Apotheker stehen vor der Wahl: Teure Reste von Zytostatika wegwerfen oder verfallene Medikamente auf eigenes Risiko ausgeben. Nun tobt ein Streit zwischen Herstellern, Kassen und Apothekern. Onkologen sehen hilflos zu, der Schaden für Patienten ist nicht absehbar.
Auf das Milligramm genau zieht der Apotheker in seinem Reinraumlabor die Lösung mit einer Spritze aus der Ampulle. Er muss hochkonzentriert arbeiten, denn es handelt sich um ein gefährliches und empfindliches Medikament. Zytostatika zum Bekämpfen von Krebszellen sind hoch toxisch und zudem kurz haltbar, die Portionen aber oft größer als der Bedarf. Mit verheerenden Folgen: Die Kosten für Krebsmittel sind in den letzten Jahren explodiert, die Kosten für ungenutzte Verwürfe überschreiten dieses Jahr erstmals die 60-Millionen-Euro-Marke. Die Hauptakteure sind damit beschäftigt, sich gegenseitig die Schuld zuzuschieben: Die Apotheker zeigen auf die Krankenkassen, die Krankenkassen auf die Hersteller. Und die Hersteller sehen die Schuld bei der EMA. Das schafft Verunsicherung bei den behandelnden Ärzten. Und am Ende ist der Patient der Dumme. Wie konnte es so weit kommen? Ein Apotheker, der Zytostatika zur Behandlung von Krebs selbst herstellt, muss dafür ein minutiös vorbereitetes Protokoll einhalten. Je nach Patient ist die Dosierung unterschiedlich, sie wird nach der Körperoberfläche berechnet. Das Ziel der Behandlung: Möglichst viele Tumorzellen sollen sterben, während die gesunden Zellen überleben. Dabei läuft ein Countdown: Ist das Präparat fertig hergestellt, muss der Patient es so schnell wie möglich bekommen, “unverzüglich” fordert ein Hersteller, spätestens innerhalb von acht Stunden. Nur eine Stunde dauert es maximal bei dem Mittel Cabazitaxel, das gegen Prostatakrebs eingesetzt wird, bis es laut Hersteller Sanofi an Wirksamkeit verliert: „Aus mikrobiologischer Sicht sollte die Konzentrations-Lösungsmittel-Mischung sofort verwendet werden“, erklärt Sprecherin Stephanie de Felice-Reidegeld. Das Problem: Das Medikament, das von Sanofi unter dem Namen Jevtana vertrieben wird, ist nur in einer Durchstechflasche mit 60 Milligramm von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zugelassen. Eine Menge, die deutlich über der liegt, die ein durchschnittlicher Patient braucht. Die Folgen der zu großen Packung sind teuer: Was nicht sofort verbraucht werden kann, wird entsorgt. Das wertvolle Medikament landet im Müll und wird verbrannt. Die EMA erklärt, sie entscheide nach einem festen Prüfverfahren auf Antrag des Herstellers über die Zulassung eines Medikaments in der EU. In dem Antrag sind auch Dosierung, Konzentration und Füllmenge angegeben. Ob diese angemessen sind, werde von der EMA mit überprüft. Erst dann spricht die EMA ihre Empfehlung für die Zulassung aus. Für eine neue Darreichungsform, also auch eine andere Menge, braucht es eine neue Zulassung - und einen wissenschaftlichen Grund. Für Jevtana liegt der EMA laut einer Sprecherin derzeit kein Antrag auf eine weitere Zulassung vor.
