Weniger Komplikationen, weniger Todesfälle: Spezialisierte Kliniken behandeln ihre Patienten erfolgreicher. Zu diesem Ergebnis kommen Forscher der Bertelsmann-Stiftung. Ihre Methodik stößt bei Standesvertretern auf Kritik – zu Recht?
Eine neue Veröffentlichung des Berliner Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung sorgt für Diskussionen. Forscher gingen im „Faktencheck Gesundheit“ der Frage nach, welchen Effekt mehr Spezialisierung bei Kliniken auf die Versorgungsqualität hat. Im Mittelpunkt ihrer Studie standen planbare Eingriffe wie das Einsetzen von Hüftgelenksendoprothesen, Prostatektomien, Bypass-OPs sowie Herzklappenersatz.
Dazu einige Zahlen aus der Simulation. Würden bundesweit Endoprothesen nur in Häusern mit 176 oder mehr Eingriffen pro Jahr eingesetzt, ließen sich im gleichen Zeitraum 140 Todesfälle vermeiden. Im Jahr 2014 gab es jedoch 311 Kliniken mit weniger als 50 OPs, heißt es im Report. Ähnlich kritisch beurteilen Forscher der Bertelsmann-Stiftung die Situation bei Interventionen zur Entfernung der Prostata. Von 414 Kliniken, die diese Operation vornehmen, hatten 43 weniger als fünf Patienten pro Jahr. Mögliche Komplikationen sind Inkontinenz oder Impotenz. Und Patienten, die sich kardiologischen Eingriffen unterziehen, sind in spezialisierten Krankenhäusern ebenfalls besser aufgehoben.
Nur was bringt diese Erkenntnis für die Praxis? Verbindliche Mindestmengen könnten die Qualität bei etlichen Eingriffen verbessern. Patienten profitieren von mehr Sicherheit. Im gleichen Atemzug sinken Folgekosten durch Komplikationen. Mehr Spezialisierung führt zwangsläufig zur Schließung wenig frequentierter Fachabteilungen, wie die Simulation zeigt. Unter der Annahme höherer Mindestmengen verringert sich die Zahl leistungsberechtigter Einheiten bei Prostata-Entfernungen theoretisch von 414 auf 195, bei Herz-Bypässen von 88 auf 71, bei Herzklappen-OPs ohne TAVI (Transkatheter-Aortenklappenimplantation) von 106 auf 72, und bei TAVI von 137 auf 88. Trotz dieser Zahlen rechnen Wissenschaftler nicht mit einem bundesweiten Kliniksterben. Sie halten Kooperationen zwischen mehreren Häusern für denkbar, um Patienten möglichst effizient zu behandeln. Experten sehen auch die Grund- oder Notfallversorgung nicht in Gefahr, falls sich Mindestmengen auf planbare Eingriffe beschränken. Laut IGES-Studie besteht schon heute die Möglichkeit, mehr Spezialisierung umzusetzen. „Allerdings müssten die für einige Operationen bestehenden Mindestmengen eingehalten und kontrolliert sowie die Regelungen auf weitere Krankheitsbilder ausgedehnt werden“, schreiben die Autoren. „Auch sollten beispielsweise die im Krankenhausstrukturgesetz festgeschriebenen Qualitätskriterien für die Krankenhausplanung der Länder verbindlich sein und konsequent umgesetzt werden.“
Letztlich spricht viel für die Behandlung in spezialisierten Zentren. Patienten, aber auch Kostenträger, scheuen sich vor längeren Anfahrtswegen. Auch diesem Aspekt sind Wissenschaftler nachgegangen. Ihre Simulation zeigt, dass sich Fahrzeiten im Schnitt um lediglich zwei bis fünf Minuten verlängern. Ein Krankenhaus mit Fachabteilung für Hüftgelenksendoprothetik wäre in elf statt neun Minuten erreichbar. Um anerkannte Kapazitäten für eine Prostatektomie zu erreichen, vergrößert sich die Zeit von 15 auf 20 Minuten. Bei Herz-Bypässen sind es 28 statt 26 Minuten. Für Herzklappen ohne TAVI ergaben Simulationen 28 statt 25 Minuten, und für TAVI 27 statt 23 Minuten. Bleibt als Kritik, dass sich der Anteil an Patienten mit Fahrzeiten von mehr als 60 Minuten stark erhöhen würde. Bei Prostata-Entfernungen rechnen IGES-Experten mit 0,7 versus aktuell 0,06 Prozent. Bei Herz-Bypässen wären es 6,0 versus 3,4 Prozent, bei Herzklappen ohne TAVI 6,0 versus 3,2 Prozent, und bei TAVI 5,5 versus 1,7 Prozent. Diese Zahlen gelten in erster Linie für Patienten aus ländlichen Regionen. In Ballungszentren erreichen sie spezialisierte Einrichtungen schon heute ohne nennenswert längere Wege.
Nach Veröffentlichung der Studienergebnisse meldete sich umgehend Georg Baum zu Wort. Er ist Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). „Es gibt keine Daten, die die Schlussfolgerung der Studie beispielsweise bei Hüftoperationen stützen würden, da es keine Informationen über die gesundheitliche Gesamtsituation der Patienten gibt“, erklärt Baum. „Die Daten der Qualitätsberichte sind für eine solche Schlussfolgerung nicht geeignet.“ Hier fehle fehlt jegliche Risikoadjustierung. Außerdem seien Grenzwerte „beliebig und ohne evidenzbasierte Grundlage“ gezogen worden.
Offizielle Stellungnahmen aus Berlin gibt es bislang nicht. Die Bundesregierung wird sich bis zur Wahl 2017 kaum mit dem unangenehmen Thema auseinandersetzen. Kliniken haben aber schon heute die Möglichkeit, sich auf freiwilliger Basis zertifizieren zu lassen. Beispielsweise zertifiziert die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) Häuser als Referenz-, Kompetenz- und Exzellenzzentren. Sie legt für unterschiedliche Eingriffe Mindestfallzahlen fest.