Der sonst so gut und stets zum Flirten aufgelegte Kollege schweigt griesgrämig vor sich hin. Ob er etwas ausgefressen hat, will ich von ihm wissen. Ja und nein. Alles fing damit an, dass er wie so oft eine Patientin duzte und ihr ein Kompliment machte.
Kollege McSexy ist übel gelaunt heute. Kein „Guten Morgen“, kein „Wie geht’s?“, schon gar kein „Was kann ich helfen? Muss man noch irgendwas für die Chefvisite vorbereiten?“. Er brütet in der Ecke vor sich hin. Da ich McSexy kenne, lasse ich ihn einfach sitzen. Wahrscheinlich irgendeine Flamme, die ihn verärgert hat. Oder gar keine Flamme im Bett gestern Abend. Noch wahrscheinlicher.
Die Chefvisite läuft. Die üblichen Beanstandungen, im Großen und Ganzen kein Problem. Die Patienten sind zufrieden. McSexy hält sich im Hintergrund und schmollt weiter. Nach zwei Stunden finde ich, es ist genug.
„Was ist denn eigentlich los? Kann ich dir irgendwie weiter helfen? Deine Stimmung ist ja unterirdisch.“
„Lass mich in Ruhe!“
„Dann geh doch einfach nach Hause, wenn es dir nicht gut geht. Eine Unterstützung bist du nämlich in deinem Zustand wirklich nicht!“
„(Murmel murmel …) Geht nicht. Muss noch zum Chef.“
Aha.
„Und zur Verwaltung.“
„Was? Wieso? Sag bloß, du gehst!?“
„Hoffentlich nicht.“
„Was? Jetzt rück schon raus mit der Sprache.“
„Es gibt Ärger. Eine Patientin hat sich beschwert. In einem dreiseitigen Brief an die Verwaltung. Kopie ging an die Presse. Neben der langen Wartezeit in der Notaufnahme und den unfreundlichen Schwestern, bin ich Hauptziel des Angriffs. Zu persönlich, keine Distanz, hätte anscheinend meine Rolle als Arzt missbraucht, um ihr näher zu kommen.“
Beschwerden sind häufig. Normalerweise setzt man sich dann zusammen, klärt alles und schreibt eine Stellungnahme. Natürlich ohne Presse. Diese Kritik ist allerdings prekär.
„Hat sie Recht?“
„NEIN! Was denkst du denn?“
„Ab und an entwickelt sich bei dir ja auch eine persönliche Beziehung zu manchen Patienten.“
„Doch nicht im Krankenhaus! Sie hat ewig gewartet in der Notaufnahme. Glatteis und Schnee. Es war die Hölle los. Sie war schlecht gelaunt. Ich hab ihr ein Kompliment gemacht. Versucht, sie zu besänftigen. Die Situation aufzulockern. Die Frau sieht gut aus. Darf man das nicht sagen? Sie hat mich geduzt. Machen viele. Ich wirke eben wie der Kumpel von nebenan. Dann hab ich sie auch geduzt. Während ihres Aufenthaltes habe ich sie ein paar Mal besucht. Da war immer etwas Flirten dabei. So wie ich halt bin. Sie hat nicht gesagt, dass ich das lassen soll. Ich hatte den Eindruck, es macht ihr Spaß. Das war’s. Ich schwöre es. Nicht mehr und nicht weniger. Und jetzt sowas! Oben drein ist sie auch noch Kollegin. Niedergelassen.“
Ich seufze. Oh Mann.
Distanz, Respekt, Intimität, der passende Anstand, die richtige Wortwahl, das Zwischen-den-Zeilen-Stehende, der Gesichtsausdruck, die Körpersprache. Jeder empfindet anders. Andere Maßstäbe, andere Gefühle, andere Bedürfnisse, andere Werte, andere Ansichten, andere Erfahrungen. Keiner hat Recht oder Unrecht.
„Du musst dich entschuldigen, selbst wenn du das nicht möchtest und nichts falsch gemacht hast.“
„Das weiß ich. Aber es kotzt mich an. Sie hätte mir zu jeder Zeit sagen können, wenn ihr mein Ton missfällt. Aber nein, sie steigt voll drauf ein und wartet, bis ihr Aufenthalt zu Ende ist. Und schickt dann sowas nach. Ich versteh euch Frauen einfach nicht. Jetzt bin ich wieder der Arsch.“
Nochmal eine andere Nummer. Die Sache zwischen Männer und Frauen. In diesem Fall kann er nur verlieren. Ich stehe auf und schlage ihm kumpelmäßig auf den Hintern. „Hübscher Arsch übrigens.“ Er seufzt und marschiert in das Büro vom Chef. Auf seinem Stuhl möchte ich nun wirklich nicht sitzen.