Cabazitaxel ist kein Einzelfall: Bei vielen onkologischen Präparaten fallen teure Verwürfe an, die durch zu große Packungsgrößen und extrem kurze Haltbarkeiten entstehen. Mehr als 85 Prozent der Zytostatika müssen innerhalb von 24 Stunden nach Zubereitung verabreicht werden. Verwürfe sind dabei kaum zu vermeiden - und diese summieren sich zu hohen Beträgen, die jedes Jahr steigen. Laut dem Spitzenverband der gesetzlichen Kassen (GKV) entstanden 2015 auf diesem Weg Kosten von rund 60 Millionen Euro. 2016 werden es wahrscheinlich 66 Millionen sein, so ein Sprecher der GKV, zehn Prozent mehr als im Vorjahr. Besonders in die Kritik geraten ist dabei das Mittel Bortezomib, auf das fast ein Viertel dieser Summe entfällt. Und obwohl der Hersteller Janssen-Cilag eine Zulassung für eine Ein-Milligramm-Ampulle hatte, ist der Wirkstoff heute nur in 3,5-Milligramm-Ampullen erhältlich. Im Schnitt braucht ein Patient 2,4 Milligramm. Die Häufigkeit der Anwendung ist sehr unterschiedlich und hängt unter anderem von der Art des Tumors und der Körperoberfläche des Patienten ab. Das angemischte Präparat muss innerhalb von acht Stunden verbraucht werden, danach verfällt es. So landen jedes Jahr Millionen Euro im Müll. Ein Milligramm Bortezomib kostet rund 460 Euro. 3,5 Milliliter Velcade von Janssen werden derzeit für 1.643 Euro gehandelt. Zahlen muss den teuren Verwurf die Kasse des Patienten, der zuletzt mit dem Krebsmedikament behandelt wurde, also die Krankenversicherten. Die Kassen wehren sich gegen diese Praxis, die Abrechnung der Reste ist für Apotheker kompliziert und häufig bleiben sie auf den Kosten sitzen. Es wird gestritten und gerungen - sogar vor Gericht. Im Frühjahr gab das Sozialgericht Würzburg einem Apotheker Recht, der auf die Erstattung von knapp 34.000 Euro durch Bortezomib-Verwürfe durch die AOK Bayern klagte. Der Apotheker habe sich streng an die Anweisungen des Herstellers gehalten. Darin heißt es: „Die gebrauchsfertige Losung muss unverzüglich nach der Zubereitung verwendet werden. Wenn sie nicht unverzüglich eingesetzt wird, ist der Anwender für die Dauer und die Bedingungen der Aufbewahrung vor der Anwendung verantwortlich.“
Das Urteil folgte nicht der Begründung der AOK, die angeführt hatte, „dass die Fachinformationen des Herstellers des in den onkologischen Zubereitungen verwendeten Fertigarzneimittels für die Feststellung der Haltbarkeit des Anbruchs nicht maßgeblich seien. Die Fachinformationen würden sich an den Anwender der gebrauchsfertigen Lösung richten, also an den Arzt.“ Die AOK Bayern ging in Berufung, das Verfahren läuft, das Urteil ist nicht rechtskräftig. Dies sei ein Einzelfall, sagt ein Sprecher der Barmer GEK, ohne Auswirkung auf die Prüfungs- und Abrechnungspraxis. Einen grundsätzlichen Konflikt sieht die Krankenkasse darin nicht, Abrechnungsprüfung gehöre zum Routinegeschäft. „Dass es dabei in Einzelfällen zu Nachfragen kommen kann um Sachverhalte zu klären, liegt im beiderseitigen Interesse“, so Barmer-Sprecher Thorsten Jakob. Diese und ähnliche Streitfälle führen dazu, dass die rund 300 Apotheken, die in Deutschland Infusionen für Chemotherapien herstellen dürfen, meist die Haltbarkeitsgrenzen überschreiten. Nur rund acht Prozent unter ihnen halten sich streng an die Fachinformationen der Hersteller, ergab eine Umfrage der Apotheke des Uniklinikums Freiburg 2014. 92 Prozent der befragten Apotheker tun das nicht. Das Bundesministerium für Gesundheit erklärt dazu: „Es ist verboten, Arzneimittel, deren Verfalldatum abgelaufen ist, in den Verkehr zu bringen. Das vorsätzliche oder fahrlässige Inverkehrbringen von Arzneimitteln stellt eine Ordnungswidrigkeit dar.“ Ordnungswidrigkeiten sind keine Straftaten, sondern „geringfügige Verletzungen der Rechtsregeln“. Bestraft werden sie in der Regel mit Geldbußen. Dieses Risiko trägt der Apotheker. Was diese Praxis für die Sicherheit der Patienten bedeutet ist unklar. Ebenfalls ein Risiko?
