Die Schmerzen einer Geburt sind vergessen, sobald man das Baby im Arm hält, heißt es. Aber stimmt das wirklich? Viele Frauen erfahren, dass Geburtshelfer schroff mit ihnen umgehen und ihre Bedürfnisse missachten. Die gewaltsamen Behandlung kann tiefe Narben hinterlassen.
Glück und Leid liegen oft nah beieinander. Eine Geburt stellt in der Regel einen der größten Glücksmomente im Leben einer Frau dar. Vergessen sind die schwierigen Momente der Schwangerschaft oder die Schmerzen während des Geburtsvorganges, sobald sein Kind sieht, hört, fühlt und riecht. Doch nicht immer ist dieser Moment des Glückes wirklich rein. Oft bleiben Narben zurück, nicht nur am Körper, auch in der Seele der Mutter.
Viele Frauen leiden jedes Jahr unter Gewalt in der Geburtshilfe. Unterstützung oder Verständnis erfahren sie dabei selten. Das Kind sei ja schließlich gesund, da spiele alles andere doch keine Rolle mehr, heißt es häufig. Doch es spielt eine Rolle! So können diese Erfahrungen unter der Geburt die Frauen maßgeblich prägen, posttraumatische Belastungsstörungen, postpartale Depressionen oder sogar Psychosen auslösen. Auch auf die Kinder kann dieser Stress unter der Geburt später starke Auswirkungen haben. Babys, Mütter und Familien brauchen würdevolle Geburtshilfe. Die Geburtshelfer entsprechende Arbeitsbedingungen. Gemeinsam für würdevolle Geburtshilfe.
Frauen, die Gewalt unter Geburt erlebt haben, können sich an der Roses Revolution beteiligen. Die Aktion ruft dazu auf, zu den Kreißsälen zu fahren, in denen ihnen oder ihrem Kind Gewalt angetan wurde und dort eine rosafarbene Rose hinzulegen. Wer möchte kann ein Foto davon machen und es über die sozialen Medien teilen oder anonym veröffentlichen. So kann dem Krankenhauspersonal eine Rückmeldung gegeben und ein Stück Trauerarbeit geleistet werden. Die Aktion „Roses Revolution“ gegen Respektlosigkeit und Gewalt in der Geburtshilfe fand in diesem Jahr am 25. November zum fünften Mal statt.
Die Geschichte von Michaela
Die Geburt stellt für Mutter und Kind die sensibelste Phase ihrer Beziehung dar und stellt den Grundstein für die spätere Beziehung und Bindung zueinander und zu anderen. Personalmangel und das mangelnde politische Interesse an der Lage der Geburtshilfe in Deutschland stellen mit Sicherheit einen der größten Problemfaktoren dar.
Michaela ist 28 Jahre alt und erwartet ihr erstes Kind. Natürlich ist sie sehr aufgeregt und hat viele Wünsche und Pläne für die Zukunft und für die Geburt. Sie besucht einen Geburtsvorbereitungskurs, Yoga für Schwangere und liest viele Bücher und Artikel zu diesem Thema. Michaela ist selbst Kinderkrankenschwester. Sie kennt das Gesundheitswesen und konnte auch schon mehrmals Einblicke in den Bereich der Geburtshilfe, der Betreuung von Frauen im Wochenbett und der Pflege von Neugeborenen gewinnen. Sie nimmt alle Vorsorgetermine wie empfohlen wahr und findet auch eine sehr nette Hebamme, die mit ihrer Frauenärztin in einer Praxis zusammenarbeitet.
40. SSW: Der Mutter geht es schlecht
Michaela ist in der 40. Schwangerschaftswoche, ein neuer Termin bei ihrer Frauenärztin steht an und sie möchte mit ihr darüber reden, dass sie sich sehr unwohl fühlt. Sie hat seit zwei Tagen starke Kopfschmerzen und ein sehr aufgedunsenes Gesicht, fühlt sich immerzu müde und schafft es kaum noch aus der Wohnung. Der Weg in den nächsten Ort, zur Praxis der Ärztin, ist schon die reinste Tortur für Michaela. Sie kann kaum im Auto sitzen, bekommt wenig Luft, und das Gehen fällt ihr schwer.
Endlich in der Praxis angekommen, wird Michaela sofort hereingebeten. Auch die Ärztin und die Hebamme bemerken den schlechten Zustand sofort. Der Blutdruck ist stark erhöht und Michaela hat massive Wassereinlagerungen am Körper und im Gesicht. Der Urintest zeigt erhöhte Nierenwerte und im Ultraschall zeigt sich, dass sich die Fruchtwassermenge an der unteren Grenze hält, was die Ärztin dazu veranlasst, Michaela sofort in die große Geburtsklinik in der Nähe zu verlegen. Die Diagnose: beginnende Gestose.
