Wann das viel zitierte Sommerloch, das jedes Jahr einen tiefen Krater im Sinngehalt der Presse hinterlässt, eigentlich losgeht, lässt sich schwer sagen. Dieses Jahr scheint zumindest bei der ZEIT der Beginn mit der Veröffentlichung dieses Artikels gekommen zu sein:
„Bibliotherapie“ – wenn das mal keine klangvolle Sache ist. Wir erfahren im Artikel, dass der Berliner Heilpraktiker Markus Brüggenolte seinen Klienten Bücher zu lesen gibt, um diese mit der Kraft der Literatur zu heilen.
Quelle: Twitter
Er hat eine Liste erstellt, auf der er die Bücher in Kategorien wie „Depression“ oder „Trauma“ einteilt. Landet ein Ratsuchender bei ihm in der Praxis, so empfiehlt der Heilpraktiker ein Buch aus der passenden Kategorie. (Ansonsten gibt’s bei ihm noch Homöopathie, Schüßlersalze, „Healing“, „Metamorphose“ und „R.E.S.E.T.“.)
Zum Beispiel Krebspatienten: Die sollten Boris Vian´s „Der Schaum der Tage“ lesen, weil die Protagonistin in diesem Buch erlebt, wie eine Blume in ihr wächst. Alles klar?
Oder eine Patientin, die an Rheuma und Neurodermitis leidet. Sie schildert einen Albtraum, in dem sie von Vater oder Mutter als kleines Kind geschlagen wird. Da sie bisher gedacht hatte, eine glückliche Kindheit gehabt zu haben, gibt ihr der Heilpraktiker „Vergiftete Kindheit“ von Susan Forward zu lesen. Was passiert? Die Patientin ist jetzt der Ansicht, dass ihre Kindheit schlecht war. Die Albträume hören auf. Bingo.
Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen
So geht es weiter durch die wirre Welt des Wundersamen, ehe ganz am Ende des Artikels noch ein Psychologe einwenden darf, dass eventuelle Änderungen, die unter oder nach dem Lesen eines Buches eintreten, durch alles mögliche bedingt sein und nicht zwingend auf die konsumierte Literatur als solche zurückgeführt werden können. Außerdem würden Bücher auf unterschiedliche Menschen auch unterschiedlich wirken. Es sei also nicht ausgeschlossen, dass die Lektüre auch negative Auswirkungen haben könnte. Wissenschaftliche Untersuchungen zur Wirksamkeit dieser „Methode“ existieren natürlich nicht.
„Bibliotherapie“ ist eine weitere Spielart wilden „Therapierens“ ohne jegliche wissenschaftliche Basis. Na ja, zumindest hilft es der Bildung.
Trotzdem war mir Nessie als Sommerlochthema irgendwie lieber.
Peter Teuschel
Zuerst veröffentlicht auf www.DEIKS.de