Klaus Meier, Vorsitzender des Arbeitskreises Onkologische Pharmazie der DKG © Foto Meier „Ein Unding“, nennt Klaus Meier, Vorsitzender des Arbeitskreises Onkologische Pharmazie der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG), die gängige Praxis. „Als Apotheker kann und sollte ich nichts anderes tun, als unter den Bedingungen herstellen, wie sie in den Richtlinien der Herstellungserlaubnis durch die Aufsichtsbehörden angegeben sind.“ Ob ein Überschreiten des Verfallsdatums ein Risiko für den Patienten darstelle, wisse er nicht: „Ich kann nicht sagen, ob die Praxis, Medikamente über die Haltbarkeit zu verwenden, schädlich ist. Denn dann müsste man den Nachweis erbringen, dass es schädlich ist. Ich kann also nicht etwas behaupten, was ich nicht belegen kann. Ich kann aber belegen, dass es nicht erlaubt ist, Medikamente über die Haltbarkeit die in den Fachinformationen beschrieben wird hinaus zu verwenden.“ Die Verantwortung dafür liegt nach Meiers Auffassung beim Hersteller. Er müsse sagen, ob ein Mittel haltbar ist oder nicht. Denn ein Medikament habe immer zwei Stabilitäten, eine chemische und eine mikrobiologische: „Die chemische sagt, dass ein Medikament verfallen kann, wenn es nicht in entsprechenden Rahmenbedingungen gelagert oder aufbewahrt wird“, so der Okologe. Ein Medikament, das unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen hergestellt würde, habe auch unterschiedliche mikrobiologische Stabilitäten. Es ginge also nicht allein um den Rohstoff. Präparate würden sich im Lauf der Zeit in ihrer chemischen Zusammensetzung verändern. Die Frage sei, wie: „Ich habe ein chemisches Labor und ich untersuche auch Rohstoffe. Doch eine Untersuchung auf Stabilität eines Zytostatikums kann ich nicht durchführen.“
Klaus Weber, Hämatologe und Onkologe © Foto Weber Auch ein Onkologe kann nicht sicher sagen, ob und wann ein Zytostatikum seine Wirksamkeit verloren hat: „Einen möglichen Schaden für den Patienten nachzuweisen ist fast unmöglich“, sagt der Lübecker Hämatologe und Onkologe Klaus Weber. „Ein Medikament über die Haltbarkeit hinaus zu verwenden, halte ich für ein unkalkulierbares Risiko für die Patienten“. Als Arzt gehe er davon aus, dass ein Medikament vom Apotheker innerhalb der Grenzen der Haltbarkeit hergestellt worden ist. Und dass die Haltbarkeit von Pharmafirmen so angegeben werde, dass eine Überschreitung des Datums zu einem Wirkungsverlust führen könne. „Wir geben Zytostatika in der Hoffnung, dass die Krankheit darauf anspricht und dass der Patient keine wesentlichen Nebenwirkungen erleidet. Es gibt aber keine hundertprozentige Ansprechrate. Das heißt, wenn wir einem Patienten eine Infusion geben würden, in welcher ein unwirksam gewordener Wirkstoff wäre, so würden wir dies nicht unbedingt bemerken“, so Weber. Bei typischen Nebenwirkungen wie Haarausfall oder einer ausbleibenden Blutbildveränderung könne man vermuten, dass mit dem Medikament etwas nicht stimme. Letztlich würde er vermuten, der Patient habe einfach nicht auf das Medikament angesprochen, sagt der Onkologe. Problematisch findet Weber auch die mangelnde Flexibilität, wenn eine Apotheke nicht nah genug liegt. „Ich arbeite einmal in der Woche in einer Klinik mit einer onkologischen Ambulanz, die durch eine Apotheke versorgt wird, die weiter entfernt liegt“, sagt er. Hier müssten Patienten möglicherweise stundenlang auf die Therapie warten, so Weber. „Manchmal müssen sie sogar am Folgetag noch einmal in die Klinik kommen, um ihre Behandlung erst dann zu erhalten. Wiederholt ist es auch vorgekommen, dass Medikamente verworfen werden mussten, weil der Patient diese nicht innerhalb der vorgegebenen Zeit bekommen konnte.“
