An jedem Tag, den ich auf der neurologischen Station oder in unserer Notaufnahme verbringe, muss ich bei Patienten Lumbalpunktionen durchführen. Und genauso häufig höre ich die Worte:
Ich kann die Sorgen und Ängste der Patienten verstehen, wenngleich eine Lumbalpunktion für uns Neurologen kaum mehr bedeutet als eine Blutentnahme. Ich habe sicher mehrere 100 Lumbalpunktionen eigenständig durchgeführt und bisher keine schwerwiegenden Komplikationen erlebt. Aus diesem Grund möchte ich hier mal den Ablauf einer Lumbalpunktion beschreiben.
Anatomie
Bei einer Lumbalpunktion wird versucht, das sogenannte Nervenwasser (Liquor cerebrospinalis) zu gewinnen. Dieses Nervenwasser umspült das Gehirn und das Rückenmark und ist bei entzündlichen Veränderungen des zentralen Nervensystems häufig verändert (z.b. bei Multipler Sklerose oder Meningitis). Eine Liquorpunktion wird im Bereich der Lendenwirbelsäule durchgeführt, genauer gesagt zwischen dem 3. und 5. Lendenwirbelkörper. Nach dem Durchstechen der äußeren Haut führt man die Nadel zwischen den Lendenwirbelkörper hindurch und erreicht die Rückenmarkshaut, welche den Liquorraum umschließt. Die innere Haut ist häufig etwas fester (Dura mater), sodass man als erfahrener Neurologe spürt, wenn man den Liquorraum erreicht.
Aufklärung
Vor jeder invasiven Maßnahme, die man als Patient über sich ergehen lassen muss, steht die Aufklärung. Diese sollte mit ausreichender Bedenkzeit erfolgen. Im stationären Rahmen kläre ich den Patienten am Tag vor der Lumbalpunktion auf. Ich erkläre, warum ich die Diagnostik für notwendig halte und beschreibe den genauen Ablauf. Häufig zeige ich dem Patienten am eigenen Rücken die Stelle, an der ich mit der Nadel einstechen werde oder male diese auf einem Stück Papier auf. Die Aufklärung ist der Zeitpunkt, um auf die Angst des Patienten einzugehen, zu beruhigen und über mögliche Komplikationen zu berichten. Ich erkläre weiterhin, was passieren kann, wenn die Untersuchung abgelehnt wird.
Im Falle eines Notfalls, z.B. bei einer Hirnhautentzündung, muss eine Lumbalpunktion sehr zügig erfolgen, um ernsthafte Komplikationen zu vermeiden. Meist erfolgt hierbei direkt im Anschluss an die Aufklärung die Punktion. Sind Patienten nicht bei vollem Bewusstsein, kann eine Lumbalpunktion bei Lebensgefahr auch ohne Aufklärung durchgeführt werden.
Komplikationen
Auch wenn ich täglich Lumbalpunktionen durchführe und nie schwerere Komplikationen erlebt habe, muss ich natürlich über alle Eventualitäten aufklären. Das kann manchmal dazu führen, dass die Ängste der Patienten erneut aufflammen.
„Meine Nachbarin kennt aber jemanden, der nach dieser Lumbalpunktion gelähmt war.“
Lähmungen treten auf, wenn das Rückenmark oder Nerven irreparabel geschädigt werden. Üblicherweise wird die Lumbalpunktion auf einer Höhe durchgeführt, die mehrere Zentimeter unterhalb des Rückenmarks liegt, sodass das Risiko, das Rückenmark zu treffen, gegen null geht. Die Spinalnerven, die am Ende des Rückenmarks austreten, können mit der Nadel touchiert werden, weichen dieser jedoch aus. Der Patient wird die Berührung als kurzen Stromstoß wahrnehmen. Schädigungen sind hierbei nicht zu erwarten.
Bei schweren Einblutungen oder Infektionen im Spinalkanal, die sich bis zum Rückenmark ausbreiten, könnten Nervenzellen beschädigt und somit irreversible Lähmungen hervorgerufen werden. Diese Komplikationen sind jedoch sehr selten und nahezu ausschließlich bei vorerkrankten Patienten zu erwarten, die beispielsweie an einer nichtbekannten Gerinnungsstörung oder Immunerkrankung leiden.
„Ich habe von der Freundin meiner Schwägerin gehört, dass diese hinterher 4 Wochen lang fürchterliche Kopfschmerzen gehabt habe.“
Kopfschmerzen gehören tatsächlich zu den häufigeren Komplikationen, die im Anschluss an eine Lumbalpunktion auftreten. Im Spinalkanal befinden sich ca. 150 bis -200 ml Liquor, wovon nur ein kleiner Teil punktiert wird. Manchmal führt das allerdings dazu, dass ein sogenannter postpunktioneller Kopfschmerz auftritt.
Dieser Kopfschmerz tritt nach 2-3 Tagen auf, ist üblicherweise im Sitzen und Stehen am stärksten ausgeprägt und lässt im Liegen nach. Manchmal kommen andere Symptome wie Übelkeit, Erbrechen und Schwindel dazu. Nach einigen Tagen Bettruhe bildet sich dieser postpunktionelle Kopfschmerz in den allermeisten Fällen von selbst zurück. Ich selbst empfehle nach den Punktionen, viel zu trinken, obwohl die Studienlage hierzu nicht eindeutig ist. Längeres Liegenbleiben nach der Punktion, wie es manchmal empfohlen wird, verhindert das Auftreten von Kopfschmerzen nicht (1).
