Bei vielen Formen von Herzerkrankungen ist der Myokardstoffwechsel gestört. Nicht eine begrenzte Verfügbarkeit von Nährstoffen oder Sauerstoff, sondern die Beeinträchtigung der Fähigkeit, Substrate und Sauerstoff zu verarbeiten, schwächen das Herz. Störungen in der oxidativen Phosphorylierung in den Mitochondrien führen zu Azidose-induziertem Zelltod.
Nach geltender Lehrmeinung werden Ischämie-induzierte Herzerkrankungen (Angina pectoris, Koronare Herzkrankheit, akutes Koronarsyndrom) durch ein Ungleichgewicht zwischen myokardialer Sauerstoffversorgung und myokardialem Sauerstoffbedarf verursacht. Ist die Sauerstoffzufuhr nicht gewährleistet, so können die im Stoffwechsel entstehenden Protonen in den Mitochondrien nicht verbraucht werden, es kommt zur Übersäuerung in deren Folge die Zellen absterben.
Die klassische Grundidee bei ischämischen Herzkrankheiten, dass diese im Wesentlichen aus einem Defizit in der Sauerstoffversorgung des Herzens herrühren, suggeriert also, dass das Herz auf Sauerstoffzufuhr angewiesen ist. Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass das Herz nicht nur Minuten, sondern Stunden und Tage mit nur begrenzter Sauerstoffzufuhr überleben kann. Bereits 1966 hat Hochrein an Meerschweinchen Herz-Lungen-Präparaten gezeigt, dass Herzen auch bei vollständiger Abwesenheit von Sauerstoffzufuhr überleben können. Durch Infusion von Glukose, Insulin und Kaliumsalzen gelang es, durch Stickstoffbeatmung induzierte hypoxische Herzinsuffizienz und Atemstillstand trotz fortwährender Stickstoffbeatmung zu beheben [1]. 1992 berichteten Webster und Mitarbeiter, dass Herzmuskelzellen in-vitro unter Ausschluss von Sauerstoff eine Woche lebens- und kontraktionsfähig bleiben, wenn Glukose kontinuierlich zugeführt und der extrazelluläre pH im physiologischen Bereich gehalten wird [2]. Diese Experimente zeigen, dass nicht der Sauerstoffmangel zum Absterben der Herzmuskelzellen führt. Energiemangel und Übersäuerung verursachen den Tod der Herzzellen.
Der Herzinsuffizienz liegt eine Störung des autonomen Nervensystems zu Grunde. Bei Patienten mit Herzinsuffizienz ist der Vagustonus reduziert, während der Sympathikustonus erhöht ist. Neurotransmitter des sympathischen Nervensystems sind die Katecholamine . Bei Herzinsuffizienz-Patienten korrelieren erhöhte Plasma Katecholaminspiegel eng mit einer erhöhten Sterblichkeit. In niedriger Konzentration führen Katecholamine zu vorteilhaften Effekten für die Herztätigkeit (u. a. positiv inotrope Wirkung). Hohe Konzentrationen von Katecholaminen hingegen schädigen bei chronischer Einwirkung das Herz. Sie erhöhen den Sauerstoffbedarf und beschleunigen die aerobe Glykolyse, welche zu überschüssigen Protonen führt. Sie stimulieren die Lipolyse von Triglyceriden und setzen damit Fettsäuren und weitere Protonen frei. Katecholamine bewirken eine Störung der oxidativen Phosphorylierung in den Mitochondrien. In Summe führt ein exzessiver Sympathikustonus über hohe Katecholaminkonzentrationen zur Anhäufung von Protonen und damit zu Azidose-induziertem Zelltod.
Wenn die Protonenkonzentrationen in der Herzmuskelzelle nicht durch oxidative Phosphorylierung in den Mitochondrien reguliert werden kann, greift ein alternativer Mechanismus der Protonenverwertung. Pyruvat (Brenztraubensäure) wird unter Verbrauch von Protonen zu Laktat (Milchsäure) reduziert. Die Bildung von Laktat (Milchsäure) ist also nicht, wie fälschlicher Weise in den Lehrbüchern immer noch zu lesen, die Ursache von Azidose („Laktatazidose“). Die Reduktion von Pyruvat zu Laktat verbraucht Protonen. Die Laktatbildung ist eine Schutzmaßnahme der Zelle gegen überhöhte Säureproduktion. Laktat (Milchsäure) ist ein Hinweis auf Übersäuerung, aber keine Ursache für Azidose [3].