Apotheker erheben gegen die Krankenkassen schwere Vorwürfe, auch wegen immer neuer Ausschreibungen und Rabattverträgen, bei denen nur der Apotheker den Zuschlag bekomme, der das günstigste Angebot macht. Dies trifft nun auch auf teure Krebsmedikamente wie Zytostatika zu. Aktuell findet eine Ausschreibung der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) statt. Auch die DAK befinde sich laut einem Sprecher mitten in einer Ausschreibung zu Zytostatika - und möchte sich deshalb nicht öffentlich zu dem Thema äußern. Der AOK-Bundesverband sieht in dem Würzburger Urteil zugunsten des Apothekers keine Grundsatzentscheidung und betont, dass eine Ausschreibung alle Kosten enthalten müssten. Dazu zählten auch Verwürfe. „Durch die Planungs- und Belieferungssicherheit, die Apotheker durch die Verträge erhalten, lassen sich Verwürfe gegenüber der Situation in der Kollektiv-Versorgung minimieren“, erklärt AOK-Sprecherin Christine Göpner-Reinecke. Die Zusammenarbeit mit Apotheken bezeichnet sie durch den Streit als „nicht belastet“. „Aus Sicht der ausschreibenden AOKs ist die Zusammenarbeit mit der überwiegenden Mehrheit der beteiligten Ärzte und Apotheker geprägt von einer konstruktiven Zusammenarbeit“, sagt sie. Den Schwarzen Peter für die hohen Kosten schiebt die AOK den Herstellern zu: Schuld seien zu groß gewählte Packungsgrößen, die nicht zur den Erfordernissen der Therapie passen. Was die extrem kurze Haltbarkeit betrifft, wünscht sich die AOK „verbindliche Vorschriften zur Veröffentlichung von Ergebnissen, die unter praxisnahen Herstellungsbedingungen entstanden sind, und den umsichtigen und sparenden Einsatz der zumeist hochpreisigen Krebsmedikamente.“ Auch dies gehöre, so der Bundesverband, zu der Diskussion um Verwürfe. Hier sei der Gesetzgeber gefordert.
Wissenschaftliche Studien zeigen, dass viele Medikamente auch mehrere Jahre nach Ablauf des Haltbarkeitsdatums über 90 Prozent ihrer Wirkstoffe enthalten. Diese Studien werden zum Beispiel auf der Webseite Stabilis.org gesammelt. Sie sind der AOK bekannt. Doch ob die Ergebnisse auch für angemischte Arzneien angewendet werden können, ist laut AOK unklar. Nach Aussagen der Apotheker sind die Studien zudem „irgendwo im Ausland von irgendwem unter irgendwelchen Bedingungen“ durchgeführt worden, wie einer von ihnen sagte: „Und darauf wollen wir uns verlassen?“ Auf Kritik an den Ausschreibungen reagiert die AOK mit massiver Gegenwehr. Dass neue Ausschreibungen den Weg des Medikaments zum Patienten mitunter länger andauern lassen kann, als die Haltbarkeit es vorgibt, weist sie zurück. Und wirft den Kritikern Panikmache vor: „Wie schon zur Einführung der Arzneimittelrabattverträge werden bei der aktuellen Debatte um die Zytostatika auf dem Rücken der Patienten gezielt Ängste geschürt. Es ist schlichtweg Unsinn, dass durch Ausschreibungen Chaos entsteht oder die Versorgungsqualität sinkt.“ Genau das Gegenteil sei der Fall: Lieferwege würden verkürzt und die Qualität der Versorgung verbessert, zum Beispiel mit einem Notfall-Plan. Und jeder AOK-Vertragspartner sei verpflichtet, nach der Anforderung durch den Arzt eine Zytostatika-Zubereitung innerhalb von 45 Minuten zu liefern. Diese Ad-Hoc-Belieferung stärke „die regionale Nähe zwischen Arzt und Apotheke“, so die AOK.
