenkt werden kann, ist also wissenschaftlich gesehen unbestritten. Inwieweit das PSA-Screening Sinn macht, ist in erster Linie eine gesundheitspolitische Frage.
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