Deutschland schneidet beim „Future Health Index“ überraschend schlecht ab. In der Studie wurden Daten zur elektronischen Gesundheitsversorgung und -vernetzung in 13 Ländern ausgewertet. Die Reihenfolge der Platzierungen überrascht.
E-Health oder Electronic Health wird in Zukunft in der Medizin eine immer größere Rolle spielen. Sie steht für den Einsatz digitaler Technologien im Gesundheitswesen – etwa zur Prävention, Diagnostik und Behandlung oder zur Verwaltung von Gesundheitsdaten. Beispiele gibt es viele: Etwa die Telemedizin, bei der räumlich entfernte Ärzte bei Diagnostik und Therapie zusammenarbeiten können, die elektronische Patientenakte, das Datentracking mit tragbaren Geräten und Gesundheits-Apps oder die Internetmedizin, bei der die persönliche Beratung, Diagnostik oder das Monitoring von Patienten über das Internet stattfindet. Nun hat sich ein neuer Forschungsbericht mit der Frage beschäftigt, wie gut es um den Zugang zum Gesundheitssystem, vernetzte Gesundheitstechnologien und die so genannte „integrierte Gesundheitsversorgung“ in verschiedenen Ländern der Welt bestellt ist. Der Bericht namens „Future Health Index“ (FHI) wurde von der Firma Philips in Auftrag gegeben. Er soll Experten im Gesundheitssystem und Entscheidungsträger dazu anregen, sich mit der Frage zu beschäftigen, wie vernetzte Gesundheitstechnologien zu einer besseren Gesundheitsversorung beitragen können.
Deutschland schneidet beim Future Health Index überraschend schlecht ab und nimmt einen der hintersten Ränge ein: Platz 11 von 13. Dabei erzielt die Bundesrepublik zwar gute Werte beim Zugang zur Gesundheitsversorgung, weist aber bei der integrierten Gesundheitsversorgung und der Anwendung vernetzter Gesundheitstechnologien laut Bericht „deutliche Schwächen“ auf. Rangliste der Länder im Future Health Index: 1. Vereinigte Arabische Emirate (Wert: 65,3) 2. Niederlande (58.9) 3. China (58,1) 4. Australien (57,9) 5. Singapur (57,7) 6. USA (57,4) 7. Schweden (57,3) 8. Südafrika (56,7) 9. Großbritannien (56,4) 10. Frankreich (54,6) 11. Deutschalnd (54,5) 12. Brasilien (50,6) 13. Japan (49,0) In der Untersuchung, die vom unabhängigen, nicht kommerziellen Institute for the Future (IFTF) in Palo Alto (USA) durchgeführt wurde, wurden 2659 medizinische Fachkräfte (Ärzte und Krankenpfleger) und 25.355 erwachsene Patienten aus insgesamt 13 Ländern befragt. Diese umfassten hoch entwickelte Industrieländer – Australien, die USA, Frankreich, Deutschland, die Niederlande, Schweden, Großbritannien, Japan und Singapur – sowie Schwellenländer, nämlich Brasilien, China, Südafrika und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Pro Land wurden etwa 200 Fachkräfte und 2000 Patienten befragt, wobei die Patientengruppe soweit möglich repräsentativ für die Bevölkerung ihres Landes war. Ergänzend wurden 30- bis 45-minütige Interviews mit Mitarbeitern im Gesundheitswesen, Versicherern und öffentlichen Entscheidungsträgern geführt. Unter vernetzten Gesundheitstechnologien wurden Technologien verstanden, die den Austausch medizinischer Informationen über das ganze Gesundheitssystem hinweg ermöglichen: zwischen Ärzten und Patienten, Pflegepersonal, Fachärzten und Krankenhäusern, aber auch mit Versicherungen und staatlichen Einrichtungen. Der Begriff „integrierte Gesundheitsversorgung“ bedeutet, dass alle genannten Gruppen zusammenarbeiten, um die Gesundheitsversorgung effektiv zu koordinieren – etwa, indem medizinische Ergebnisse und Daten ausgetauscht werden. „Der Future Health Index misst, inwieweit ein Land dazu bereit ist, die zukünftigen Herausforderungen auf dem Gesundheitsmarkt zu bewältigen“, heißt es im Bericht.
Insgesamt liegen die Vereinigten Arabischen Emirate beim Future Health Index – bei dem Punkte von 0 bis 100 erreicht werden können – an erster Stelle, während Japan das Schlusslicht darstellt. So erzielen die VAE bei „Integration“ und „Annahme neuer Technologien“ Werte über 60, während Japan Werte von 50 bzw. 38 erreicht. Deutschland liegt ebenfalls im unteren Bereich: Es erzielt 53 Punkte bei „Integration“ und 41 Punkte bei der „Annahme neuer Technologien“.
Beim Zugang zum Gesundheitssystem – zu Prävention, Diagnostik, Behandlung, häuslicher Pflege und zu Möglichkeiten, ein gesundes Leben zu führen – schneiden die hoch entwickelten Länder erwartungsgemäß besser ab als die Schwellenländer. Dagegen erzielen einige Schwellenländer wie die VAE und Südafrika bei vernetzten Gesundheitstechnologien deutlich höhere Werte als die Industrienationen. Das könnte auch damit zusammenhängen, dass vernetzte Technologien von den Befragten als wichtig angesehen werden, um räumliche Entfernungen und mangelnde Infrastruktur im Gesundheitssystem auszugleichen – ein Aspekt, der vor allem in weniger entwickelten Ländern von Bedeutung ist.
