Sollte man Ärzte beim Operieren filmen? In den USA gibt es dafür nun ein Gesetzesvorhaben. Patientenschützer hoffen, dass sich dadurch Behandlungsfehler später eindeutig belegen lassen. Chirurgen erwidern: Überwachung führe zu Stress – und Stress zu Fehlern.
Der Patient hatte sich nichts Böses dabei gedacht, als er kurz vor der Darmspiegelung die Aufnahmetaste seines Handy drückte. Er hatte nur die Anweisungen, die die Ärzte ihm für die Nachsorge gaben, aufzeichnen wollen. Versehentlich ließ er die Rekordfunktion laufen – und traute seinen Ohren kaum, als er nach dem Eingriff sein Handy abhörte. Während der Mann bewusstlos vor ihnen lag, hatten die Ärzte ihn grob verspottet, ihn einen Deppen genannt und sich über einen Ausschlag an seinem Penis lustig gemacht. Während der OP sagte die Anästhesistin über den narkotisierten Patienten, dass sie ihn beim Vorgespräch am liebsten ins Gesicht geschlagen hätte. Das Handy zeichnete außerdem auf, wie die Ärzte dem Mann „aus Spaß‟ die falsche Diagnose Hämorrhoiden in den Bericht schrieben. Vor Gericht wurden die Anästhesistin und ihre Praxis zu einer Zahlung von 500.000 Dollar verurteilt. Doch für amerikanische Patientenschützer ist der Fall, der sich im US-Bundesstaat Virginia ereignete, damit noch nicht erledigt. Sie fordern bereits seit Jahren eine Kameraüberwachung für den OP. Durch den neuen Skandal fühlen sie sich bestätigt.
Für die Einführung einer „Black Box‟ für den OP, die Audio und Videoaufnahmen fertigt, setzt sich in Amerika unter anderem die National Organization for Medical Malpractice Victims ein, eine Vereinigung von Opfern medizinischer Behandlungsfehler. Gegründet wurde diese von Wade Ayer, dessen Schwester 2003 nach einer Brustvergrößerung an einer Überdosis Propofol verstarb. Die Organisation kann bereits erste Erfolge verbuchen: So wurde in Wisconsin bereits im Juni eine Gesetzesinitiative vorgebracht, die Kameraaufnahmen im OP verpflichtend machen will – wenn Patienten sie wünschen. „Julie Ayer Rubenzer Law‟ wird der Entwurf auch genannt, nach Wade Ayers verstorbener Schwester. Durch eine Kameraüberwachung des OP ließen sich Behandlungsfehler später eindeutig belegen, so die Hoffnung der Patientenschützer. Sie könne außerdem Vorfällen wie in Virginia vorbeugen, sagte eine der Politikerinnen, die die Gesetzesinitiatve eingebracht hat, laut Washington Post. Sie könne aber auch den Ärzten helfen, sich gegen unbegründete Patientenklagen zu wehren.
Behandlungsfehler gibt es auch in deutschen Krankenhäusern. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen schätzte in einer Erhebung von 2007, dass es bei einer von 100 Krankenhausbehandlungen zu Fehlern kommt, und in einem von 1.000 Behandlungen zu Todesfällen, die auf einen Fehler bei der Behandlung zurückgehen. Bei etwa 19 Millionen Krankenhausbehandlungen pro Jahr entspricht das 190.000 Fehlern und 19.000 Todesfällen. Von diesen Zahlen geht auch das Wissenschaftliche Institut der AOK (WidO) aus. Könnte eine Kameraobservation die Sicherheit zumindest im OP erhöhen? Was halten deutsche Patientenschützer von der amerikanischen Initiative?
Frank Lepold ist der Leiter der Bundesgeschäftsstelle des Deutschen Patientenschutzbundes. Er findet: „Das wäre sicher kein schlechtes Mittel zur Dokumentation, wenn es um die Beweislage geht, und könnte in Zweifelsfällen zur Aufklärung beitragen.‟ Andererseits könne er verstehen, dass sich Ärzte nicht permanent observiert fühlen wollen. Lepold glaubt auch nicht, dass eine lückenlose Kameraüberwachung im OP die Sicherheit der Patienten erhöhen würde. Schließlich seien Behandlungsfehler ja nicht dem Mangel an Überwachung, sondern zum Beispiel der verheerenden Personalnot auf vielen Stationen geschuldet: „Je mehr das Personal unter Stress steht, desto größer ist die Gefahr, dass Fehler passieren.‟ Zudem führten Fallpauschalen oder Bonusverträge für Ärzte dazu, dass oft unnötig operiert wird – und Patienten damit überflüssigerweise Risiken ausgesetzt werden. Und immer noch gebe es Hygieneprobleme in deutschen Krankenhäusern, die zu Infektionen mit resistenten Keimen führen. Um die Patientensicherheit zu erhöhen, setzt sich der Deutsche Patientenschutzbund daher für andere Maßnahmen ein, zum Beispiel für einen verbindlichen Personalschlüssel für jede Abteilung im Krankenhaus, oder eben ein verbessertes Hygienemanagement und die Verbesserung der Kommunikation zwischen Arzt und Patienten bei Sprachproblemen.
