Patienten sind anspruchsvoll: Bevor sie einen Arzt aufsuchen, checken sie die Benotungen im Internet. Die Kritiken der Community sind inzwischen so wichtig wie die Empfehlungen aus dem Freundeskreis. Wie genau funktionieren Bewertungsportale und ist ein guter Ruf käuflich?
Der „tollste Doktor der Welt“ oder der „Pfuscher im weißen Kittel“: Fast jeder zweite Patient teilt über Bewertungsportale wie jameda.de, Docinsider.de oder Topmedic.de seine Meinung mit anderen Usern. Das ergab eine aktuelle Befragung von Bitkom Research.
Rund 45 Prozent aller Internetnutzer informierten sich zuerst online über Ärzte, Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Reha-Kliniken oder sonstige medizinische Einrichtungen, bevor sie sich in Behandlung begeben. Portale bieten Patienten ganz unterschiedliche Möglichkeiten, Ärzte zu bewerten. Das Spektrum reicht von Punkte- oder Notensystemen bis hin zu ausführlichen Kommentaren. Bitkom fand heraus, dass Versicherte die Bewertungen der Community durchaus ernst nehmen. Etwa 45 Prozent aller Befragten, die Online-Postings lasen, gaben an: „Die Meinung anderer Patienten hat einen Einfluss darauf, welche Ärzte oder medizinischen Einrichtungen ich aufsuche.“ Und für 31 Prozent sind Bewertungsportale sogar wichtiger als Empfehlungen aus dem Freundeskreis. Generell haben Frauen (49 Prozent) etwas mehr Interesse an Einträgen als Männer (41 Prozent). Große Unterschiede beim Alter fanden Marktforscher in den Altersgruppen zwischen 30 und 65 plus aber nicht. Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder weist auf die Unterschiede bei Einträgen hin: „Je zahlreicher die Bewertungen, desto wahrscheinlicher ist es, dass das Gesamtbild realistisch ausfällt.“
Doch was heißt realistisch? In Foren schreiben Ärzte, es sei schwierig bis unmöglich, Falschaussagen oder Schmähkritik vom Portalbetreiber wieder entfernen zu lassen. User argumentieren mit ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung gemäß Artikel 5 des Grundgesetzes. Laut Bundesgerichtshof haben Bewertungsportale sogar „eine von der Rechtsordnung gebilligte und gesellschaftlich erwünschte Funktion“ (Az.: VI ZR 34/15). Ärzte können sich nicht einfach streichen lassen (Az.: VI ZR 358/13). Beleidigungen fallen natürlich nicht unter diesen Schutz. Kollegen sollten entsprechende Postings melden und begründen, wo der Fehler liegt. Ansonsten steht ihnen frei, Beiträge öffentlich kommentieren – sprich Aussagen relativieren. An Nutzerdaten werden sie nicht gelangen. User haben laut Oberlandesgericht Hamm ein Recht auf Anonymität (Az.: I-3 U 196/10). Um die Qualität trotzdem zu wahren, setzen Portalbetreiber auf diverse Prüfprozesse.
Dr. Florian Weiß © Jameda DocCheck sprach dazu mit Dr. Florian Weiß, Geschäftsführer von Jameda. Seiner Erfahrung nach sind "digitale Patienten“ von heute anspruchsvoller. Sie recherchieren online und bereiten sich auf ihren Praxisbesuch vor. Sie nehmen Ärzte als Erbringer von Dienstleistungen wahr, an die sie ähnlich hohe Maßstäbe anlegen wie an Dienstleister aus anderen Lebensbereichen. Weiß: „Bewertungsportale geben Patienten heute die Möglichkeit, sich bereits vor dem Arztbesuch mit den Erfahrungen anderer Patienten zu beschäftigen und sich ein Bild vom Arzt und den angebotenen medizinischen Leistungen, aber auch von der wahrgenommenen Servicequalität, zu machen.“ © Jameda Er argumentiert mit ausgeklügelter Technik, um bei Bewertungen die Spreu vom Weizen zu trennen. Dazu gehört ein automatischer Algorithmus, der technische Daten, aber auch die E-Mailadresse des Bewertenden sowie sprachliche Auffälligkeiten überprüft. Anhand eines „digitalen Fingerabdrucks“, den jeder von uns im Internet hinterlässt, können manipulierte Bewertungen, zu denen auch Selbst- und Agenturbewertungen gehören, sehr zuverlässig identifiziert und gelöscht werden. Das gleiche gilt für Postings mit Beleidigungen. „Ergänzt wird der Algorithmus um eine manuelle Prüfung durch unser Qualitätssicherungs-Team sowie die SMS-Prüfung, die bei Verdachtsfällen sowie stichprobenartig durchgeführt wird“, sagt Weiß. Bestehen Zweifel, sperrt sein Team Einträge temporär. User werden aufgefordert, ihre Handynummer auf einer geschützten Seite zu hinterlegen. Innerhalb weniger Sekunden folgt ein SMS-Code, um das eigene Posting wieder freizuschalten. Manuelle Checks durch Mitarbeiter von Jameda sind ebenfalls möglich.
