Der umstrittene Versandgigant überlegt, in den Handel mit Arzneimitteln einzusteigen. Krempelt der Konzern bald den Markt um? Amazon-Strategen hadern noch mit der Entscheidung, Apotheker sind bereits alarmiert. Anyway: Kein Grund, in Schockstarre zu verfallen.
Im Mai platze die Bombe. Wie CNBC, ein weltweit aktiver Nachrichtensender, herausfand, plant Amazon Manager mit Pharma-Expertise einzustellen. Der Versandgigant tastet sich in Richtung Arzneimittelversand vor. Primär geht es um den US-amerikanischen Markt. Um hier Fuß zu fassen, gibt es der US-Bank Goldman Sachs zufolge mehrere Strategien.
Markteintritt mit Hindernissen
Für Analysten ist klar, dass es sich um keinen Selbstläufer handelt. „Amazon hadert mit dem Einstieg in den Verkauf von Medikamenten“, heißt es beim „Amazon Watchblog“.
Testballons in Deutschland
Auch hier zu Lande lotet der Konzern seine Möglichkeiten noch recht vorsichtig aus. In München können sich Kunden von Prime Now OTCs oder Nahrungsergänzungsmittel über eine Partnerapotheke liefern lassen. Das normale Zeitfenster liegt bei zwei Stunden. Wer als Rahmen nur eine Stunde vorgibt, zahlt weitere 7,99 Euro (früher 6,99 Euro). Mindestbestellwerte von 40 Euro machen die Sache noch kostspieliger. Viele Apotheker befürchten, der Konzern könne unseren Markt umkrempeln. Anstatt in Schockstarre zu verfallen, ist es an der Zeit, die eigenen Stärken auszuspielen:
1. Einen spürbaren Mehrwert für Kunden bieten
Arzneimittel sind zwar „Waren der besonderen Art“ und keine Konsumgüter. Trotzdem können Apotheker viel von der Lebensmittelbranche lernen. Nachdem fast alle „Tante-Emma-Läden“ dem Erdboden gleich gemacht worden sind, hat sich die Branche erneut gewandelt. Heute gibt es etliche Feinkost-Geschäfte, Biomärkte oder Hofläden. Konsumenten sind bereit, höhere Preise zu zahlen, falls die Qualität und der Service stimmen. Wer Arzneimittel nur aus der Schublade zieht, macht sich ersetzbar. Wer berät, auch mal abrät, aber nicht.
2. Digitalisierung ist nicht „pfui“
Kunden, die von morgens bis abends arbeiten, haben nicht unbedingt Zeit, sich noch in Geschäfte oder Apotheken zu schleppen. Der vorhandene Wunsch, bequem online einzukaufen und Waren bis an die Haustüre zu bekommen, hat Amazon großgemacht – nicht der Preis. Viele Artikel sind deutlich teurer als bei Einzelhändlern.
Im pharmazeutischen Bereich warten Kunden häufig vergebens auf Digitalisierungsstrategien. Apokix berichtete im April, der Nutzen von Websites sei „noch nicht für jeden Inhaber klar ersichtlich“. Wir schreiben das Jahr 2017! Digitalisierung fängt nicht mit der maroden elektronischen Gesundheitskarte an, sondern mit eigenen Initiativen. Wer sich auf andere verlässt, vor allem auf die Standespolitik, der ist verlassen.
Die Website, Social Media-Bausteine oder wertige Newsletter gehören heute dazu. Und wer auf das datenschutzrechtlich böse WhatsApp verzichtet, verliert Kunden eben an die Konkurrenz. Der Instant Messaging-Dienst macht Sinn, weil sich Kunden in genau dieser Welt bewegen. Eigene Apo-Apps sind teuer und bei Kunden wenig beliebt – die Download-Raten lasse sich an einer Hand abzählen.
3. Wir sind schneller
Noch ein Blick auf die Geschwindigkeit. Was bringt One Day Delivery, wenn regionale Apotheken schneller handeln? Laut Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO), Paragraph 17, ist die Zustellung durch Boten „im Einzelfall ohne Erlaubnis nach Paragraph 11a des Apothekengesetzes“, also ohne Versandhandelserlaubnis, zulässig. Dieser Passus lässt sich vergleichsweise weit fassen. Bislang existieren keine Urteile gegen Apotheken mit emsigem Botendienst.
Kunden schätzen Bequemlichkeit – und den vertrauten Service ihrer Apotheke. Klar kostet jede Lieferung Geld. Amazon lässt sich schnelle Services auch vergolden und viele Kunden sind bereit, einen Obolus zu entrichten. Warum nicht selbst einen Mindestbestellwert oder eine Transportpauschale erheben?
4. Auch mal neue Wege wagen
Außerdem gibt es etliche Services, die Amazon derzeit nicht erbringen kann. Ärzte haben es vor Jahren schon kapiert – und IGeL-Leistungen eingeführt. Der Markt ist in Deutschland mehr als eine Milliarde Euro schwer. Kaum eine Praxis, die keine Angebote für Selbstzahler im Programm hat.
Das können Apotheker in vielen Fällen auch. Wie wäre es mit umfassenden Medikationsanalysen gegen ein angemessenes Honorar? Oder Routinekontrollen von Laborwerten, bei denen ein Stich in die Fingerkuppe ausreicht (natürlich ohne Diagnose)? Auch junge Familien oder Sportler sind veritable Zielgruppen, denen man umfassende Beratung zur Ernährung anbieten könnte. Ideen, um Alleinstellungsmerkmale gegen Amazon herauszuarbeiten, gibt es viele.