Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) verlangt mit der aktuellen Entscheidung 1 BvR 2019/16 entgegen allen Vorinstanzen die positive Benennung eines dritten Geschlechts. Der Gesetzgeber sei gefordert, nach den Persönlichkeitsrechten im Grundgesetz (GG) bis 2018 im Personenstandsrecht ein 3. Geschlecht zu schaffen. Die Geschlechtszuordnung sei von 'herausragender Bedeutung' für jeden Menschen.
Es reiche als positive bio-psycho-sexuelle Identitätsbildung also nicht hin, lediglich die Kategorien "weiblich/männlich/weiß nicht" zu schaffen, das Personenstandsrecht müsse eine dritte konkret zu benennende Möglichkeit bekommen. Bis Ende 2018 habe der Gesetzgeber eine Neuregelung zu schaffen, da durch das geltende Recht das allgemeine Persönlichkeitsrecht Betroffener verletzt werde.
Das Anliegen des/r Beschwerdeführers/-in war klar: Er/sie war von Geburt an als "weiblich" eingetragen worden. Die weitere bio-psycho-soziale Entwicklung ließ aber keine eindeutige Geschlechtszuordnung zu. Das Standesamt lehnte den Antrag auf Eintragung als "inter/divers" oder nur "divers" mit dem Hinweis ab, das deutsche Personenstandsrecht lasse nur die Einträge "weiblich" oder "männlich" zu. Wenn eine Zuordnung nicht möglich sei, könne nur ganz auf die Eintragung eines Geschlechts verzichtet werden.
"Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt auch die geschlechtliche Identität derjenigen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen", betonte nun das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung 1 BvR 2019/16 [Beschluss 10. Oktober, veröffentlicht 8. November 2017]. Von "herausragende Bedeutung" ist die geschlechtliche Zuordnung für die individuelle Identität. "Sie nimmt typischerweise eine Schlüsselposition sowohl im Selbstverständnis einer Person als auch dabei ein, wie die betroffene Person von anderen wahrgenommen wird." Durch einen Eintragungsverzicht werde "nicht abgebildet, dass die Beschwerde führende Person sich nicht als geschlechtslos begreift, und nach eigenem Empfinden ein Geschlecht jenseits von männlich oder weiblich hat".
Das BVerfG schreibt in seiner Urteilsbegründung weiter, die derzeitige Regelung sei daher auch diskriminierend, weil sich nur Männer und Frauen, nicht aber die bundesweit angeblich rund 160.000 "Menschen in Deutschland mit Varianten der Geschlechtsentwicklung" personenstandsrechtlich einem Geschlecht zuordnen können. Das Grundgesetz stehe "der Anerkennung einer weiteren geschlechtlichen Identität" nicht entgegen. Niemand sei gezwungen, sich hierfür zu entscheiden. Umstritten bliebe allerdings die BVerfG-Meinung, es sei verfassungsrechtlich angeblich ebenso zulässig, im Personenstandsregister einheitlich für alle Bürger ganz auf die Eintragung eines Geschlechts zu verzichten, denn dann wäre die vorher beschworene Identitäts-stiftende positive Eintragung der Geschlechtsidentität verloren. Das BVerfG gab dem Gesetzgeber Zeit bis Ende 2018, "die Verfassungsverstöße zu beseitigen". Bis dahin dürfen Gerichte und Behörden nach 1 BvR 2019/16 nicht zwingend verlangen, dass sich Personen als männlich oder weiblich bezeichnen.
Das ist der eigenliche gesellschaftspolitische und juristische Knackpunkt: Den verfassungsmäßigen Grundrechten eines bio-sexuell bzw. psycho-sozial unbestimmbar differenzierten Menschen in Deutschland wurde quer durch alle Instanzen bis hin zum Bundesgerichtshof (BGH) mit juristischen Ausflüchten und Fehlentscheidungen auf Grund krasser Fehleinschätzungen begegnet. Erst das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe als letzte und höchste Instanz wollte und musste das im Grundgesetz verankerte Persönlichkeitsrecht unter AZ: 1 BvR 219/16 anwenden. Und hat den Gesetzgeber unmissverständlich aufgefordert, bis Ende 2018 eine Neuregelung mit der "positiven Bezeichnung eines 3. Geschlechts" zu verabschieden.
Die Angabe, dass bundesweit angeblich rund 160.000 Menschen in Deutschland mit Varianten der Geschlechtsentwicklung personenstandsrechtlich keinem Geschlecht eindeutig zuzuordnen sind, entbehrt nicht nur m. E. jeglicher Grundlage. Denn angeborene Fehlbildungen der Genitalorgane ohne zweifelbehaftete Zuordnung der Geschlechtsidentität fallen ebenso wenig darunter wie Transgender-, Transsexualität-, "Wrong-Body-" oder "Gender Dysphoria Syndrom"-Betroffene bzw. Turner-(X0) und Klinefelter-(XXY) Syndrome in meiner hausärztlichen Praxis und früheren Beratungstätigkeit.
Bei 82 Millionen Einwohnern in Deutschland und einer angenommenen Prävalenz der Intersexualität von 1 auf 2.500 bis 5.000 Geburten, wären von dieser Neuregelung zwischen 16.400 und 32.800 Personen in Deutschland unmittelbar betroffen. Statistische Erhebungen zur Prävalenz von Intersexualität gibt es für Deutschland unter anderem deshalb nicht, weil es bei intersexuellen Menschen nicht allein um Variationen der Geschlechtsmerkmale gehen kann, sondern um deren Zuordnungsfähigkeit.
Nur für diesen Personenkreis mit einem "Dritten Geschlecht" hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe als letzte und höchste Instanz das im Grundgesetz verankerte Persönlichkeitsrecht unter AZ: 1 BvR 219/16 angewendet. Der Gesetzgeber ist unmissverständlich aufgefordert worden, bis Ende 2018 eine Neuregelung für Menschen mit einer "positiven Bezeichnung eines 3. Geschlechts" zu verabschieden.