Weil bei Patienten mit gut behandelbarer Zöliakie häufiger als bei Vergleichspopulationen eine Epilepsie auftritt, soll die glutenfreie Diät angeblich auch direkt epileptische Anfälle verhindern. Doch ist das nicht ein unzulässiger Zirkelschluss? Bei Epilepsie glutenfreie Diäten zu versuchen, die eigentlich eher einer bestehenden Zöliakie oder einer Gluten-sensiblen Enteropathie zuzuordnen ist?
Die Assoziation zwischen Zöliakie und Epilepsie sei bei Erwachsenen zwar deutlicher ausgeprägt als bei Kindern, aber es gebe genügend Hinweise, dass dieser Zusammenhang bereits in früheren Lebensjahren bestehe, führte Professor Klaus-Peter Zimmer vom Universitätsklinikum Gießen beim diesjährigen Kongress für Kinder- und Jugendmedizin in Köln aus. Er verwies auf eine schwedische Studie mit 28.885 Patienten, bei denen die Zöliakie bioptisch nachgewiesen war: Das Durchschnittsalter der Teilnehmer lag bei 30 Jahren.
Ihr Risiko, in der Zukunft eine Epilepsie zu entwickeln, war mit einer Hazard Ratio (HR) von 1,42 erhöht. Das absolute Risiko lag bei 92 auf 100.000 Personenjahre. Der Vergleich mit einer sogenannten ge"match"ten Kontrollgruppe von 143.166 Personen ohne Zöliakie zeigte dort ein insgesamt geringeres Epilepsie-Risiko.
Der Epilepsie Anstieg mit Zöliakie war in allen Altersgruppen vorhanden. Konkret lag die Hazard Ratio bei Kindern und Jugendlichen (Alter < 20 Jahren) bei 1,58 und war damit hochsignifikant (p<0,001) http://Neurology 2012, 78(18): 1401-1407
Doch einerseits bleiben Zweifel, weil nicht nur in der hochaktuellen medizin-öffentlichen Debatte bei einer Zöliakie bzw. Gluten-sensiblen Enteropathie oder Gluten-induzierten Enteropathie Kopfschmerzen und Epilepsie einfach aufmerksamer wahrgenommen und deshalb häufiger detektiert werden. Eine erhöhte Co-Inzidenz oder gar Co-Prävalenz bleiben m. E. fragwürdig:
"Increased risk of epilepsy in biopsy-verified celiac disease - A population-based cohort study" von J.F. Ludvigsson et al. http://www.neurology.org/content/78/18/1401.full hat als rein populations-basierte Kohorten-Studie auch eine geringe Aussagekraft, weil sie nicht prospektiv kontrolliert ist.
Dass selbst die Schlussfolgerung ["Conclusion: Individuals with CD (Celiac disease) seem to be at a moderately increased risk of epilepsy"] auf schwachen Füßen steht, ergibt sich aus dem zugegeben "moderat erhöhten Risiko einer Epilepsie" bei Zöliakie. Von Kopfschmerzen ist im Abstract gar nicht mehr die Rede.
Das Signifikanzniveau wurde, wie in letzter Zeit häufiger zu beobachten (1, 2), durch einen simplen statistischen Trick erreicht: "...we calculated hazard ratios (HRs) for epilepsy (defined as a diagnosis of epilepsy in the Swedish National Patient Register) in 28,885 individuals with CD and 143,166 controls matched for age, sex, calendar period, and County" bedeutet, dass 28.885 Zöliakie-Betroffene mit einer extrem auf 143.166 aufgeblähten, fünffach (Faktor 4,96) größeren Kontrollgruppe verglichen wurden.
Wurde hier nicht ganz offensichtlich die klinisch häufiger kontrollbedingt nachvollziehbare, höhere Detektionsrate von Epilepsie und Kopfschmerzen bei Zöliakie-Morbidität mit erhöhter Co-Inzidenz oder gar Co-Prävalenz einer davon unabhängigen Zweit-Morbidität verwechselt?
Das soll natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei bekannter, durch strikt glutenfreie Ernährung (kein Roggen, Weizen, Hafer und Gerste) therapierbarer Zöliakie, Sprue oder Gluten-sensiblen Enteropathie nicht wie bei allen anderen Patientinnen und Patienten auch auf Verdachtsmomente eine Epilepsie in jedem Einzelfall geachtet werden muss.
Aber andererseits gibt es für eine primär- oder sekundär-präventive Wirkung glutenfreier Lebens- und Ernährungsgewohnheiten bei einer nachgewiesenen Epilepsie ohne Zöliakie bislang keine wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Hinweise. Zu 1+2
- https://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/neuro-psychiatrische_krankheiten/epilepsie/article/944671/zoeliakie-glutenfreie-diaet-epileptische-anfaelle.html
- http://news.doccheck.com/de/186275/lithiumschorle-gegen-demenz/
Inkohärent, lat.: incohaerere, bedeutet etwas Nicht Zusammenhängendes. Man bezeichnet allgemein damit den inneren oder äußeren fehlenden Zusammenhang oder Nichtzusammenhalt von etwas. https://de.wikipedia.org/wiki/Inkoh%C3%A4renz