Dr. Ulrich Pfeiffer © privat Doch was denken Ärzte aus der Praxis über Chancen und Risiken von Jameda? DocCheck hat Dr. Ulrich Pfeiffer befragt. Er arbeitet als Orthopäde in München. Pfeiffer bewertet die Plattform als „ideal für die Rekrutierung neuer Patienten“ und ergänzt: „Meine Klientel hat sich durch Jameda komplett geändert: Meine Patienten sind jetzt männlich, jung, erfolgreich und anspruchsvoll." Schwächen sieht der Kollege beim Prüfprocedere: "Einen gänzlich unsubstantiellen Kommentar nur mit Sechsern als Bewertung aus unsachlichen Gründen konnte ich von Jameda leider nicht entfernen lassen. Ich wurde auf die Verjährung vertröstet."
Patienten äußern in Foren noch deutlichere Kritik. „Meine Angehörigen und ich haben wiederholt versucht schlechte Bewertungen für die Hausärztin unserer Familie abzugeben. Alle negativen Bewertungen wurden aufgrund der Intervention der Ärztin auf Jameda entfernt“, heißt es in einer Veröffentlichung. Ein anderer User beschwert sich über die technischen Hürden: „Habe eine Arztbewertung abgegeben, weil dieser Arzt, der sich so um Patienten bemüht, das wirklich verdient hat. Dann kam ein SMS-Code zur Bestätigung dieser Bewertung der allerdings nicht funktioniert hat. Ein zweiter hat auch nicht funktioniert.“ Zweifel an Rankings werden ebenfalls laut. Dazu kommentiert ein User: „Vor einigen Jahren habe ich einen Zahnarzt bei Jameda negativ bewertet (...). Die Bewertung war sachlich aber eben negativ. Anfang diesen Jahres bekam ich von Jameda die Mitteilung, dass der Zahnarzt meine Bewertung in Frage stellt und sogar behauptet, ich sei nie in seiner Praxis gewesen. Daraufhin wurden meine und eine weitere schlechte Bewertung (angeblich nur zunächst) zu Überprüfungszwecken entfernt. Ich habe daraufhin dem Bewertungsportal Jameda bestätigt, dass ich sehr wohl in der Praxis war, sogar über einen längeren Zeitraum. Bis heute wurde - trotz meiner Nachfrage und angeblicher Prüfung - weder meine noch die zweite negative Bewertung wieder eingestellt. Auf einmal sind aber 30 super Bewertungen für den Arzt vorhanden (...).“
Patienten spielen hier auf das Geschäftsmodell von Jameda an. Der Portalbetreiber bietet Ärzten unterschiedliche Premiumpakete von 55 bis zu 135 Euro pro Monat an. „Ein Premium-Paket hat keinen Einfluss auf Ihre Bewertungen oder auf die Position Ihres Profils in der Jameda-Ärzteliste“, heißt es im Kleingedruckten. Genau daran zweifeln User. Jameda kommentiert und relativiert zwar jeden Foreneintrag, kann die Zweifel von Usern aber nicht ausräumen. Es steht Aussage gegen Aussage. Wesentlich deulicher war die Sache beim Ranking von Trefferlisten, sollten Patienten bestimmte Ärzte suchen. Die Wettbewerbszentrale kritisierte, Top-Platzierungn müssten als gekaufte Werbung deutlicher gekennzeichnet werden - "Premium-Partner" reiche nicht aus. Das Landgericht München I sah die Praxis ebenfalls als irreführend an und verurteilte jameda zur Unterlassung (Az.: 37 O 19570/14). Der Portalbetreiber legte Berufung vor dem Oberlandesgericht München ein (Az. 29 U 1445/15), zog diese aber wieder zurück. Verbraucherschützer sprechen von einem klaren Sieg.