Die Eltern sollen in die Klinik fahren
Michaela und ihr Mann fahren sofort los, die Geburtsklinik liegt nur drei Fahrminuten weg, die Tasche für die Geburt liegt schon seit zwei Wochen gepackt im Kofferraum. Die Aufregung ist groß und sie machen sich große Sorgen. So haben sie sich das nun alles nicht vorgestellt, aber es wird sicher gut gehen. Erste kleine Wehen waren im CTG schließlich auch zu erkennen und so fassen sie Mut, denn sie werden ihr Kind sicherlich bald in den Armen halten können.
In der Klinik angekommen wird Michaela sofort in den Kreißsaal geschickt. Dort angekommen nimmt ihr eine ältere, patent wirkende Hebamme die Einweisung ihrer Frauenärztin ab und sieht sie fragend an. Was sie nun damit denn solle, möchte sie wissen.
Michaela versteht die Frage nicht, da alles Nötige darauf vermerkt ist und die Frauenärztin vor ca. 10 Minuten mit der Klinik telefoniert hatte.
Ob das Kind denn jetzt geholt werden solle, fragt die Hebamme, ob Michaela denn einen Kaiserschnitt möchte? Ob es denn wirklich so dringend sei?
Das Denken fällt ihr schwer
Michaela kann kaum denken, die Kopfschmerzen und die Sorge um das Kind quälen sie sehr. Sie verbringt insgesamt sieben Stunden in der Klinik an diesem Tag, meist im Wartebereich des Kreißsaals. Sie wird zweimal per Ultraschall untersucht, es wird Blut abgenommen und eine weitere Urinprobe untersucht. Alle 30 Minuten wird ihr der Blutdruck gemessen. Alle Untersuchungen bestätigen die Diagnose der Frauenärztin.
Michaela bekommt nichts zu trinken angeboten und so besorgt ihr Mann zwei Flaschen Wasser und zwei trockene Laugenbrötchen in der Cafeteria. Michaela wird aber auch nicht aufgenommen. Die Tür des Stationsstützpunktes steht auf und sie hört, wie sich die Hebamme mit dem Oberarzt unterhält: Es sei kein Wunder, dass Michaela einen so hohen Blutdruck habe, meint die Hebamme. Mit ihrem Gewicht hätte das schließlich jede Frau. Der Oberarzt lacht und meint, er würde gleich zu Michaela gehen und mit ihr alles besprechen, die Hebamme solle ihr etwas gegen die Kopfschmerzen geben.
Hatte sie wirklich so viel zugenommen?
Michaela schämt sich sehr, sie hatte während der Schwangerschaft wirklich viel zugenommen, konnte keinen Sport mehr machen und die Schwangerschaftgelüste nach Schokoladeneiscreme hatten sie fest im Griff. Die Hebamme kommt, gibt Michaela einen Zettel auf dem der Name eines homöopathischen Mittels steht und schickt sie zum Warten in einen kleinen Raum. Der Oberarzt kommt, die Frauenärztin habe zwar recht, aber da alles nicht ganz so dramatisch sei und es ihrem Kind noch gut ginge, könne man noch etwas warten. Man habe im Moment auch keinen Kreißsaal frei, sodass Michaela besser noch mal kommen solle, wenn die Wehen wirklich einsetzen oder sich irgendetwas verschlimmere.
Michaela fuhr mit ihrem Mann nach Hause und weinte viel. Sie sollte von nun an jeden Tag zur Frauenärztin.
Vier Tage später wacht Michaela von starkem Ziehen im Bauch auf. Sie weiß sofort, dass es Wehen sind und weckt ihren Mann. In der Praxis ihrer Frauenärztin bestätigt das CTG die Wehen und Michaela fährt glücklich und aufgeregt mit ihrem Mann nach Hause, um alles vorzubereiten. Die Wehen verschwinden wieder und Michaela weiß, dass dies normal ist und macht sich keine Sorgen.
Die Wehen kommen nun häufiger
Sie wird, nach nur wenigen Stunden Schlaf, erneut von Wehen geweckt. Michaela geht in Ruhe duschen und als die Wehen stärker werden und in einem Abstand von 10 Minuten kommen, weckt sie ihren Mann. Sie fahren erneut zum Kreißsaal und werden dieses Mal von einer jungen und sehr freundlichen Hebamme begrüßt. Während diese Michaela untersucht, platzt auch die Fruchtblase und sie weiß nun sicher, dass es bald so weit ist.
