Nachtschicht. Sowieso schon nicht mein Lieblingsdienst. Ich neige dazu, in der Nacht sehr schnell paranoid zu werden: Hat da nicht gerade jemand gerufen? Piepst dort vielleicht ein Infusomat? Schon das kleinste ungewohnte Geräusch lässt mich aus dem Stuhl hochfahren und die Ohren spitzen.
Meine Nachtdienstparanoia hat jedoch nicht nur negative Seiten. Oftmals höre ich noch vor meinen Kollegen, wenn tatsächlich etwas ist. So auch in dieser Nacht. Selbst durch die Türe der Isolette höre ich das schrille Piepsen des Perfusors. Mundschutz, Handschuhe, Maske und Kittel an, rein ins Vergnügen. Oder auch nicht. Der Patient, der so einen orientierten Eindruck machte, hatte es geschafft, sich die Infusion aus dem Perfusor auszufädeln, was zur Folge hatte, dass 500 ml Kochsalzlösung ungebremst reingerauscht sind. Und das bei jemanden mit einer globaler Herzinsuffizienzund einem chronischen Nierenversagn. Wuhu. Der Patient war jedoch stabil und der konsultierte Dienstarzt wollte keine weiteren Massnahmen ergreifen.
Bis ich auf der nächsten Runde reinkam und einen Patienten antraf, der vor lauter Dyspnoekeine Antworten mehr geben konnte. Kaltschweißig lag er in seinem Bett, die Atemgeräusche brodelnd. Automatisch ging ich meine innere Checkliste durch: Dienstarzt, Sauerstoff, Vitalzeichen, Oberkörper hoch. Sättigung schlecht. Katastrophal schlecht. Endlich traf der Dienstarzt ein. Diagnostizierte ein Lungenödemund los gings mit dem intravenösen Spritzen von Diuretika und Morphin. Und in meinem Kopf ein Karussell: „Oh, crap, oh, crap, hoffentlich übersteht er das …“
Es sieht nicht gut aus
Qualvolles Warten bis die Medikamente anschlagen. Langsam wird die Sättigung besser. Es sieht dennoch nicht gut aus, die Kraft des Patienten geht sichtbar zur Neige, das Herz wird arrhythmisch. Meine Kollegin deckt inzwischen alle Klingeln ab, reicht mir durch die Türe benötigtes Material. Langsam bin ich nassgeschwitzt unter dem Kittel. Plötzlich steht der Frühdienst im Zimmer.
Ich hatte gar nicht gemerkt, wie die Zeit verflogen war. Nach kurzer Übergabe übernimmt dieser für mich. Ich kann mich kaum auf die Dokumentation konzentrieren, ständig schweifen meine Gedanken zum Patienten in der Isolette. Ich falle zu Hause ins Bett, so erschöpft wie selten. Und bin dankbar für meine guten Ohren und meine Nachtdienstparanoia.
Nachtrag: Der Patient, so erfahre ich in der nächsten Nachtschicht, hat wider Erwarten überlebt. Und ich freue mich, als er mich auf meinen Runden angrinst.