Klug entscheiden… in der Anästhesiologie ist eine DGAI-Initiative und soll somit helfen, die Patientensicherheit zu verbessern. Lassen sich Behandlungsqualität und resultierend daraus die Patientensicherheit in der Anästhesie verbessern?
Seit 2015 gibt es in Deutschland eine Reihe von Initiativen „Klug entscheiden…“ in der medizinischen Fachwelt. In Anlehnung der internationalen Initiative „choosing wisley“, die sich seit 2011 mit der Problematik von unnötigen oder sogar schädlichen medizinischer Leistungen beschäftigt, hat sich auch die Anästhesiologie mit dieser Frage beschäftigt. Heute werden immer ältere Menschen, die auch schwierige Eingriffe mit sehr guten Prognosen und Ergebnisse behandelt werden, operiert. Häufig erschweren Vor- und Begleiterkrankungen den Verlauf der Behandlung. Entscheidend für den Erfolg ist die rechtzeitige Erkennung von Risiken. Deshalb hat die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) zehn Empfehlungen für den Bereich der operativen Anästhesiologie für Erwachsene erarbeitet:
Positive Aspekte:
Sicherheitsprotokolle etablieren und nutzen: Die Nutzung von Patientenübergabeprotokolle und Sicherheitspublikationen, wie die WHO Surgical Safety Checklist, verbessert den Verlauf und das Ergebnis von chirurgischen Operationen. Hierzu hat die WHO seit 2009 ein Bündel von Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit von chirurgischen Patienten publiziert. Die DGAI hat dazu ein Muster heraus gegeben.
Fehlervermeidungssysteme etablieren und nutzen: Fehler kommen überall vor. Obwohl glücklicherweise nur ein kleiner Teil zu Komplikationen führt, ist eine Reduktion von Fehlerquellen unverzichtbar. Am häufigsten entstehen Fehler in der Medikamentengabe. Dazu gab die DGAI 2009 eine Empfehlung für Farbkodierungen von Spritzen nach europäischer Norm ausgesprochen. Des Weiteren werden interdisziplinären Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen empfohlen. Die Nutzung von anonymen Fehlermeldesystemen (CIRS) wird ebenfalls empfohlen. Eine weitere Optimierung stellt der jährlicher Bericht zu perioperativer Morbidität und Sterblichkeit sowie Maßnahmen zu deren Reduktion dar.
Patient-Blood-Management (PBM) etablieren und nutzen: Patient-Blood-Management ist ein multidisziplinäres, multimodales, evidenzbasiertes Behandlungskonzept und zielt darauf ab, patienteneigene Blutressourcen bestmöglich zu schonen und zu stärken. Dabei wird der Fokus vor allem der Reduktion von akutem Nierenversagens und der Transfusionsrate gelegt.
Aktives Temperaturmanagement etablieren und nutzen: Während einer Operation kommt es häufig zu einem Temperaturabfall unter 36°C. Dieses kann zu vermehrten Wundinfektionen, verstärkten Blutungen und zu kardialen Komplikationen führen. Somit gefährdet die perioperativer auftretende Hypothermie die Patientensicherheit. Dieses führt zu einem verlängerten postoperativen Aufenthalt im Aufwachraum. Aus diesem Grund wird eine fachübergreifende S3- Richtlinie erarbeitet.
Risikofaktoren identifizieren und Strategien zur Vermeidung von postoperativer Übelkeit und Erbrechen (PONV) nutzen: Postoperatives Erbrechen tritt bei etwa 30 % und Übelkeit bei etwa 50 % der Patienten auf. Bei Risikopatienten erhöht sich diese Komplikation auf 80%. Die PONV führt zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Patientenzufriedenheit und zu negativen und unerwünschten medizinischen Folgen. Deshalb sollten vor dem Eingriff Patienten mit erhöhtem Risiko indentiviziert werden. Die Erfassung der PONV-Häufigkeit und Maßnahmen zur Verbesserung werden im Rahmen der Qualitätsindikatoren Anästhesiologie der DGAI empfohlen.
