Rund 1,7 bis zwei Milliarden Euro überschüssiges Honorar sollen deutsche Apotheken pro Jahr bekommen haben. Dieses Gerücht macht in allen Fachmedien die Runde. Wurde hier gepfuscht oder haben sich frühere Minister verkalkuliert?
Seit Ende 2015 arbeitet das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) an einem Projekt, um alle in der Arzneimittelpreisverordnung geregelten Kostenpunkte zu überprüfen. Dazu gehören Apothekenzuschläge für Fertigarzneimittel oder für Zubereitungen. Das Regelwerk hat einen großen Regulierungsvorteil. Per Verordnung kann das Wirtschaftsministerium Änderungen herbeiführen – im Idealfall natürlich Erhöhungen. Dazu ist keine Zustimmung des Bundestages erforderlich. Während Apotheker schon lange fordern, Honorare dynamisch anzupassen, also an den tatsächlichen Betriebsausgaben zu orientieren, wollen Krankenkassen davon nichts hören. Ein Forschungsprojekt am Wirtschaftsministerium sollte die verworrene Materie durchleuchten.
Warten auf Daten
Schon der Start lief mehr als holprig. „Nur eine ausreichende und gesicherte Datengrundlage kann Ausgangspunkt für die Berechnung sein und zu einer Akzeptanz der Berechnung und deren Ergebnisse führen“, schrieb das Ministerium in einer Stellungnahme. Nach Kontroversen hinsichtlich der Methodik und der Datenbasis entschloss man sich, berufsständische Informationen zu ignorieren und einen externen Partner zu suchen. Wenig überraschend fehlt Expertise in den Reihen des BMWi.
Als beauftragte Agentur ist 2hm Research + Consulting unterstützend eingesprungen. Das jetzt kolportierte Ergebnis überrascht alle Beteiligten. Pro Jahr sollen Deutschlands Apotheken mindestens 1,7 Milliarden Honorar zu viel bekommen, gemessen an ihren Betriebskosten. Rein rechnerisch wären das 85.000 Euro pro Betriebsstätte und Jahr.
Ob die Inhalte tatsächlich stimmen, bleibt abzuwarten. Was dafür spricht: Das BMWi zögert die Veröffentlichung mit Hinweis auf „interne Abstimmungsprozesse“ weiter hinaus. Vielleicht ist man ratlos, wie es mit der brisanten Botschaft weitergeht. Zwei Möglichkeiten sind denkbar:
Szenario 1: Gut gepfuscht
Viele Kollegen zweifeln inhaltlich am Gutachten. Wo sollen die 85.000 Euro denn zu finden sein? Ein möglicher Schwachpunkt könnte die zu pauschale Betrachtung sein. Offerieren Apotheken besondere Dienstleistungen, indem sie beispielsweise Heime oder Krankenhäuser versorgen, müssen derartige Services auch getrennt betrachtet werden. Weitere Besonderheiten sind der Versandhandel in nennenswertem Umfang, aber auch die Anfertigung von Spezialrezepturen.
Erweisen sich die Ergebnisse als falsch, hat das BMWi ein gewaltiges Glaubwürdigkeitsproblem. Dann ist die Strategie, externe Unterstützung einzuholen, grandios gescheitert. Handwerkliche Fehler wären die Chance für Standesvertreter, mit eigenen Vorschlägen um die Ecke zu kommen.
Szenario 2: Ohrfeige für frühere Minister
Sollten sich die Zahlen aber bewahrheiten, droht Apothekern der Kahlschlag. In letzter Zeit haben sowohl Daniel Bahr (FDP) als auch Hermann Gröhe (CDU) als Gesundheitsminister an mehreren Stellen nachgebessert. Dazu zählen der Nacht- und Notdienstfonds, aber auch die Anpassungen bei Rezepturen beziehungsweise Betäubungsmitteln. Diese Maßnahmen wären dann überflüssig und frühere Bundesregierungen hätten sich gründlich verkalkuliert. Und in nächster Zeit bräuchte niemand auch nur an Honorarerhöhungen zu denken.
Auf dem Holzweg
Jenseits der aktuellen Kontroverse sollte man sich eine ganz andere Frage stellen: Macht es überhaupt Sinn, am bestehenden Modell packungsbezogener Honorare inklusive ergänzender Regelungen festzuhalten?
Diskussion zum schlechtesten Zeitpunkt
So oder so trifft die Kontroverse Apotheker zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Die Sondierungsgespräche der CDU/CSU, Grünen und FDP sind gerade geplatzt – damit auch die Koalitionsforderungen. Die ABDA gab bekannt, sich nicht an Spekulationen über versteckte Milliarden zu beteiligen. Das ist zwar ehrenwert – einen großen Gefallen erweisen Standesvertreter ihren Mitgliedern aber nicht. Politiker aller Parteien mit Affinität zu Gesundheitsthemen informieren sich ebenfalls über branchenspezifische Medien. Jetzt ist der richtige Moment, um sich Gehör zu verschaffen.