Die folgende Begebenheit darf ich mit dem Einverständnis der betroffenen Patientin in anonymisierter Form wiedergeben. Es geht um eine Frau, die sich bei uns in der orthopädischen Reha befindet. Die Kollegen baten um ein psychosomatisches Konsil, da die psychische Verfassung der Patientin ihre Schmerzen möglicherweise verstärkte. Soweit – so gut.
Die Patientin ist Imkerin. Berufsimkerin. Vielleicht haben Sie wie ich in den Nachrichten gehört, dass die weitere Zulassung des Breitbandherbizids Glyphosat aktuell heiß diskutiert wird. Dabei geht es um eine Zulassung für bis zu zehn Jahren. Und eine Woche vorher lese ich, dass die Bienen- bzw. Insektenbestände in den letzten Jahren um über 70 Prozent geschrumpft sind.
Meine Patientin ist direkt betroffen, da in einem Jahr 70 Prozent ihrer Bienen verstorben sind. Von den 60–70 Völkern seien nur die verschont worden, die an Flächen ohne Besprühung standen, berichtet sie. Das ist zum Schreien, wenn man sich um seine Tiere kümmert. Wenn man davon und dafür lebt. Wenn es dein Leben ist. Und das der Insekten.
Fragt sich, wer hier krank ist?
Aber es ist eine statistische Größe, die aus Sicht der Industrie und Politik nicht relevant ist. Nicht bewiesen. Sozialmedizinisch gesehen ist der Zusammenhang zwischen der psychischen Belastung und dem Bienensterben natürlich ebenfalls schwer herzustellen. Es ist vielleicht eine „Anpassungsstörung“? Aber wer oder was ist hier nicht angepasst?
Krank ist doch nicht die Patientin. Sie leidet glaubhaft unter der Situation und ihrer Existenzangst. Aber auch unter der Sorge um die Tiere. Um Kundenkontakte und um ihren Ruf. Darüber ist sie vielleicht depressiv geworden und hat eine somatoforme Schmerzstörung mit entwickelt.
Krank ist aber hier die Gesellschaft und die Industrie. Ich bin nun wirklich kein Öko, aber wie entfremdet sind wir eigentlich, wenn eine solche Frau als „krank“ gilt und gleichzeitig ein tötendes Mittel als „gesund“ oder zumindest unschädlich zugelassen werden soll?