Negative Aspekte:
Unnötige präoperative Tests und Untersuchungen vermeiden: Routinemäßige präoperative Untersuchungen sind bei einem primär gesunden Patienten, der sich einem leichten bis mittelschweren Operationsrisiko unterzieht, eher verzichtbar. Die Indikation für eine technische Voruntersuchung sollte im Bedarfsfall abgewogen werden und in Verbindung mit dem geplanten operativen Eingriff orientieren.
Blutdruckabfälle auf einen mittleren arteriellen Druck (MAD) < 55–65 mmHg vermeiden beziehungsweise um > 40–50 % des systolischen Ausgangswertes therapieren: Es konnte nachgewiesen werden, dass intraoperative Abfälle des MAD auf < 55–65 mmHg für nur 5 min mit einer höheren Inzidenz akuten Nierenversagens und einer kardialen Schädigung einher geht. Gleiches gilt für relative Blutdruckabfälle von 20 % oder systolische Blutdruckabfälle um 50 % vom Ausgangswert für > 5 min bei Patienten, die sich einem nichtherzchirurgischen Eingriff unterziehen. Ebenfalls konnte beobachtet werden, dass bei Patienten, bei denen intraoperativ der MAD um 40 % für > 30 min vom Ausgangswert abfiel, zu einer signifikante kardiale Schädigung kam.
Transfusionen von Erythrozyten-Konzentraten bei einem Hb > 7–8 g/dl vermeiden, sofern keine Zeichen einer Organischämie vorliegen (z. B. neu auftretende ST-Streckensenkung) bzw. der Patient keine massive Blutung aufweist: Auch ältere Patienten mit Vorerkrankungen scheinen nicht von einem liberalen Transfusionregime zu profitieren. Studien zeigten, dass Transfusionen bei einem Hb > 7–8 g/dl nicht mit einem Anstieg von Morbidität (Herzinfarkt, Pneumonie, Nachblutung, Infektion, Schlaganfall, Thromboembolien etc.) oder Letalität verbunden waren. Eine Ausnahme bilden Patienten, die sich einer kardiochirurgischen Operation unterziehen.
Prämeditation mit Benzodiazepinen bei älteren Patienten vermeiden: Die Prämeditation von Benzodiazepinen wird zunehmend besonders bei älteren Patienten in Frage gestellt. Die Gabe von Benzodiazepine führ zu einer verlängerten Aufwachzeit und einer verzögerten kognitiven Erholung. Deshalb sollte die Gabe von Benzodiazepinen nur bei ängstlichen Patienten angewendet werden.
Routinemäßige Kolloidgabe bei medikamenteninduzierter Hypotonie vermeiden: Die Gabe von Hypnotika und Anästhetika kann – insbesondere während der Narkoseeinleitung – eine Hypotonie induzieren. Deshalb sollte aus heutiger Sicht auf den routinemäßigen Einsatz von Kolloiden verzichtet werden. Grundsätzlich sollte bei Blutdruckabfällen im Rahmen einer Narkose die jeweils zugrunde liegende Pathophysiologie analysiert werden. Stehen rasche und ausgeprägte Volumenverluste durch Blutung nicht im Vordergrund, stellt meist die Verabreichung von Kristalloiden und/oder Vasokonstriktoren die zur Behandlung der intraoperativen Hypotonie im Vergleich zu Kolloiden besser geeignete Therapiemaßnahme dar.
Auf dem Hauptstadtkongress für Anästhesie und Intensivmedizin 2017 wurde dieses Konzept vorgestellt. Ziel der Qualivikationsoffensive ist es, anästhesiologische Maßnahmen zu optimieren und Maßnahmen, deren es an Nutzen nachweislich mangelt, zu streichen. „Mit der Umsetzung der Positiv- und Negativempfehlungen wollen wir flächendeckend die anästhesiologische Versorgung unserer Patienten optimieren. Die Empfehlungen sind einfach und unabhängig von der Versorgungsstufe der anästhesiologischen Einrichtung überall umsetzbar“, erläutert Universitätsprofessor Dr. Bernhard Zwißler, Präsident der DGAI und Mitautor des Papiers.
Quellen:
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/64476/Gemeinsam-klug-entscheiden-Fachgesellschaften-stellen-neue-Initiative-vor
https://www.aerzteblatt.de/dae-plus/serie/49/Klug-entscheiden?aid=189213