Sollte der Kopfschmerz auch nach 2-3 Wochen nicht nachlassen, kann eine Behandlung mit einem Blutpatch erfolgen. Hierbei kann ein mögliches Loch in der Hirnhaut, das sich nach der Punktion nicht wieder verschlossen hat, mit Eigenblut abgedichtet werden. Da früher andere (dickere) Nadeln verwendet wurden, treten heute Kopfschmerzen seltener auf als noch vor 15 Jahren.
Weitere Komplikationen, die auftreten können, sind: Infektionen, kleinere Einblutungen, Schmerzen an der Punktionsstelle und in seltenen Fällen vasovagale Synkopen (Bewußtseinsverlust während der Punktion). In der Aufklärung stehen noch einige Dinge mehr. Ich habe mich in diesem Artikel jedoch bewusst auf die Komplikationen konzentriert, die ich entweder häufiger sehe oder bei den Patienten Ängste und Fragen hervorrufen.
Durchführung
Eine Liquorpunktion kann im Liegen oder im Sitzen direkt im Patientenzimmer durchgeführt werden. Ich persönlich punktiere die meisten Patienten im Sitzen. Hierbei fahre ich das Bett oder die Liege ganz nach oben und lasse den Patienten auf der Bettkante sitzen. Dann muss der Patient den Rücken freimachen und ich beginne zu tasten, um den Punkt zu lokalisieren, an dem ich hinterher punktiere.
Ich ertaste beide Hüftknochen und gehe von diesen Punkten nach hinten zum Rücken. Dort versuche ich dann, eine Lücke zwischen den Wirbelkörpern zu finden. Den Patienten bitte ich hierfür, einen sogenannten „Katzenbuckel“ zu machen. Je runder der Rücken des Patienten, desto leichter ist es für mich, den optimalen Punktionspunkt zu finden. Dann beginne ich mit der Desinfektion und ziehe mir die sterilen Handschuhe an. Meist nehme ich mir eine Hilfsperson mit dazu, die mir die Nadel und Röhrchen anreichen kann.
Prinzipiell kann man die Punktion aber auch allein durchführen. Dann warne ich den Patienten vor, dass ich gleich stechen werde. Ich empfinde das als ganz wichtig, den Patienten über alle Schritte, die hinter seinem Rücken passieren, zu informieren, denn er kann ja nicht sehen, was dort passiert und hört nur das Rascheln von Papier usw. Die Punktion an und für sich dauert dann meistens nur 1-2 Minuten. Ich punktiere und merke meistens am Durchstechen der harten Hirnhaut, dass ich im Liquorraum angekommen bin. Auch das teile ich dem Patienten mit. Dann lasse ich den Liquor in 1-2 Röhrchen tropfen und ziehe die Nadel wieder heraus. Auf die Punktionsstelle kommt noch ein Pflaster und fertig.
„Bekomme ich eine Narkose?“
Prinzipiell kann eine Lokalanästhesie an der Punktionsstelle durchgeführt werden. Ich verzichte meistens jedoch darauf, da die Lumbalpunktion selbst meist nur wenig schmerzhaft ist und insgesamt nicht lange dauert. Wenn der Patient eine Anästhesie wünscht oder sehr starke Ängste hat, biete ich sie jedoch an.
Auswertung
Normalerweise sieht Liquor aus wie Leitungswasser: durchsichtig und klar. Bei Entzündungen ist er häufig trüb oder weißlich gefärbt. Bei Blutungen manchmal rötlich oder orange verändert.
Ein schneller Transport in ein entsprechendes Labor ist wichtig. Dort wird direkt im Anschluss eine Bestimmung der Zellzahl im Mikroskop durchgeführt. Im Notdienst mache ich dies teilweise auch selbst. Maschinell wird weiterhin das Gesamtprotein und der Laktatwert bestimmt. Diese Ergebnisse kann der Patient innerhalb weniger Stunden erhalten. Andere wichtige Untersuchungen sind schwieriger durchzuführen und dauern mitunter 2-3 Tage. Für den Patienten manchmal eine Geduldsprobe.
Was man versteht, macht einem keine Angst
Insgesamt ist die Lumbalpunktion somit ein kleiner Eingriff, der mit wenigen Risiken verbunden ist und bisher bei bestimmten Fragestellungen auch nicht ersetzt werden kann. Für uns Neurologen bedeutet es tatsächlich kaum mehr als eine Blutentnahme … und die Angst vorher ist häufig schlimmer als die Punktion selbst, dies wurde mir von vielen Patienten mitgeteilt.
In diesem Sinne sagte schon Marie Curie: „Was man zu verstehen gelernt hat, fürchtet man nicht mehr.“
(1) Dr. med. Susanne Meinrenken, Bremen Aus der Zeitschrift DMW Deutsche medizinische Wochenschrift 2013; 138(48): 2451