Auch als Physiotherapeut mit Jahrzehnten der Berufserfahrung lerne ich nicht aus. Bereits vor einigen Jahren habe ich durch Kollegen und Fachtreffen mitbekommen, dass Forscher sich seit Jahren mit der Frage beschäftigen, ob Bakterien direkt auf die Knochengesundheit wirken können. Die Antwort lautete immer: „Ja, aber“.
Erreger können durch das Knochenmark auch im Knochen für Infektionen sorgen, was man Osteomyelitis nennt. Sie können auch im Knochengewebe selbst wüten, was der Arzt dann Ostitis nennt. Beide Diagnosen sind in der Praxis aber selten, da ein Nachweis der vermuteten Bakterien oft negativ ausfällt. Woran es liegen kann, dass sich zu selten klinisch ein Bakterium nachweisen lässt, haben Forscher in einer aktuelle Studie beleuchtet.
Die Antwort: Es ist ein Erreger schuld, der bislang schwer nachweisbar war.
Um welchen Keim geht es?
Für meine Patienten klingt es immer abenteuerlich, wenn die Fachbegriffe ins Spiel kommen. Vermeiden lassen sie sich aber nun mal nicht, wenn man einer Sache wirklich auf den Grund gehen will. Beim angesprochenem Keim im Rachen handelt es sich um das Bakterium Kingella kingae. Es liegt als Stäbchen-Bakterien vor, die gramnegativ sind und entweder paarweise oder in Kettenform auftreten. Zum ersten Mal entdeckt wurden sie tatsächlich schon 1960. Die Biologin Elizabeth King isolierte den Erreger in den USA und wurde so zur Namensgeberin.
Wo kommen die Erreger vor?
Als Kingella kingae 1960 in den USA entdeckt wurde, zählte man den Erreger in den HNO-Bereich. Er wurde in der Atemluft der Menschen gefunden und besiedelt den Rachenraum. Damals dachte man: Er richtet bei der Mehrzahl der Betroffenen überhaupt keine Schäden an, sondern wird vom Immunsystemin Schach gehalten. Immerhin traten kaum Atemwegsinfekte oder Probleme im Mundraum auf.
Es dauerte bis in die 1990er-Jahre hinein, bis die Forschung feststellte, dass Kingella kingae offenbar nicht nur dem Rachenraum besiedelt, sondern von dort tiefer in den Körper wandelt. Es entstand die Theorie, dass die Bakterien unmittelbar in Knochengewebe zu Entzündungen führen können. Meist sind die Bereiche betroffen, die durch die natürliche Bewegung am meisten Gewicht zu tragen haben.
Mit anderen Worten: Die Knie und Sprunggelenke stehen ganz oben auf der Liste. Die Infektion des Bewegungsapparates kann soweit gehen, dass man von einer septischen Arthritis sprechen kann.
Aktuelle Studienergebnisse sorgen für Aufmerksamkeit
Dennoch wurde der Name Kingella kingae in der Medizinwelt viele Jahre kaum genutzt. Auch an mir ist er bis vor kurzem nahezu komplett vorbeigegangen. Das hat die oben erwähnte Studie geändert. Wissenschaftler aus Kanada und der Schweiz haben die Rachenschleimhaut von 65 Mädchen und Jungen im Kleinkindalter untersucht.
Trotz ihres jungen Alters litten sie bereits an einer Osteoarthritis. Da andere Faktoren ausschieden, war eine Infektion als Ursache sehr wahrscheinlich. Die Forscher suchten daher nach Erregern und fanden im Rachen von 46 Kindern den Erreger Kingella kingae. Das sind 71 Prozent, bei denen sich das Bakterium als Verursacher der Knocheninfektion belegen lässt.
Zur Festigung der Ergebnisse nahm man noch eine Kontrollgruppe von 286 Kindern hinzu. Diese Jungen und Mädchen im selben Alter waren wegen Knochenbrüchen nach Unfällen im Krankenhaus. Ein Rachenabstrich zeigte nur bei 17 Kindern das Vorhandensein von Kingella kingae. Das sind gerade einmal sechs Prozent.
Ausblick: Was bedeuten diese Studienergebnisse?
Die Studie zeigt mir und meinen Kollegen, dass Keime aus dem Rachenraum bis ins Skelett vordringen und dort Knocheninfektionen auslösen können. Während früher Kingella kingae sehr schwer nachweisbar war, hat die moderne Medizin dies geändert. Lange Zeit war es schlicht sehr aufwendig, den Erreger im Labor zu kultivieren, heute nutzt man die Polymerase-Kettenreaktion, kurz PCR.
Während also früher die Infektion schlicht in der Mehrheit aller Fälle übersehen wurde, reicht heute ein Abstrich im Rachenraum. Das ermöglicht eine schnelle Diagnose und entsprechend schnelle Einleitung einer Therapie. Denn Kingella kingae zählen keinesfalls zu den hartnäckigen Erregern. Die Bakterien sind im Gegenteil sehr empfindlich und daher mit Penizillin und anderen Antibiotika gut zu besiegen.
Originalpublikation:
Association between oropharyngeal carriage of Kingella kingae and osteoarticular infection in young children: a case–control study Jocelyn Gravel et al.; Canadian Medical Association Journal, doi: 10.1503/cmaj.170127; 2017