Kollegin Frischling ist ein entzückendes Rehkitz. Wissbegierig, neugierig, ambitioniert, motiviert. Die helfende Hand im Team. Das unsichtbare, intelligente, kleine Wesen, das irgendwie immer da ist. Überall herum tollt und alles in sich auf saugt wie ein Schwamm.
Das Reh springt von der Notaufnahme auf Station, in den OP, zurück in die Notaufnahme, zur Sekretärin und verweilt dann bis spät abends vor dem PC, um die übrig gebliebenen Arztbriefe zu diktieren. Den Kollegen Mc Sexy, Oberfeldwebel und Co. fällt sie nicht weiter auf. Außer, dass die wegen ihm weniger unangenehme Arbeit erledigen müssen.
Die Viggos sind am Nachmittag alle schon gelegt, die Aufklärungen erledigt und am frühen Morgen die liegen gelassenen Arztbriefe wie von Geisterhand geschrieben. Das Reh nimmt auch keinen Urlaub. Dass die Urlaubspläne für das Jahr schon fertig sind, fällt ihm erst im August ein. Wenn es heiß wird, und die Freunde Bilder vom Strand schicken.
Die Antwort „Nein“ gibt es im Wortschatz des Rehs nicht.
„Ja, selbstverständlich bleibe ich noch etwas länger, Herr Oberarzt.“
„Natürlich kann ich den Wochenenddienst übernehmen, Kollege.“
Das Reh wird allerdings immer schwächer und dünner. Die Haare werden dünn und die Knochen unter den Scrubs sichtbar. Ohne Schlaf und ohne regelmäßiges Essen gibt es keine Regeneration. Irgendwann wird auch das strebsamste Reh müde. Und dann kommt die Stunde der Wahrheit. Wird das Rehkitz nun zur Hirschkuh oder nicht. Natürlich muss es diese Entscheidung selbst fällen.
Aber da gibt es ja glücklicherweise noch einige Hirsche im Feld, die immer ein Auge auf die heranwachsenden Zöglinge haben. Die im OP irgendwann die Haken halten und dem Rehkitz das Skalpell übergeben. „So, Frau Frischling. Dies ist ihre OP. Ich bin ihr Assistent. Legen Sie los.“ Und sollte ein Problem auftreten, dem Rehkitz einen kleinen Stups geben. „Ja, ich sehe, dass die Reposition geschlossen nicht geht. Was machen Sie jetzt? Entscheiden Sie sich. Ich bin nur ihr Assistent.“
Die Hirsche, die sich im Schockraum hinter das Rehkitz stellen und ihr das Wort überlassen. Weil sie wissen, dass man nur so besser in seinem Job wird. Kollegin Frischling ist diese Woche zur Hirschkuh geworden. „Nein, Kollege Oberfeldwebel. Ich kann morgen nicht die Station übernehmen. Ich stehe mit Oberarzt Hirsch den ganzen Tag im OP. Da muss jemand anderes die Stationsarbeit erledigen.“ Es sollte mehr solcher Hirsche im Feld geben. Rehkitze gibt es genug.