Unangerührt und abserviert: Das ist das Schicksal von so manchem Tablett mit Krankenhausessen. Jeder Klinik-Patient erhält in der Regel drei Mal täglich eine Mahlzeit, davon landen viele Speisen unangetastet im Müll. Das ist schade – und manchmal sogar gefährlich.
Angenommen, dir oder einem Angehörigen geht es so schlecht, dass er oder sie ins Krankenhaus muss. Dort wird man dann untersucht und gesundheitlich umsorgt oder zumindest im Auge behalten. Sollte man denken.
Krankenhausessen ist oft nicht wirklich „gut“ (es ist ja auch kein Hotel) und ich bin mir auch dessen bewusst, dass es Länder gibt, wo man üblicherweise in der Klinik von den Angehörigen versorgt werden muss. Bei uns ist das nicht so, allerdings bin ich inzwischen so weit, dass ich den Leuten, die ins Krankenhaus müssen, empfehle, jemanden dabei zu haben, der ein bisschen mit aufpasst. Darauf gekommen bin ich nachdem ich mehrere Geschichten von Patienten und Bekannten gehört habe.
Beispiel 1
Die ältere Mutter einer Bekannten muss ins Krankenhaus wegen akuter Verschlechterung ihres Allgemeinzustandes (Schmerzen und Atemprobleme). Beim Besuch ein paar Tage später fällt der Bekannten auf, dass es ihrer Mutter nicht gut geht. Die Mutter gehört zu der Generation, die nicht gerne anderen zur Last fällt und sich kaum beklagt. Die Tochter bemerkt, dass ihre Mutter Mühe hat mit dem Essen. (Kauen und der Handhabung des Bestecks). Sie meldet dies, damit man darauf achtet und eventuell das Essen anpasst.
Als sie am nächsten Tag zu Besuch kommt, trifft sie an der Tür die Pflegerin, die gerade das Tablett mit dem Essen abräumt, und fragt:
„Meiner Mutter geht es nicht gut. Ich glaube, sie trinkt und isst nicht genug.“
„Sie hat gerade gegessen“ – antwortet die Pflegerin und deutet auf das abgedeckte Tablar.
„Hat sie wirklich gegessen?“
„Natürlich. Sie bekommt drei Mal täglich ihr Essen und genug zu trinken.“
„Schauen Sie mal unter die Abdeckung.“
Die PFF hebt den Deckel: Aufschnitt. Brötchen mit Käse und Schinken und ein Tupfen Quark. Vom Quark fehlt etwas, der Rest ist unberührt.
„Sie isst eben nicht. Sie stellen das hin und räumen es wieder weg und merken nicht einmal, dass sie gar nichts zu sich nimmt. Sie hat Schmerzen beim Kauen und sie hat Probleme mit den Händen und ist zu zurückhaltend, als dass sie nach Hilfe fragen würde. Ich habe schon bei früheren Besuchen angemeldet, dass sie möglichst weiches Essen braucht, aber das sieht nicht danach aus.“
Beispiel 2
Dann war da der schizophrene Bruder einer unserer Patientinnen. Nach einem Unfall, bei dem er die Rippen gebrochen hat und ins Spital muss, findet ihn seine Schwester bei einem Besuch nicht ansprechbar im Spitalbett. Die herbeigerufenen Pfleger und Ärzte müssen dann feststellen, dass er stark dehydriert ist und auch seit Tagen nicht mehr gegessen hat. Auch hier wurde das Essen hingestellt und wieder abgeräumt. Dass er nicht gegessen und getrunken hat, hatte hier vielleicht weniger mit den Schmerzen als mit seiner Grunderkrankung zu tun, aber dass etwas nicht stimmt, ist dort niemandem aufgefallen.
Ich weiß, wie wenig Zeit die Pflegenden für einen einzelnen Patienten in der Klinik haben und dass ein Teil dieser Zeit heute auch noch mit den notwendigen Dokumentationen aufgefressen wird. Diesen Zustand sehe ich einfach mehr als bedenklich. Vor allem, wenn ich daran denke, dass diese Dokumentation wohl eingeführt wurde, damit derartiges wie oben vielleicht nicht mehr passiert – und nicht nur zur korrekten Leistungsabrechnung. Dass der Status Quo nicht die Endlösung ist, zeigt sich in Situationen wie oben beschrieben. Ich bin sicher, da stand in der Dokumentation so etwas wie „Essen: Diätteller A. Essen gebracht um X Uhr. Gegessen bis XX Uhr.“
Weniger Dokumentation und mehr Einfühlungsvermögen
Sowas kann doch nicht sein – und wie gesagt, ich weiß von mehr als nur diesen beiden Fällen. Die Liste geht weiter. Einer Kollegin ist beispielsweise bei der Durchsicht der monatlichen Rechnung des Pflegeheims aufgefallen, dass bei ihrer Mutter immer noch täglich ein Kaffee für CHF 1.80.– verrechnet wird. Ihre Mutter ist seit drei Monaten nicht mehr in der Lage, selber zu essen und zu trinken – sie ist komatös und wird intravenös ernährt. Sie kann gar keinen Kaffee (oder sonstwas) selbst trinken. Trotzdem bekommt sie ihn offenbar täglich hingestellt und er wird, wenn er kalt ist, wieder abgeräumt?
Wenn im Krankenhaus keinem der Mitarbeiter Missstände wie diese auffallen, liegt es an den Angehörigen, ein Auge drauf zu haben. Wenn es Probleme gibt, sollten sie unbedingt einschreiten und das Personal darauf aufmerksam machen.