Doch auch dieses Mal verschwinden die Wehen wieder und Michaela beginnt, sich Sorgen zu machen. Sie läuft mit ihrem Mann die Treppen des Krankenhauses auf und ab, geht mit ihm kurze Wege spazieren und versucht sich abzulenken, doch es passiert nichts. Die nette Hebamme und die Ärztin besprechen das weitere Vorgehen mit ihr. Michaela soll am nächsten Morgen mit Tabletten eingeleitet werden und muss Antibiotikainfusionen erhalten, damit ihr Kind durch die offene Fruchtblase keine Infektion bekommt. Michaela willigt ein, ihr wird nichts anderes vorgeschlagen und sie ist kaum noch in der Lage zu denken. Sie hat weiterhin Kopfschmerzen und ist unendlich müde.
Auch die folgende Nacht gestaltet sich wieder weitgehend schlaflos für Michaela und so nimmt sie bereits sehr früh die Tabletten zur Geburtseinleitung ein. Bereits 30 Minuten nach der Einnahme beginnen die ersten Wehen. Sobald die Tabletten aufhören zu wirken, sind sie jedoch auch wieder verschwunden. Die Hebammen haben in dieser Zeit Schichtwechsel und Michaela wird von einer ruhigen, gelassenen Frau in ihrem Alter betreut, die sie zum ersten Mal auch persönliche Dinge fragt – sie fragt nach dem Namen des Kindes oder welche Musik sie gerne hört.
Michaela soll schließlich eine PDA bekommen
So nimmt Michaela an diesem Tag drei Mal die Tabletten und wird am Abend völlig erschöpft zurück in ihr Zimmer gebracht. Etwa eine Stunde nachdem Michaela eingeschlafen ist, wird sie durch starke Schmerzen und Zittern am ganzen Körper geweckt. Sie schafft es kaum aufzustehen und klingelt nach einer Schwester. Diese kommt, misst die Temperatur, die jedoch im Normbereich liegt und bringt Michaela hinüber in den Kreißsaal. Dort angekommen wird sie von einer neuen Hebamme begrüßt, die sie erstmal umarmt und versucht ihr Mut zu machen.
Nach einer weiteren schlaflosen Nacht im Kreißsaal, verschwinden die Wehen erneut. Wieder eine neue Hebamme kommt zur Frühschicht und bespricht mit Michaela, dass sie nun die Einleitung über einen Oxytocin-Tropf versuchen möchten. Dieser verstärkt die Wehen, leider aber auch die Schmerzen, weshalb sie nur mit Unterstützung durch eine PDA arbeiten möchten. Michaela bittet darum, auf die PDA zu verzichten. Bittet darum in die Geburtswanne zu können, denn sie hat das Gefühl, dass dies gut für sie sein könnte und sie bittet darum, laufen zu dürfen oder andere Positionen einnehmen zu können, denn bisher durfte Michaela nur auf dem Rücken liegen, um regelmäßig CTGs durchführen zu können, obwohl es ihrem Kind wirklich gut ging.
Die Hebamme lächelt nur sanft und von hinten schiebt sich ein Mensch im blauen Kittel in den Raum: der Anästhesist. Er erklärt Michaela, wie eine PDA funktioniert und was er nun tun wird. Michaela hört nicht zu, nickt nur und bittet nochmals, in die Geburtswanne zu dürfen. Doch auch diese Hebamme hört nicht zu und dreht sich um, um die benötigten Medikamente aufzuziehen.
Und wieder die schroffe Hebamme
Nun liegt Michaela mit der PDA und dem Oxytocin Tropf im Kreißsaal. Es ist inzwischen Mittagszeit und die Hebammen haben Schichtwechsel. Vor ihr steht nun die ältere Hebamme, die sie vor einer Woche so gedemütigt hat. Sie weist Michaela schroff zurecht, dass sie stilliegen solle. Michaela hat beim Liegen starke Schmerzen im Rücken und der Hüfte und würde so gerne die Position wechseln. Sie fragt, ob sie etwas zu essen haben könne, da sie wirklich großen Hunger habe. Sie habe seit ihrer Aufnahme vorgestern noch kein Essen von der Klinik bekommen, woraufhin die Hebamme entgegnet, dass Michaelas Mann ja in der Cafeteria etwas besorgen könne. Dieser kümmert sich während all der Zeit mit all seiner Kraft um Michaela, ist jedoch selbst nicht mehr in der Lage, noch etwas zu sagen und geht los zur Cafeteria.