Ein Ungleichgewicht zwischen myokardialer Energieversorgung und myokardialem Energiebedarf kann also auch durch exzessive adrenerge Stimulation des Herzens herbeigeführt werden. Es gilt heute als wissenschaftlich gesichert, dass bei nahezu allen Formen von Herzerkrankungen der Myokardstoffwechsel gestört ist. Offensichtlich ist es nicht eine begrenzte Verfügbarkeit von Nährstoffen oder Sauerstoff, sondern die Beeinträchtigung der Fähigkeit, die verfügbaren Substrate und Sauerstoff zu verarbeiten, welche zu Herzinsuffizienz führt [4].
Wir wissen heute, dass bei Herzschwäche kein Sauerstoffmangel vorliegt. Studien in mehreren Tiermodellen zeigen, dass eine unzureichende Sauerstoffversorgung nicht wesentlich zur Herzinsuffizienz beiträgt [5]. Stattdessen sind die oxidativen Kapazitäten des Myokards reduziert. Eine verminderte Kapazität der mitochondrialen Substratoxidation führt zu einer verminderten Herzwirkung [6]. Als Reaktion auf eine Stimulation ist das insuffiziente Herz nicht in der Lage, die Oxidation von Fettsäuren oder Glukose signifikant zu erhöhen, wie es das normale Myokard tut [7]. Das Risiko von Herzerkrankungen nimmt mit dem Alter zu. Ältere Patienten haben nahezu 50% niedrigere Oxidationskapazität pro Volumen des Muskels als jüngere. Die Anzahl an Mitochondrien und deren Oxidationsfähigkeit sind verringert [8]. Es ist nicht eine begrenzte Verfügbarkeit von metabolischen Substraten oder Sauerstoff, sondern die beeinträchtigte Fähigkeit, die verfügbaren Substrate zu verbrauchen, welche das Herz schwächen [9].
Der Energiebedarf des Herzens ist groß. Jeden Tag schlägt das Herz eines Menschen mehr als 100.000 mal und pumpt dabei etwa 10 Tonnen Blut durch den Körper. Die für eine solch außergewöhnliche Leistung notwendige Energie wird bereitgestellt durch Synthese und Hydrolyse von Adenosintriphosphat (ATP). Pro Tag werden etwa 6 kg ATP im Herzen hergestellt und verbraucht. Als Energiesubstrate dienen vor allem Fette (60 – 80%) und Glukose (20%). In geringen Mengen werden auch Ketone (Laktat) und Aminosäuren verstoffwechselt. Sowohl bei der Herstellung als auch beim Verbrauch von ATP werden Protonen erzeugt. Diese werden in den Mitochondrien der Herzzelle mit Sauerstoff zu Wasser umgesetzt, wobei ebenfalls ATP entsteht. Die oxidative Phosphorylierung in den Mitochondrien ist ein wesentlicher Teil der ATP-Produktion.
Die Hauptlast bei der Gewinnung von ATP tragen die Mitochondrien. Sie sind das Kraftwerk aller Zellen. Pro Tag generieren die Mitochondrien eine Menge an ATP, welche dem Körpergewicht entspricht. Störungen in der Funktionsweise der Mitochondrien sind nicht nur bei Herzerkrankungen sondern auch in einer Vielzahl von weiteren Krankheitsbildern involviert [10-13]. Ein unverzichtbarer Bestandteil der oxidativen Phosphorylierung in den Mitochondrien ist das Coenzym Q10. In mehreren Doppelblind-Placebo-kontrollierten Studien mit Herzpatienten hat die Gabe von Q10 die kardiovaskuläre Mortalität deutlich reduziert [14-16]. Es ist angebracht, bei allen Herz-Kreislauferkrankungen zu prüfen, ob ein Q10 Defizit besteht und dieses ggf durch Gabe von Q10 zu beheben [10].
Literatur
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