Man kann alles erreichen, wenn man nur unverschämt genug auftritt. Glauben manche Menschen. Klappt allerdings nicht immer. Zum Glück. Merke: auch nett sein führt zum Ziel.
Ein mächtiger Schatten schiebt sich vor die Tür des Dienstzimmers.
„Hey!‟, sagt der Schatten.
Ich drehe mich um.
Der Schatten gehört zu Herrn Strunkenkohl.
„Guten Tag,‟ sage ich, „kann ich Ihnen helfen?‟
„Weiß nicht“, keucht Herr Strunkenkohl, „Wer is’n hier zuständig?‟
„Kommt drauf an, wofür.“
Herr Strunkenkohl holt Luft und stützt sich am Türrahmen ab. „Beschweren!“, schnappt er.
Ich bin erleichtert. Also nichts ernstes. Und was das Beschweren angeht, das ist so eine Art Hobby von Herrn Strunkenkohl, es vergeht kaum ein Tag, an dem er sich nicht über irgendwas beschwert. Er hat wohl auch schon versucht, sich vom Handy aus zur Geschäftsleitung durchstellen zu lassen, ist aber zum Glück nicht weit gekommen.
„Worum geht’s denn?“, frage ich.
„Fernseher!“, sagt er, „Fernseher kaputt!“
Ich atme langsam ein und aus.
„Ist gut, ich kümmere mich drum.“
Herr Strunkenkohl bleibt im Türrahmen stehen und macht keinerlei Anstalten, vom Platz zu weichen.
„Alles in Ordnung?“, frage ich.
„Nein!“
„Okay?“
„Nicht okay!“
„Was ist nicht okay?“
„Mein Zimmer!“
„Ja?“
„Unverschämtheit!“
„Warum?“
„Viel zu laut! Da hört man jede Krankenwagensirene! Keine Minute Schlaf habe ich bekommen. Schon seit drei Nächten nicht!‟
„Ich kümmere mich drum‟, sage ich und schaue ihm nach, wie er schwerfällig den Flur entlangschleicht und schließlich in Zimmer siebzehn verschwindet. Eine Sekunde später schießt Schwester Jenny vorbei.
„War was mit dem?‟, fragt sie.
„Beschwerde‟, sage ich.
„Dürfen wir uns eigentlich auch mal beschweren?‟
„Warum?‟
Jenny verdreht die Augen und stöhnt.
„Alle zehn Minuten klingelt der! Ständig will er aufs Klo. Obwohl er das eigentlich selber kann, verlangt er nach der Urinflasche. Und dann ist er zu faul, um sein Dingsda in die Flasche zu stecken. Er verlangt, dass wir ihn da unten anfassen. Ich glaub, der hat richtig Spaß daran.‟
Ich runzle die Stirn.
„Wie kommst du da drauf?‟
„Der lässt sich auch verdächtig gerne unten herum waschen. Außerdem wirft er hin und wieder Dinge auf den Boden. Einfach so. Er behauptet natürlich, sie seien ihm aus Versehen runtergefallen, aber ich weiß genau, dass er das absichtlich tut.‟
„Was hat er davon?‟
Jenny reißt die Augen auf.
„Dass er mir auf den Hintern glotzen kann, wenn ich die Sachen aufhebe. Dann grinst er nämlich immer ganz fies. Und ab und zu lässt er Sprüche ab … bei denen man rot werden würde, wenn man zartbesaitet wäre‟, fügt Schwester Paula hinzu und fährt fort: „Er ist ja ganz schön weit gekommen mit seiner Art. Seinen Zimmernachbarn hat er hinausgeekelt, indem er ständig das Fenster aufgerissen hat. Seitdem hat er ein Einzelzimmer. Ohne Einzelzimmerzuschlag bezahlen zu müssen.‟
Kalle schüttelt den Kopf.
„Das geht so nicht weiter‟, sagt er und wirft einen langen Blick auf die Magnettafel mit der aktuellen Zimmerbelegung. Dann tuschelt er eine Weile mit Schwester Paula.
Als ich am nächsten Morgen bei der Visite in Zimmer siebzehn vorbei komme, strahlt mich Frau Elbenhain an.
„So ein wunderschönes Zimmer!‟, sagt sie, „mit Blick ins Grüne! Und vorne auf der Straße ist immer etwas los. Vielen Dank, dass ich das Zimmer wechseln durfte!‟
„Aber … äh … ich habe gehört, der Fernseher funktioniert nicht?‟
Frau Elbenhain macht eine wegwerfende Handbewegung.
„Ach, das ist mir egal. Ich lese viel lieber Bücher!‟
Ich wende mich an Schwester Jenny.
„Was ist denn aus Herrn Strunkenkohl geworden?‟
Jenny verzieht den Mund.
„Der ist zwei Zimmer weiter. Das kleine Zimmerchen zwischen Aufzug und Personalklo. Mit Blick in den Hinterhof – aber der Fernseher funktioniert.‟