Michaela verspürt einen starken Harndrang. Sie klingelt nach der Hebamme, die sie alle fünf Minuten bitten muss, die Medikation nachzuspritzen. Michaela ist mittlerweile fast ohnmächtig vor Schmerzen. Auf die Frage, ob die Hebamme sie zur Toilette begleiten könne, entgegnet diese lachend, dass Michaela nirgends hin könne und einen Blasenkatheter bekomme, schließlich könne sie mit der PDA nicht mehr laufen.
Die Hebamme spreizt Michaela unsanft die Beine
Michaela bittet die Hebamme zu warten, bis die Wehe vorbei sei, doch diese hörte nicht und legt ihr den Blasenkatheter. Ab diesem Zeitpunkt kommt die Hebamme alle 20 Minuten, um nach dem Muttermund zu tasten. Michaela empfindet dabei große Schmerzen und bittet mehrfach, darauf zu verzichten. Doch auch diese Bitte wird nicht erhört.
Die Hebamme spreizt Michaela unsanft die Beine und schiebt ihre Hände in ihren Unterleib, alle 20 Minuten. Michaela weint jedes Mal leise. Sie ist kaum noch anwesend. Sie starrt nur noch auf die Uhr und hält die Hand ihres Mannes, der allem nur ohnmächtig zusehen kann. In diesem andauernden Schmerz zählt sie jede Sekunde und betet zu ihrem Kind, dass es doch zu ihr kommen möge, um dies alles zu beenden. Stundenlang.
Michaela ist müde, kraftlos und hoffnungslos, doch sie bemerkt plötzlich, dass sich die Wehen verändern. Etwas drückt mit starker Kraft nach unten, etwas zwingt sie zum Pressen und sie kann gar nicht dagegenhalten, nichts dagegen tun. Sie klingelt, und als die Hebamme hereintritt und sie ihr sagen möchte, dass sie endlich Presswehen hätte, tauchen hinter der Hebamme weitere Menschen auf. Der Tropf wird abgehängt und ihr wird etwas gespritzt. Sie sagt noch, dass sie Presswehen habe, doch als Erwiderung kommt nur: „Jetzt nicht mehr, wir machen einen Kaiserschnitt.“
Gibt es hier kein Mitspracherecht?
Michaela fragt, wieso. Es gehe ihrem Kind schlecht, bekommt sie zu hören. Michaela sieht sich das CTG an, sie kann keine Indizien dafür erkennen. Sie kann ein CTG lesen, hat dies gelernt. Sie sieht nochmals nach, sieht auf den Monitor, doch sie sieht nichts Auffälliges. Michaela versucht etwas zu sagen, doch da hebt man sie bereits auf den OP-Tisch. Sie fühlt sich wie in einem Alptraum, sie hört den Chirurgen sagen, dass er nun anfange und merkt die Spitze des Skalpells. Sie kann noch rechtzeitig rufen, dass sie alles spüre und es dauert nochmals einige Minuten, bis Michaela wirklich nichts mehr spürt.
Michaela bittet, bei der OP zusehen zu dürfen, bittet um einen Spiegel. Sie war oft bei OPs dabei, es beruhigt sie zu sehen, was passiert. Aber sie wird erneut ignoriert. Michaela weint und irgendwann wird ihr übel und kurz bevor ihr schwarz vor Augen wird, hört sie den Chirurg noch sagen, dass sie ein wunderhübsches Mädchen mit wundervollen langen Wimpern bekommen hat.
Die Nachwehen des Erlebten
Man sollte meinen, Michaela hätte in diesen Tagen genug Gewalt erfahren, doch sie wurde auch nach der Geburt noch Tage und Wochen auf ähnlichen Art und Weise behandelt. Die Geschichte von Michaela ist nicht erfunden und fand vor drei Jahren so hier in Deutschland statt. Sie zog lange Therapien nach sich und es gibt Tage, an denen Michaela immer noch weinen muss, wenn sie an das Erlebte denkt.
Sie kann sich auch nach drei Jahren immer noch nicht vorstellen, erneut ein Kind zu bekommen. Zu tief sitzt die Angst davor, dass sich diese Erfahrung wiederholen könnte. Ihrer Tochter bringt viel Glück in ihr Leben, doch der Schmerz und das Leid werden für Michaela trotzdem immer greifbar bleiben. Sichtbar ist nur die kleine Narbe des Kaiserschnittes, die mittlerweile verblasst ist und kaum noch sichtbar, doch die Narben in der Seele sitzen tief und fühlen sich immer noch frisch an.