Und wie sehen deutsche Chirurgen die amerikanische Initiative? Claus-Dieter Heidecke ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Qualität und Sicherheit und Versorgungsforschung (CAQS-V) der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH). „Die Idee finde ich nicht so wahnsinnig gut‟, sagt Heidecke. Nicht etwa weil „die Chirurgen etwas zu verbergen hätten.‟ Aber die Sicherheit würde dadurch nicht erhöht. Im Gegenteil, wenn Ärzte sich permanent beobachtet fühlten, könne das dazu führen, dass diese aus Angst vor Fehlern zu einer unerwünschten Art der „Sicherheitsmedizin‟ tendieren und zum Beispiel unnötig viele Röntgenaufnahmen fertigten, sagt Heidecke. Und das sei schließlich nicht im Interesse der Patienten. Um die Qualität zu überwachen gebe es bereits sinnvollere Instrumente, wie etwa das Critical Incident Reporting Systeme (CIRS). Und wer ein schlechter Chirurg sei, werde durch eine Kameraobservation „sicher nicht besser.‟
Etwas anders sieht Sandra Leßmann das ganze. Die Anwältin ist Mitglied der auf Medizinrecht spezialisierten Kanzlei Gellner und Collegen. Sie vertritt Patienten, die durch Behandlungsfehler geschädigt wurden. „Eine Videoüberwachung im OP wäre natürlich von Vorteil für die Patienten‟, sagt sie. Denn oft sei es schwierig, ein Fehlverhalten der Ärzte bei einer Operation nachzuweisen: „In einem gerichtlichen Verfahren haben wir nur die OP-Berichte zur Verfügung.‟ Die seien mal länger, mal kürzer. „Meistens eher kürzer‟, so Leßmann. Anhand der Dokumentation muss ein Gutachter dann entscheiden – keine leicht Aufgabe anhand von ein paar Notizen. Noch dazu werden diese nicht von unabhängiger Seite erstellt. Leßmann wurde in einem Verfahren auch schon eine Dokumentation vorgelegt, die bewusst gefälscht worden war. „Hätte man aber ein Video der OP zur Verfügung, ließe sich hingegen nachvollziehen, ob wirklich alle Handgriffe richtig erfolgt sind: Für die Beurteilung von Fehlverhalten wäre das ein riesiger Vorteil‟, sagt Anwältin Leßmann. So besteht also aktuell schon eine Dokumentationspflicht der Vorgänge im OP. Die Art und Weise, wie dieser nachgekommen wird, kann es Patienten aber schwer bis unmöglich machen, Fehler nachzuweisen. Sie stehen in der Beweisschuld und haben wenig, worauf sie sich stützen können. Das kann man unfair finden, denn die Geschädigten sollten zumindest ihr Recht auf Schmerzensgeld und Schadensersatz geltend machen können. Ob die Kamera auch vorbeugend die Sicherheit erhöhen kann, indem sie zum Beispiel die Aufmerksamkeit steigert oder nicht, ist dann im Grunde unerheblich. Mit einer Kamera im OP würden Patienten ein Instrument in die Hand bekommen, das tatsächlich benötigt wird: Denn leider, so Leßmanns Erfahrung, geben die Ärzte vor Gericht ein Fehlverhalten praktisch nie zu. Andernfalls, so die Juristin, müssten sie Probleme mit ihrer Haftpflichtversicherung fürchten. Einige Mediziner argumentieren auch, dass Kameraobservationen ohnehin schon bei einigen Eingriffen üblich sind. Doch mit einer Verpflichtung, wie sie Patientenschützer fordern, ist das nicht gleichzusetzen. Bei ihnen im Herzkatheterlabor, erzählte ein befreundeter Kardiologe Leßmann, werde zum Beispiel gefilmt. Immer dann jedoch, wenn es bei einer Untersuchung „brenzlig werde‟, so sagte der Arzt, schalte man als erstes die Kamera aus.