Dann feuert die AOK eine Breitseite gegen angeblich zu gut verdienenden Apotheker ab: „Durch die Ausschreibung kappen wir die Riesen-Gewinnspannen der Apotheker, auch der Krankenhausapotheken, für die Versichertengemeinschaft. Dass dieses Vorgehen nicht im Sinne der Lobbygruppen der Apotheker und Onkologen ist, liegt auf der Hand und erklärt auch deren heftige Reaktionen.“ Nach konstruktiver Zusammenarbeit hört sich das nicht an. Die Techniker-Krankenkasse möchte sich zu Fragen, welche die Verwürfe betreffen, nicht äußern. Sie verweist auf ihren jährlichen Innovationsreport, wo die rasant steigenden Kosten von Krebsmedikamenten kritisiert werden. TK-Vorsitzender Jens Baas erklärte Anfang September: „Wir sehen im Bereich Onkologika Kombinationspräparate, bei denen die Jahrestherapiekosten über 100.000 Euro liegen. Wenn das sehr gute Medikamente sind, ist die Frage: Wie bezahlen wir sie? Wenn es keine sehr guten Medikamente sind, müssen wir uns überlegen: Wie verhindert man es, dass man so hohe Preise nimmt? Und wie gehen wir damit um, dass Präparate auf den Markt kommen, die Preise haben, die auf Dauer für die Solidargemeinschaft sehr schwer finanzierbar sind.“ Allgemein kritisiert Baas, dass der Pharmaindustrie zu stark entgegengekommen werde, zu Lasten des Beitragszahlers: „Es ist die Frage, ob sich die Solidargemeinschaft so schutzlos im Sinne der pharmazeutischen Industrie plündern lassen möchte.“
Was sagen die Hersteller zu den Vorwürfen? Die Zytostatika-Anbieter Sanofi und Janssen stellen sich kritischen Fragen - zumindest teilweise. Sanofi erklärt, die Zulassung des Medikaments mit dem Wirkstoff Cabazitaxel sei für eine Stunde nach der Verdünnung des Konzentrates mit dem Lösungsmittel gegeben, denn nur so lange sei „die chemische und physikalische Stabilität nachgewiesen“. Das Medikament, gebe es nicht in kleineren Mengen, weil die Europäische Arzneimittelagentur nur „eine bedarfsgerechte Packungsgröße“ verlange, erklärt Sanofi. Ein schwammiger Begriff. Diese unklare Anforderung sei mit seiner Durchstechflasche mit 60 Milligramm Cabazitaxel und 1,5 Milliliter Konzentrat erfüllt, so der Hersteller. Verwürfe sind somit nicht sein Problem, sondern Teil seines Geschäfts – immerhin kostet eine Ampulle knapp 4.000 Euro. Hersteller Janssen hatte eine Dosierung von einem Milligramm des Bortezomib-Mittels Velcade im Angebot. Doch Ende 2011 wurde es vom Markt genommen. Die Begründung: Laut Zulassung diente es zur Herstellung einer Injektionslösung, die nur intravenös gespritzt werden durfte. „In der medizinischen Praxis hat sich jedoch die subkutane Applikation von Velcade aufgrund der deutlich besseren Verträglichkeit in Deutschland als Standard durchgesetzt“, sagt ein Janssen-Sprecher. Und Velcade in der Ein-Milligramm-Dosis sei „technisch für die subkutane Gabe aufgrund des geringen Volumens nicht zubereitbar und dafür auch nicht zugelassen.“ Das war das Aus für die kleine Packung und öffnete dem teuren Verwurf Tür und Tor.
Die Kosten für Krebsmittel sind in den letzten Jahren explodiert, die Kosten für ungenutzte Verwürfe überschreiten dieses Jahr erstmals die 60-Millionen-Marke. Die Hauptakteure sind damit beschäftigt, sich gegenseitig die Schuld zuzuschieben: Die Apotheker verweisen auf Haltbarkeit und Zulassungen der Medikamente. Die Krankenkassen versuchen, die lästigen Kosten auf die Apotheker abzuwälzen und kritisieren die Hersteller für die hohen Preise. Die Hersteller halten sich bedeckt und verweisen auf Zulassungen, Durchschnittsgrößen und Haltbarkeiten. Sie schieben den Apothekern die Haftung zu, sobald er diese überschreitet. Der Dumme dabei ist der Patient, der für sein Medikament lange Wege und doppelte Apothekenbesuche in Kauf nehmen muss. Und die Versicherten, die diese Kosten über seine Krankenkassenbeiträge zahlen müssen. Artikel von Alexandra Grossmann und Helge Denker