Die FDA prüft derzeit im Fast-Track-Verfahren, ob Ketamin zur Behandlung von Depressionen zugelassen werden kann. Mehrere Studien zeigten eine Wirksamkeit – insbesondere bei Patienten, die auf herkömmliche Therapien nicht ansprachen.
Wie Janssen Pharmaceutical im August bekannt gab, prüft die US-Amerikanische Arzneimittelzulassungsbehörde FDA derzeit in einem beschleunigten Verfahren, ob Ketamin offiziell zur Behandlung von Depressionen zugelassen werden kann. In Studien konnte Ketamin bei einigen Patienten – darunter auch therapieresistente Fälle – Depressionen binnen weniger Stunden lindern. Mit einer Zulassung stünde Psychiatern nun eine völlig neue Therapieoption zur Behandlung der Major Depression zur Verfügung.
Als Wirkstoff ist Ketamin eigentlich ein alter Hut: Bereits 1962 erstmals synthetisiert, erhielt es in den USA 1970 die Zulassung der FDA zur Anwendung am Menschen. Ärzte der US-Armee schätzten das Mittel besonders während des Vietnam Kriegs wegen seiner guten analgetischen und sedierenden Wirkung. Seither gehört es auf der ganzen Welt zu den Standardmedikamenten in der Notfallmedizin und auch in der Tiermedizin ist es als Bestandteil von Injektionsnarkosen nicht mehr wegzudenken. Wegen seiner dissoziativen Eigenschaften und halluzinogener Nebenwirkungen ist Ketamin jedoch auch als Rauschmittel, mitunter auch als „Vergewaltigungsdroge“, in Verruf geraten. Menschen mit Depressionen benötigen rasche Hilfe Schon seit einigen Jahren beschäftigen sich internationale Forscher mit der Frage, ob Ketamin sich auch zur Behandlung von Depressionen eignen könnte. So zeigte eine kleine, randomisierte US-Studie bereits 2006 bei therapierefraktären Depressions-Patienten eine stimmungsaufhellende Wirkung binnen weniger Stunden nach einer einzigen Injektion des Wirkstoffs und sorgte damals für Aufsehen. Seither folgten zahlreiche weitere Studien zur Wirkung von Ketamin bei Depressiven. Vor allem die rasche Linderung der Symptome macht das Narkotikum für den potenziellen Einsatz gegen Depressionen so attraktiv, denn die meisten zur Verfügung stehenden Antidepressiva entfalten ihre Wirkung erst nach Wochen – zu lange, meint Roland Duman; Psychiater an der amerikanischen Yale School of Medicine. „Ketamin hat hier großes Potenzial, es könnte die Behandlung der Depression revolutionieren, besonders bei selbstmordgefährdeten Patienten, die können nicht so lange warten.", lautet die Einschätzung Dumans. Das Suizidrisiko gilt besonders in den ersten neun Tage der Therapie als hoch.
Bevor Ketamin als mögliche Behandlungsalternative bei Depressionen einsetzbar wird, müssen Forschern jedoch noch mehr über seine Wirkweise im Gehirn herausfinden. „Wir wissen nicht genau wie es wirkt“, sagt Dr. Julie Coffman von der Abteilung für Internistik und Palliativmedizin des OHIO Health Riverside Methodist Hospital. Mit einer tieferen Kenntnis über den Wirkmechanismus ließen sich jedoch eventuell abgewandelte Moleküle synthetisieren, bei denen Nebenwirkungen wie Halluzinationen und auch die Suchtproblematik entfielen. Bisher glaubten Forscher, dass Ketamin die NMDA-Rezeptoren im Gehirn blockiert, was aber genau die antidepressive Wirkung auslöst, wussten sie nicht. Nun ist man einen Schritt weiter, denn im Mai dieses Jahres lieferte eine in Nature publizierte Untersuchung der School of Medicine der Universität in Baltimore, Maryland, neue Erkenntnisse. Die Wissenschaftler entdeckten in Experimenten mit Mäusen, dass nicht Ketamin selbst, sondern sein Metabolit (2R,6R)-Hydroxynorketamin die antidepressive Wirkung hervorruft. Auch stellten sie fest, dass die Blockierung des AMPA-Rezeptors – und nicht wie bisher angenommen des NMDA-Rezeptors – dafür verantwortlich war. Vielversprechend an der Untersuchung war auch, dass die Tiere weder in ihrer Sinneswahrnehmung beeinträchtigt schienen, noch Hinweise auf ein Suchtverhalten zeigten. Auch Wissenschaftler der Berliner Charité suchen aktuell nach einer Möglichkeit wie Ketamin eingesetzt werden könnte, ohne größere Nebenwirkungen in Kauf nehmen zu müssen. Studienleiter Prof. Dr. Malek Bajbouj etwa setzt auf einen neuen Applikationsweg: „Ab Juni hoffen wir, eine deutschlandweite Studie starten zu können, bei der erstmals ein Ketamin-Nasenspray zur Behandlung von Depressionen eingesetzt wird“, so der Leiter des Centrums für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie der Charité.
Hierzulande verfolgen Wissenschaftler den Ketamineinsatz gegen Depressionen zwar mit Enthusiasmus, eine euphorische Stimmung in Erwartung auf ein neues Wundermittel herrscht hingegen nicht. Auch Christoph Turck, der seit Jahren als Leiter am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München zu Ketamin forscht, sieht die Chancen für eine Zulassung von Ketamin nüchtern: „Es bedarf noch an mehr Forschungsergebnissen, welche uns die Wirkung und Gefahren von Ketamin besser zu verstehen helfen.“ Eine Behandlung gegen Depressionen mit Ketamin zu etablieren, könnte seiner Ansicht nach noch mindestens fünf bis sieben Jahre dauern. In den USA hingegen will man schnell handeln. Derzeit arbeitet Janssen an klinischen Untersuchungen für zwei Indikationen von Ketamin: Eine bei therapieresistenten Depressionen, eine weitere bei Depressionen mit Selbstmordgedanken. Ergebnisse der Phase III Studien will das Unternehmen für die erste Indikation bis 2018 präsentieren und bei der FDA einreichen. Bedeutend ist dabei vor allem der rasche Wirkungseintritt von Ketamin im Gegensatz zu anderen Antidepressiva. Der medizinische Leiter der Ketaminforschung bei Janssen, Psychiater Dr. David Hough, unterstreicht die Notwenigkeit des Wirkstoffs mit Zahlen: „Über 41.000 Menschen sterben jedes Jahr durch Selbstmord in den USA“, so Hough, das seien mehr Menschen als jährlich an Brustkrebs sterben. Und die Selbstmordrate steige an.