Erst Rasenmäher, dann Medikamente: Die Stiftung Warentest nimmt alle Dinge, die nicht bei drei auf den Bäumen sind, unter die Lupe. Jetzt hat sie 9.000 OTCs und Rx-Präparate überprüft. Was bei Geräten funktioniert, muss für Arzneistoffe noch lange geeignet sein.
Die Stiftung Warentest ist auf Pharmazeuten traditionell nicht gut zu sprechen. Zuletzt nahmen Warenprüfer Medikationspläne unter ihre Lupe – mit vernichtendem Fazit: „Apotheken müssen den Plan aktualisieren, wenn ein Kunde das beim Erwerb eines Medikaments wünscht. Sie erledigten das aber in keinem der zehn Testfälle – obwohl die Prüfpersonen darum baten.“ Bleibt als schwacher Trost: „Immerhin checkten fast alle, ob die auf dem Plan gelisteten Arzneien mit dem neu erworbenen Medikament wechselwirken.“ Damit geben sich die Tester nicht zufrieden. Sie schicken Prof. Dr. Gerd Glaeske, den „Kämpfer gegen bittere Pillen“ (Zitat SWR), ins Rennen. Er soll Verbrauchern Informationen geben, die ihnen Apotheker vermeintlich vorenthalten.
Waschmaschine gleich Wirkstoff?
Glaeske bewertet im Rahmen seines Werks „Medikamente im Test“ rund 9.000 Pharmaka. Dabei handelt es sich sowohl um OTCs als auch um Rx-Präparate. „Das Buch sollte aus meiner Sicht in keinem Haushalt fehlen“, sagt er vollmundig im Videointerview. Auf Basis „neutraler, unabhängiger Studien“ kommt er zu dem Ergebnis, dass bei weitem nicht alle Präparate zur Therapie eines bestimmten Krankheitsbildes sinnvoll wären. Knapp ein Viertel sei nur „mit Einschränkung“ zu empfehlen, und jedes zehnte Pharmakon sogar „wenig geeignet“. Zur Kennzeichnung arbeitet Glaeske mit Ampelfarben.
Ein zentraler Unterschied darf nicht übersehen werden. Untersuchen die Tester Waschmaschinen, Staubsauger, Handys oder Videokameras, geht es um rein technische Daten. Geräte lassen sich messen, im Dauerbetrieb bis zur Zerstörung quälen oder auseinandernehmen.
Cover © Stiftung Warentest
Schaltpläne, Messdaten oder Sicherheitseinstellungen unterliegen gewissen Standards. Der Mensch ist zwar weitaus komplexer und eben keine Maschine, um es mit den Worten Tim Bendzkos zu sagen. Konsumenten vertrauen Testurteilen aber trotzdem.
Gute Noten sorgen für gutes Geld
Seit Jahrzehnten hat die Stiftung Warentest große Macht über den Markt in Deutschland. Hersteller werben mit guten Zensuren bei Tests. Wer schlecht abschneidet, hat das Nachsehen. Kein Wunder, dass Firmen aufgrund bewerteter Produkte teilweise juristisch gegen die Stiftung vorgegangen sind – meistens ohne Erfolg. Die Noten der Tester haben Gewicht und werden kaum hinterfragt.
Vielen Laien werden daran scheitern, das Bewertungssystem zu hinterfragen, weil ihnen Hintergrundinformationen fehlen. Therapeutische Empfehlungen sind primär in nationalen oder internationalen Leitlinien zu finden. Außerdem durchläuft jedes Rx-Präparat sowie jedes OTC ein umfangreiches Zulassungsverfahren. Beim AMNOG kommt die Nutzenbewertung noch mit hinzu. Und bei sehr alten Wirkstoffen, dem sogenannten Bestandsmarkt, gibt es etliche Daten aus der Anwendung.
Therapien sind oft Einzelfallentscheidungen
Glaeske hat es scheinbar geschafft, diese Argumente wegzufegen und seine eigene Bibel verfasst. Dagegen laufen nicht nur Apotheker Sturm. Industrievertreter schütteln auch den Kopf über rote Ampeln in Buchform. Dr. Hermann Kortland vom Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH) begrüßt zwar informierte, aufgeklärte Bürger. „Die positiven Erfahrungen, die Patienten, Ärzte und Apotheker mit rezeptfreien Arzneimitteln gemacht haben, können jedoch nicht anhand von holzschnittartigen Bewertungen dargestellt werden“, kritisiert Kortland. Die – wie er es nennt – „interne Evidenz“, also die Erfahrung von Heilberuflern, werde jedenfalls nicht berücksichtigt.
Planen Ärzte oder Apotheker eine Therapie – egal, ob von OTCs oder von Rx-Präparaten die Rede ist – geschieht das immer als individuelle Entscheidung. Generell anwendbare Ja- oder Nein-Urteile sind selten, und kein Patient gleicht dem anderen. Manche Pharmaka machen vielleicht nur für kleine Gruppen von Patienten Sinn. Schon hagelt es ein „wenig geeignet“ als Glaeske-Bewertung. Das heißt im Klartext, Patienten setzen ihr Präparat vielleicht ab und gefährden ihre Genesung. Wer weiß – vielleicht laden „Glaeske-Empfehlungen“ künftig als Warnhinweise im Warenwirtschaftssystem. Oder sollten Apotheker eine „Pillen-Bibel“ im Backoffice griffbereit haben?