Als Apotheker sind wir so ziemlich die besten Multiplikatoren für Viren aller Art. Jeder, der erstmal nicht so genau weiß, ob er eine mittelprächtige Erkältung oder doch eine Influenza hat, kommt zu uns. Wir sollten uns nicht länger auf unserer Impfmuffeligkeit ausruhen.
Abrechnungsdaten zeigen die ungeschminkte Wahrheit: Nur 35 Prozent aller GKV-Versicherten über 60 Jahren haben sich gegen die saisonale Grippe impfen lassen, Stand 2015/2016. Bei Schwangeren waren es nur zehn bis elf Prozent. Aus allen Ecken kommt die Kritik, Deutschlands Bevölkerung habe keine Lust, sich impfen zu lassen – berechtigterweise.
Mit schlechtem Beispiel vorangehen
Heilberufler sind hier nicht gerade das leuchtende Vorbild. Zwar gibt es keine Daten zu Apothekern, aber sehr wohl zu Ärzten. Im Jahr 2010 sagten noch 61 Prozent aller Mediziner, sie würden sich regelmäßig gegen Grippe impfen lassen. 2015/2016 sah die Sache deutlich schlechter aus. Wissenschaftler führten die nächste Befragung an zwei Unikliniken durch. Rund 56 Prozent der Ärzte, 35 Prozent des Pflegepersonals und 27 Prozent der therapeutischen Berufe gaben selbst an, gegen Grippeviren geschützt zu sein. Für beruflich exponierte Risikogruppen ist das wenig.
Wie sieht es bei Ihnen aus – bei ihren approbierten Kollegen, ihren PTA oder PKA? Wahrscheinlich nicht besser. Gute Ausreden finden sich immer: der hektische Job, die lange Wartezeit auf den Arzttermin, das volle Wartezimmer. Sollte Deutschland wirklich von einer Grippewelle heimgesucht werden, trifft es Apotheken noch viel härter als Arztpraxen oder Kliniken: Gerade zu Beginn der Erkrankung wissen die wenigsten Patienten, ob es sich um einen mittelprächtigen Infekt oder tatsächlich um eine Influenza handelt. Ihr Weg führt erst einmal in die Apotheke – und das Apothekenteam ist der beste Multiplikator für Viren aller Art.
Es geht aber nicht nur um die Gesundheit. Eigentlich verschenken Inhaber eine gewaltige Chance für ihre Außendarstellung. In Anlehnung an eine frühere ABDA-Plakatkampagne könnten sie werben: „Wir sind ... alle geimpft und deshalb auch bei der nächsten Grippewelle für Sie da.“
Selbst ist der Apotheker
Damit ist das Ende der Fahnenstange aber längst nicht erreicht. Apotheker aus der Schweiz oder aus Großbritannien dürfen – in begrenztem Umfang – die Nadel schwingen. Saisonale Influenza gehört mit dazu.
Medizinern gefällt der Gedanke nicht. Der MDR zitiert eine Ärztin mit den Worten, in Ländern, in denen das flächendeckend versucht werde durch die Apotheken zu verbessern, habe es auch nicht zu durchschlagenden Erfolg geführt. Die Skepsis der Menschen vor der Grippeimpfung sei auch da gegeben.
Derart pauschale Formulierungen sind falsch. Britischen Pharmazeuten ist es gelungen, in der Saison 2016/2017 fast 820.000 Grippeimpfungen zu verabreichen. In 2015 / 2016 waren es knapp 600.000.
Alistair Buxton vom NHS, dem öffentlichen Gesundheitssystem auf der Insel, findet einfache Worte zur Erklärung: Patienten würden es schätzen, dass die Grippeimpfung in öffentlichen Apotheken „so bequem und leicht zu bekommen ist“. Ähnlich erfreut regierten viele Kunden in der Schweiz. Lokale Medien sprachen bei der letzten Saison sogar von einem „Impfboom“.
Ärzten contra geben
Die Erfahrungswerte anderer Staaten lassen sich nicht einfach ignorieren. Was hält Deutschlands Apothekerschaft davon ab, ähnliche Forderungen zu stellen? Es ist die Angst vor Ärzten.
Dass Mediziner kein Blatt vor den Mund nehmen, wenn es um Präventionen geht, ist nicht neu. Zum „Tag der Apotheke“ hatten Kollegen gefordert, sich stärker einzubringen. Damals schoss Wieland Dietrich, Vorsitzender der Freie Ärzteschaft, mit scharfer Munition zurück. Präventionsleistungen jeglicher Art sieht er fest in medizinischer, nicht in pharmazeutischer Hand. Sogar von möglichen „Interessenskonflikten“ ist die Rede. Umgehend packt er seine Geheimwaffe aus und fordert das ärztliche Dispensierrecht.
Fehlt Deutschlands Apothekern schlicht und ergreifend das Selbstbewusstsein, um ähnliche Forderungen aufzustellen wie ihre Kollegen aus der Schweiz oder aus Großbritannien?