Wenn man Kapseln herstellt, darf man dies nicht als Rezeptur bezeichnen, so hat das Hamburger Landgericht entschieden. In meinen Augen eine Frechheit. Das Anfertigen von Kapseln erfordert oft mehr Konzentration als das Mischen alltäglicher Rezepturen.
Ein Kapselrezept zur Anfertigung ist in der Rezeptur mit das Aufwendigste, was wir herzustellen haben. Die Vor- und Nachbereitung, Dokumentation und Herstellung dauert mindestens eine gute Stunde, und man ist sich ständig darüber bewusst, dass man das Wohl und Wehe eines Patienten in den Händen hält.
Eine Rezeptur braucht viele Nerven
Wir haben beim Endprodukt nicht wie bei einer Salbe oder einer Lösung direkt vor Augen, ob wir alles richtig verteilt haben. Die Qualität unseres Produktes ist nur dann sichergestellt, wenn wir uns exakt an die Herstellungsvorschrift halten. Hier ist es mehr denn je wichtig, ohne Unterbrechungen, Ablenkungen oder Luftzug zu arbeiten, und bei mir fällt wirklich merklich eine innere Anspannung ab, wenn ich die Kapseln endlich fertig verpackt ablegen kann – im Besonderen wenn es beispielsweise Spironolacton-Kapseln für ein herzkrankes Baby sind.
Weil es so viele Fehlerquellen gibt, prüft das ZL auch regelmäßig bei Ringversuchen, ob in den Apotheken bei der Kapselherstellung korrekt gearbeitet wird. Die ABDA hat hierzu auch ein kleines Informationsvideo erarbeitet in dem die Herstellung sehr gut beschrieben wird.
Freche Entscheidung vom Landgericht Hamburg
Der langen Vorrede kurzer Sinn: Warum schreibe ich das alles? Ganz einfach, das Landgericht Hamburg hat kürzlich festgestellt, dass man eine Kapselherstellung nicht als Rezeptur bezeichnen könne, da ja „nur ein Wirkstoff portioniert“ werde. Einem hessischen Apotheker wurde wegen fahrlässigen Handelns angeklagt und legt nun Berufung ein. Ich bin ehrlich erschüttert über so viel fachfremde Arroganz. Wie kann man offensichtlich ohne über die Kapselherstellung in einer Apotheke Bescheid zu wissen, behaupten, man könne ja auch den „Wirkstoff einfach in ein Joghurt einrühren oder sublingual verabreichen“? Erstens ist unklar, ob diese Begründung (die im Urteil steht) überhaupt so haltbar ist, zweitens ist es eine Frechheit, zu behaupten, eine Herstellung von Kapseln wäre keine Rezeptur.
Werbung? Nein. Rezeptur? Unter Umständen.
In welchem Umfang nun der hessische Apotheker im Vorfeld „Werbung“ für die verschreibungspflichtigen Kapseln gemacht hat, weiß ich nicht – das ist tatsächlich vom Heilmittelwerbegesetz her verboten und strafbar. Was sich mir allerdings noch nicht erschließt, ist die Tatsache, dass wir ja einem Kontrahierungszwang unterliegen, sobald wir ein ärztlich ausgestelltes Rezept von einem Kunden ausgehändigt bekommen. Da kann man doch den Apotheker nicht für die Belieferung desselben bestrafen, oder? Außerdem verstehe ich sehr wohl die Probleme, die die Herstellerfirma damit hat, wenn ein Apotheker die Produkte einfach nachbaut, obwohl sie noch patentgeschützt sind.
Nur werden diese Kapseln wohl nur in der 150-mg-Variante vertrieben – was macht nun ein Arzt, wenn er ein Kind behandeln muss, das nur 30 mg als Tagesdosis verträgt? Alles in allem bleiben mehr Fragen als Antworten nach diesem Prozess offen. Ich hoffe, dass die zweite Instanz sich mit der Materie eingehender auseinandersetzt und da differenzierter urteilt! Werbung um der Herstellerfirma Patienten abzuluchsen – nein! Aber rezepturmäßige Herstellung von individuell auf den (eventuell sehr jungen oder allergischen) Patienten abgestimmten Wirkstoffkapseln – JA!