Resveratrol galt bisher aufgrund seiner antioxidativen Wirkung als „Anti-Aging-Wunder“. Forscher fanden nun aber heraus, dass der Stoff prooxidativ wirkt und die Zelle durch die Bildung freier Radikale vor Stress schützt – vorausgesetzt die Dosierung stimmt.
Nahrungsergänzungsmittel mit Resveratrol erfreuen sich, insbesondere im Kampf gegen den Alterungsprozess, bei Herzkrankheiten oder bei Alzheimer, wachsender Beliebtheit. Zahlreiche Ergebnisse aus Zellversuchen und klinischen Studien konnten jedoch nicht reproduziert werden und ließen viele Fragen offen. Dr. Sascha Sauer vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin hat zusammen mit seinem Team nun eine mögliche Erklärung für die Wirkmechanismen von Resveratrol und die widersprüchlichen Ergebnisse gefunden. An der Untersuchung war auch die Entwicklungsabteilung des Unternehmens Unilever beteiligt.
Als Sauers Team die Verhältnisse im Inneren des Körpers im Reagenzglas nachstellte, wirkte Resveratrol nicht anti-, sondern eher prooxidativ. „Im Experiment entstanden geringe Mengen eigentlich schädlichen Sauerstoffs, der die Zellen unter leichten Stress setzt. Das eingesetzte Resveratrol zerfiel dabei schnell und fast vollständig“, erklärt Sauer. „In der Vergangenheit hat man sich stark auf mögliche Wechselwirkungen von Resveratrol mit bestimmten Genen und Proteinen, sowie auf dessen vermutete antioxidativen Eigenschaften konzentriert“, so Sauer. Antioxidative Substanzen können freie Radikale einfangen. „Unsere Versuche haben aber gezeigt, dass geringe Mengen an Resveratrol die Bildung von freien Radikalen sogar befördern.“
Als nächstes testeten die Forscher die Wirkung von unterschiedlichen Mengen Resveratrol auf Kulturen menschlicher Hautzellen, die auch für Tests von Kosmetika genutzt werden. In geringen Mengen wirkte Resveratrol auf die Zellen wie ein Stimulator, der sie gegenüber zusätzlichem oxidativen Stress trainierte und robuster als zuvor machte. Dies konnte Sauers Team mithilfe einer Reihe biochemischer Kontrollexperimente nachweisen. Sie beobachteten auch, dass durch Resveratrol bestimmte Gene gezielt aktiviert wurden. Diese Aktivierung führte dazu, dass die Zellen ihr intrazelluläres Milieu in einen antioxidativen und „jugendlicheren“ Zustand versetzten.
Der neu entdeckte Wirkmechanismus hatte sich laut Sauer bereits abgezeichnet – allerdings weitgehend unbemerkt. „Bei genauerem Hinsehen war in zahlreichen Studien der sogenannte Hormesis-Effekt erkennbar: positive Wirkung bei niedrigen, aber schädliche Effekte bei hohen Dosierungen. Dies fiel jedoch nicht auf, da man den zugrundeliegenden Mechanismus nicht erkennen konnte“, kommentiert Sauer. „Wir hoffen, dass unsere neue Studie einen Paradigmenwechsel in der Resveratrol-Forschung einleiten wird. Unsere Ergebnisse können die bislang festgestellten Wirkmechanismen weitgehend erklären und viele der gegenwärtigen Kontroversen in der Pharmakologie von Resveratrol auflösen. Sie sind also Grundlage für zukünftige zielgerichtete Forschungen und Anwendungen des Stoffs – etwa auch, ob sich Alterungsprozesse im menschlichen Körper durch dermatologische Produkte oder Nahrungsergänzungsmittel wirklich aufhalten lassen.“ Originalpublikation: Hormetic Shifting of Redox Environment by Pro-Oxidative Resveratrol Protects Cells Against Stress Annabell Plauth et al.; Free Radical Biology and Medicine, doi: 10.1016/j.freeradbiomed.2016.08.006; 2016