Immer mehr Menschen können ihren Internetkonsum nicht kontrollieren: Onlinesucht betrifft etwa ein Prozent der Bevölkerung, Tendenz steigend. In der Psychotherapie ist das Problem noch nicht richtig angekommen, dabei steht die Sucht in engem Zusammenhang mit Depressionen.
Die psychische Gesundheit von Menschen, die das Internet exzessiv nutzen, wird stark beeinträchtigt – das legt eine neue Studie des Forscherteams um Van Ameringen der McMaster University in Kanada nahe. Zum Einsatz kamen zwei unterschiedliche Messverfahren, der IAT (Internet Addiction Test) sowie ein innovatives eigens entwickeltes System. Das Resultat: Problematische Internetnutzung ist besonders verbreitet in der Gruppe der Studenten und Kinder.
Das Internet nimmt stetig mehr Platz in unserem Leben ein. Das hat zur Folge, dass es immer mehr Menschen gibt, für die es undenkbar ist, nicht ständig online zu sein. Generell unterscheidet man im Bereich der Internetabhängigkeit drei Hauptthemengebiete: Computerspiele, sexuelle Inhalte und soziale Netzwerke. Der IAT ist ein Standard-Test mit dem man messen kann, wie stark die Abhängigkeit vom Internet tatsächlich ist. Allerdings betont Van Ameringen: „Der IAT wurde 1998 entwickelt, noch vor der immensen Ausbreitung der Smartphone Technologie. Hinzu kommt, dass die Art, wie man das Internet verwendet, sich in den letzten 18 Jahren sehr verändert hat, mittlerweile gibt es viele Online-Berufe, Streaming-Dienste, Social Media, etc. Wir hatten Bedenken, dass der IAT nicht auf aktuelle Risiken des Internets eingeht bzw. aufgrund der generell vermehrten Nutzung in den letzten Jahren User zu voreilig als abhängig einstuft.“ In der Studie wurden 254 Studenten zu ihrem Internetverhalten in Verbindung mit psychischer Gesundheit befragt. Davon fielen nach den Kriterien des IAT 33 Befragte in den Bereich internetsüchtig. Bei Anwendung des neuen Screening Tools von Professor Van Ameringen und seinen Kollegen wurde bei 107 Personen der Gebrauch als problematisch eingestuft. Das Team führte weitere Tests hinsichtlich Symptomen wie Depression, Angststörungen, Impulsivität oder ADHS durch.
Personen, die sowohl laut IAT als auch des eigens entwickeltem Test als süchtig eingestuft wurden, hatten deutliche Probleme, ihren Alltag zu meistern. Das betrifft alle Lebensbereiche: zu Hause, bei der Arbeit/Schule und in sozialen Settings. In dieser Gruppe leiden deutlich mehr Personen an Depression, Angststörungen, ADHS, haben Probleme mit Zeitmanagement und damit, Dinge zu planen. Die Fragen, die dadurch entstehen sind grundlegend: Unterschätzen wir die Verbreitung der Internetsucht und sind diese psychischen Probleme ein Grund oder eine Konsequenz der exzessiven Verwendung?
Letztere Frage spielt speziell in der Psychotherapie eine wichtige Rolle: Patienten, die wegen Suchtproblemen behandelt werden, leiden womöglich eigentlich an Ängsten oder Depressionen und umgekehrt. Professor Jan Buitelaar der Radboud University Nijmegen sieht hier Nachholbedarf: „Exzessive Internetnutzung ist ein von der Wissenschaft vernachlässigtes Phänomen, das leichte bis massive Psychopathologie birgt. Ständiges Onlinesein könnte eng mit zwanghaftem Verhalten und Sucht verbunden sein; weitere und großflächigere Studien sind unbedingt notwendig.“
Gemäß der aktuellen Studienlage schätzt das Bundesministerium im diesjährigen Drogenbericht, dass ein Prozent der Bevölkerung zwischen 14 und 64 Jahren internetabhängig ist. Das Problem tritt in allen sozialen Schichten auf und ist nicht geschlechtsspezifisch. Besondere Aufmerksamkeit sollte man auf Kinder und Jugendliche richten, sie wachsen als Digital Natives auf und setzen sich sehr intensiv mit dem Internet auseinander. Laut einer Studie des Forsa-Instituts sind Jugendliche durchschnittlich täglich 2,6 Stunden online, am Wochenende kommen 20 Prozent sogar auf sechs Stunden oder mehr pro Tag. Während Jungen ihre virtuelle Zeit vorwiegend mit Onlinegaming verbringen, nutzen Mädchen vor allem soziale Netzwerke.
In einer Studie von 2015 des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet wurde das Verhalten von Kindern untersucht: 55 Prozent der Achtjährigen hat bereits Zugang zur virtuellen Welt. Bei den Sechsjährigen ist auch bereits ein Drittel mit dem Internet vertraut und sogar jeder zehnte Dreijährige ist hin und wieder online. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Marlene Mortler betont, wie wichtig ein offener Umgang der Eltern mit dem Problem ist, denn: „Der erhobene Zeigefinger bringt gar nichts.“
Eines der Projekte zur Suchtprävention heißt PIEK: Problematische und pathologische Internetnutzung – Entwicklung eines Kurzscreenings. Das Projekt wird von der Universität Lübeck durchgeführt. Ziel ist es, ein praxistaugliches Screening zu entwerfen, mithilfe dessen man bestimmen kann, ob jemand suchtgefährdet bzw. internetabhängig ist.