Eine stärkere Integration des Gesundheitssystems wird von den Befragten jedoch länderübergreifend als wichtig angesehen: So gaben 83 Prozent der medizinischen Fachkräfte und 77 Prozent der Patienten an, dass eine stärkere Integration in ihrem Land wichtig sei und die Gesundheitsversorgung verbessern könne. 74 Prozent der Patienten kritisieren an der mangelnden Vernetzung, dass sie die gleichen Informationen bei verschiedenen Ärzten immer wieder nennen müssen, und 60 Prozent geben an, dass mehrfach die gleichen Untersuchungen durchgeführt werden. Dies gilt ähnlich auch für Deutschland. Hierzulande sehen die Befragten bürokratische Hürden und hohe Kosten als Haupthindernisse für eine stärkere Vernetzung im Gesundheitssystem an. Die medizinischen Experten äußerten zudem vielfach Bedenken, durch die Flut der Daten überfordert zu werden.
Als wichtigste Hürden für „Integration“ und „Annahme neuer Technologien“ werden über alle Länder hinweg hohe Kosten, Bedenken hinsichtlich Privatsphäre und Datenschutz und bürokratische Hürden im Gesundheitssystem genannt. Bedenken zu Privatsphäre und Datensicherheit werden vor allem in den entwickelten Ländern als wesentliches Hindernis für ein stärker integriertes Gesundheitssystem ansehen – insbesondere in Deutschland, wo dieser Punkt von 50 Prozent des medizinischen Fachpersonals genannt wurde. „Solche Daten könnten von Hackern missbraucht werden oder von Versicherern genutzt werden, um die Beiträge eines Patienten zu erhöhen“, sagt ein befragter Facharzt für Intensivmedizin an einer deutschen Klinik.
Weitere Bedenken gegenüber den neuen Technologien sind die Notwendigkeit, Patienten im Umgang damit zu schulen sowie Zweifel an der Zuverlässigkeit der Daten von mobilen Geräten und Apps. Viele der medizinischen Fachkräfte befürchten außerdem, dass eine fehlerhafte Anwendung für sie auch rechtliche Folgen haben könnte.
Weiterhin vertrauen zwar 72 Prozent des medizinischen Fachpersonals, aber nur 57 Prozent der Patienten dem Gesundheitssystem in ihrem Land – in Deutschland liegen die Werte bei 77 und 50 Prozent. „Das vermindert ebenfalls die Bereitschaft, Gesundheitdaten zu teilen und vernetzte Technologien anzunehmen“ heißt es im Bericht. Ein weiteres Problem liegt in mangelnden Kenntnissen: Sowohl medizinisches Personal als auch Patienten sind zum Teil wenig mit den Möglichkeiten der neuen Technologien vertraut. So gaben 43 Prozent der medizinischen Fachkräfte an, im Bereich vernetzter Gesundheitstechologien nur geringe Kenntnisse zu haben. „Das deutet darauf hin dass hier mehr Aufklärung und Training notwendig sind – vor allem in den entwickelten Ländern“, heißt es im Bericht. Dabei nutzen junge Patienten und medizinische Fachkräfte mit wenig Berufserfahrung eher vernetzte Gesundheitstechnologien als ältere. Dies lasse darauf schließen, dass solche Technologien in den kommenden Jahren zunehmen würden, so der Bericht.
Die Ergebnisse sind zwar im Auftrag eines Unternehmens entstanden, das ein Interesse an der Förderung neuer Gesundheitstechnologien hat. Gleichzeitig geben sie jedoch wichtige Hinweise darauf, wo die Hürden für eine bessere Vernetzung im Gesundheitssystem liegen und wo Verbesserungsmöglichkeiten bestehen. Fraglich ist, ob der Schutz sensiber Patientendaten allein als Innovationshindernis zu sehen ist. Wenn Daten in sicheren Netzwerken elektronisch zur Verfügung stehen und beispielsweise mehrere Ärzte Zugriff auf eine elektronischen Patientenakte haben, kann dies sicher viele Abläufe erleichtern. Ob auch „Außenstehende“ wie Versicherer oder staatliche Einrichtungen Zugriff auf solche Daten haben sollten, ist jedoch fraglich. Dies spiegelt sich auch in den Aussagen der Befragten wider: 75 der medizinischen Fachkräfte und 71 Prozent der Patienten finden es in Ordnung, wenn Gesundheitsdaten unter medizinischem Personal ausgetauscht werden, dagegen sind nur 25 bzw. 33 Prozent bereit, solche Daten auch mit Versicherungen oder staatlichen Einrichtungen zu teilen. Insgesamt werde es immer wichtiger, dass Ärzte und medizinisches Fachpersonal Patienten in Entscheidungen mit einbeziehen – auch, was den Umgang mit ihren persönlichen Daten angehe, schreibt Carolyn Peterson von der Mayo-Klinik (USA) in einem aktuellen Artikel. Eine mögliche Lösung, die Vernetzung mit Datenschutz kombiniert, könnten Systeme sein, wie sie von Forschern der ETH Zürich entwickelt werden. Dort können die Patienten die Zugriffsrechte auf ihre Daten selbst verwalten und sie gezielt für einzelne Personen oder Institutionen freigeben.