Es ist das wohl bekannteste Medikament, jeder hat eine Meinung dazu, es gibt bestimmt 386 Hersteller mit sehr einfallsreichen Namen, zugelassen schon für Babys, es macht abhängig: das Nasenspray. (Fanfare im Hintergrund!)
Was ist eigentlich dieses Nasenspray, wie wirkt es und warum bekommt man es in der Apotheke und nicht bei dem sympathischen, introvertierten jungen Mann mit Mütze tief im Gesicht hinterm Hauptbahnhof? Es macht doch abhängig!
Der Apotheken-Kenner wird einwerfen, dort bekäme man ja mittlerweile auch Cannabis. Aber diesen Schluß würde ich nicht ziehen.
Nasenspray gleich Nasenspray?
Nasensprays gibt es (nicht überrascht sein!) mit unterschiedlichen Inhalten. Tablette ist ja auch nicht gleich Tablette, inhaltlich gesehen. Es geht bei der Namensgebung nur um die Art der Applikation, also dem Heranführen des Wirkstoffs an den Körper. Nasenspray kann auch nur leicht gesalzenes Wasser sein, zur Befeuchtung der Nasenschleimhaut. Besser geht da noch Dexpanthenol oder Hyaluronsäure (Säure? Mein Gott!) als Inhaltsstoff. Pflegt, tut gut und macht so abhängig wie eine Handcreme und Bodylotion, also nicht. (Okay, der Lippenpflegestift macht wirklich abhängig!)
Dann gibt es noch Nasensprays gegen Allergien ganz unterschiedlicher Art, gegen chronische Entzündungen der Nase und Nasennebenhöhlen. Manchmal mit Cortison. Was, Cortison? Also gehe ich dann auf wie ein Hefekloß und meine Knochen brechen? Nein, da unterscheiden wir zwischen einer topischen (also lokalen) und einer systemischen Anwendung (wird über den Blutkreislauf verteilt). Also auch nicht schlimm!
Von welchem Nasenspray wird man denn jetzt abhängig? Das Stichwort heißt, bitte hinsetzen: Xylometazolin.
Dazu zwei Kurzvorträge
Was macht die Nase eigentlich außer einer Halterung für die Brille oder logische ästhetische Fortsetzung des Filtrums? Sie ist Klimaanlage und Filter der Luftwege. Die Atemluft wird auf dem Weg durch die Nase angefeuchtet, erwärmt und gefiltert. Zum Schutz der unteren Atemwege. Dazu gelangen auch Geruchspartikel zum Riechorgan, was auch bei der Differenzierung des Schmeckens wichtig ist. Weitere Funktionen sind für dieses Thema entbehrlich. Die Nasenmuscheln, die nicht nur die Oberfläche der Schleimhaut vergrößern, sondern auch mit ihren Schwellkörpern den Luftstrom regulieren, benötigen einen gute Durchblutung. Das Volumen des Schwellkörpers reguliert sich durch die Menge an Blut (ja, ich bin immer noch bei der Nase!). Und auch die Funktion des Filters und der Klimaanlage auf Schleimhautebene benötigt einen guten Durchfluß am „ganz besondren Saft“(frei nach Mephistopheles).
Macht macht nun Xylometazolin? Es verengt die blutzuführenden Gefäße. Also können sich die Schwellkörper in der Nase nicht mehr so stark ausdehnen (gewollter Effekt!) und die Schleimhaut hat etwas weniger Durchblutung für Klima und Filter (vorübergehend tolerierbarer Effekt!).
Den Schwellkörper zähmen
Die Wirkung des Xylometazolins hält nur wenige Stunden an. Anschließend füllen sich die Schwellkörper wieder mit Blut und die Nasenatmung kann wieder schlechter werden. Außerhalb eines Infektes oder einer Allergie reguliert sich der Schwellkörper selbst, kann also auch von selbst abschwellen. Diese Funktion verlernt er jedoch zunehmend durch Anwendung dieses Nasensprays über Wochen und Monate. Und dann muss man wieder nachsprayen, weil die Nase sonst dicht ist. Bei einigen Menschen befinden sich überall Nasensprays: an unterschiedlichen Orten der Wohnung, im Auto, im Büro, in den Taschen. Überall verfügbar: Das hat dann Sucht-Charakter.
Nachteil auf Dauer: Es entsteht eine Durchblutungsstörung der Schleimhaut. Die Klima- und Filterfunktionen können nachlassen. Nicht gut! Bis sich die Schleimhaut jedoch derartig umbaut und vielleicht sogar die berüchtigte borkige, ausgetrocknete Stinknase entsteht, ist ein Schnupfen lange vorbei. Diese Schädigung tritt bei chronischer Anwendung ein.
Das Krankheitsbild hat sogar einen schönen Namen: Privinismus. Benannt nach einem Nasenspray mit vergleichbarer Wirkung: Privin.
Ich gebe auf
Auch eine weltweite Aufkärungskampagne wird wohl nicht helfen. Wenn ich bei z.B. akuter Rhino-Sinusitis, akuter Otitis media oder Paukenergüssen abschwellendes Nasenspray empfehle, damit der infizierte Schleim besser ablaufen kann, werde ich trotz Erklärung der Zusammenhänge weiterhin den häufigsten Satz eines Patienten in einer HNO- Praxis hören:
„Was? Nasenspray? Aber das soll man doch nicht! Davon wird man doch abhängig!“