Forschern ist es gelungen, per Keimbahntherapie mit Zellkerntransfer eine mitochondriale Erbkrankheit auszuschalten. Sie verwendeten das Erbgut von zwei Frauen und einem Mann. Ethische Fragen bleiben momentan unbeantwortet.
Patienten mit dem Leigh-Syndrom haben derzeit schlechte Karten. Es kommt zu Störungen des mitochondrialen Energiestoffwechsels. Die Krankheit wird autosomal-rezessiv, X-chromosomal-rezessiv oder maternal vererbt. Abhängig von der betroffenen Hirnregion treten unterschiedliche Symptome auf, etwa Entwicklungsverzögerungen, epileptische Anfälle, Atemprobleme oder Schluckbeschwerden. Die Lebenserwartung liegt bei wenigen Jahren.
Mit dieser Krankheit hatte ein Ehepaar aus Jordanien zu kämpfen. Beide Partner versuchten fast 20 Jahre lang, ein Kind zu zeugen. Mehrere Fehlgeburten folgten. Ein Kind kam lebend zur Welt, starb aber kurz darauf am Leigh-Syndrom. Jetzt zeigte John Zhang vom New Hope Fertility Center, New York, bei ihnen eine umstrittene Lösungsmöglichkeit auf. Schädelsonographie bei einem neun Monate alten Kind mit Morbus Leigh. Zu erkennen sind hyperechogenen Läsionen der Basalganglien. Quelle: Kinderradiologie Olgahospital Klinikum Stuttgart Er arbeitete mit der Technik des Spindel-Transfers, um genetische Informationen aus der reifen Eizelle einer Spenderin in eine entkernte Empfänger-Eizelle zu übertragen. Anschließend befruchtete er die Zelle über eine intrazytoplasmatische Spermieninjektion. Es entstanden Embryonen, die Zhang in die Gebärmutter seiner Patientin übertrug. Tatsächlich wurde sie schwanger. Ein Junge kam ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen vor fünf Monaten zur Welt. Professor Dr. Christine Wrenzycki. © Uni Gießen „Medizinisch ist es mit Hilfe dieser Technik möglich, Frauen mit einer Mitochondriopathie zu einem gesunden Kind zu verhelfen, da der Spindel-Transfer die Vererbung von Mitochondriopathien mit hoher Wahrscheinlichkeit verhindern würde“, sagt Professor Dr. Christine Wrenzycki von der Justus-Liebig-Universität Gießen. Sie ist unter anderem Professorin für Molekulare Reproduktionsmedizin. Wrenzycki weiter: „Ethisch wird die Beteiligung von drei Elternteilen – zweier Mütter und eines Vaters – kontrovers diskutiert.“
Professor Dr. Jochen Taupitz. © Deutscher Ethikrat Zhangs Technologie ist in vielen Ländern weltweit verboten. Deshalb hat er sein Experiment in Mexiko durchgeführt – mit Unterstützung der Firma Reprogenetics. Zur Veröffentlichung des Fachbeitrags warf Professor Dr. Jochen Taupitz einen Blick auf rechtliche Zusammenhänge. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht, internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Mannheim. „Das deutsche Embryonenschutzgesetz verbietet unter anderem die Verwendung einer menschlichen Keimzelle – also einer Ei- oder Samenzelle – mit künstlich veränderter Erbinformation zur Befruchtung“, sagt Taupitz. Er verweist dabei auf Paragraph 5 Absatz 2 ESchG. Da es sich um ein Strafgesetz handele, sei es „wörtlich“ zu nehmen. Rechtsexperten sind sich uneinig, ob der isolierte Zellkern einer unbefruchteten Eizelle, der in eine andere Eizellhülle mit nicht defekten Mitochondrien implantiert werden soll, de jure als menschliche Keimzelle zu sehen ist. „Selbst wenn man die dann als Ergebnis entstandene Entität als Keimzelle ansieht, wird darüber gestritten, ob bei dem Verfahren des Mitochondrien-Austausches eine Veränderung der Erbinformation im Sinne des Gesetzes stattfindet, oder ob nicht vielmehr ein (davon abzugrenzender) Austausch von Erbinformation vorgenommen wurde“, ergänzt Taupitz.
Professor Dr. Klaus Reinhardt. © TU Dresden Nicht nur Juristen haben Zweifel. Mahnende Worte kommen auch aus der Forschungslandschaft. „Als Wissenschaftler bin ich etwas erschrocken, dass angesichts der dünnen und zweifelhaften Datenlage solch ein Experiment ausgeführt wurde“, so Professor Dr. Klaus Reinhardt von der Technischen Universität Dresden. Er befürchtet, bei Laien könnten falsche Hoffnungen geweckt werden: „Zurzeit ist es für betroffene Mütter nicht möglich, abzuschätzen, ob ein zukünftiges Kind die mitochondriale Krankheit haben wird oder nicht.“ Reinhardt erinnert sich noch gut an kritische Stimmen vor Einführung der In-vitro-Fertilisation (IVF). „Das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es für das jetzt benutzte Verfahren keine Risikoabschätzung gibt und bisherige Hinweise an Tiermodellen und menschlichen Zellen zumindest zweideutig sind.“ Vorklinische Studien zur Sicherheit sucht man derzeit vergebens.
Professor Dr. Guido de Wert. © Maartje Geels John Zhangs Arbeiten stehen nicht im luftleeren Raum, wie Professor Dr. Guido de Wert ausführt. Er arbeitet an der Maastricht University. Seine Schwerpunkte sind Ethik in der Reproduktionsmedizin und Genforschung. „Eine interessante ethische Frage ist, ob die genetische Veränderung der Zellkern-DNA (mit Hilfe der revolutionären Technik des Genome Editing) in bestimmten Fällen ebenfalls ethisch gerechtfertigt sein könnte.“ Nur warum sollten Humangenetiker überhaupt mit dem Genome Editing beginnen, wenn sich per Präimplantationsdiagnostik (PID) die Geburt von Kindern mit schwersten Erbleiden verhindern lässt? „Bei dieser ethischen Abwägung sollten wir zunächst daran denken, dass eine PID nicht in allen Fällen helfen kann“, sagt de Wert. „Allerdings müssen wir uns bewusst sein, dass wir hier schnell auf eine ethisch schiefe Bahn geraten, wenn wir von der Therapie über die Prävention schwerer Erbleiden übergehen zu einer Verbesserung oder zu Designer-Babys.“