Oxytocin ist ein Effektorhormon des Hypothalamus. Es wirkt direkt an der Gebärmutter, wo die Zahl der Oxytocinrezeptoren mit fortschreitender Schwangerschaft zunimmt. Am Ende der Schwangerschaft und während der Geburt führt Oxytocin zur Auslösung und Anpassung der Wehentätigkeit. Nach der Geburt bewirkt es Kontraktionen der myoepithelialen Zellen in der Brustdrüse und regt die Milchsekretion an.
Zudem hat Oxytocin im bio-psycho-sozialen Bereich Einfluss auf die Stimmung und bindenden Einfluss auf die Mutter-Kind-Beziehung. So wurde beispielsweise ein Zusammenhang zwischen der erniedrigten mütterlichen Plasma-Oxytocinkonzentration im letzten Schwangerschaftsdrittel und der Ausbildung einer postpartalen Depression (PPD) nachgewiesen. In Studien konnte eine positive Beeinflussung der Depressionssymptome durch nasale Verabreichung von Oxytocinspray dokumentiert werden.
Spendenbereitschaft dank Bindungshormon?
Neuen Erkenntnissen zufolge gibt es noch weitere Wirkungsmechanismen des Hormons: Wissenschaftler der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Bonn zeigten in einer Studie auf, dass das Bindungshormon Oxytocin kombiniert mit einem Hinweis auf soziale Normen die Spendenbereitschaft bei Menschen, die tendenziell skeptisch gegenüber Migranten eingestellten sind, deutlich erhöhen könne.
Die Flüchtlingskrise zeigte, dass nicht alle vorbehaltlos Migranten unterstützen wollen oder können. „Das ist zum Teil auch evolutionär bedingt: Nur durch Zusammenhalt und Kooperation innerhalb der eigenen Gruppe war es in vorzivilisatorischen Zeiten möglich, den Nachwuchs großzuziehen und im Wettstreit um die knappen Ressourcen mit fremden und rivalisierenden Gruppen zu überleben“, erklärt Prof. Rene Hurlemann von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Bonn.
Experiment: Wer gönnt wem was?
Das biblische Gleichnis vom barmherzigen Samariter sagt etwas anderes aus: Der Samariter hilft einem Fremden unter Inkaufnahme persönlicher Nachteile und als Beispiel für selbstlose Nächstenliebe. „Aus neurobiologischer Sicht sind die Grundlagen von Fremdenfeindlichkeit und Altruismus noch nicht genau verstanden“, so Hurlemann weiter.
Unter seiner Leitung untersuchte ein Team von Wissenschaftlern der Universität Bonn, des Laureate Institute for Brain Research in Tulsa (USA) und der Universität Lübeck die Spendenbereitschaft von insgesamt 183 Studenten. Konkret ging es um eine Spende, zum Beispiel in Form von Kleidung, für 50 hilfsbedürftige Menschen: 25 Deutsche und 25 Flüchtlinge.
Mit einem Startguthaben von 50 Euro konnten die Versuchsteilnehmer für jeden Fall gesondert entscheiden, ob sie eine Summe zwischen null und einem Euro spenden wollten. Was nicht gespendet wurde, durften die Testpersonen behalten. „Uns überraschte, dass die Teilnehmer des ersten Experiments rund 20 Prozent mehr für Flüchtlinge spendeten als für einheimische Bedürftige“, sagt Nina Marsh als Erstautorin.
Einstellung gegenüber Migranten
Mit über 100 Probanden wurde zunächst in einem Fragebogen die persönlichen Einstellungen gegenüber Flüchtlingen abgefragt. Dann bekam die eine Hälfte das Bindungshormon Oxytocin über ein Nasenspray, die andere Hälfte bekam ein Placebo. Wiederum konnte mit einem Startguthaben von 50 Euro entschieden werden, wie viel davon an Einheimische oder Flüchtlinge gespendet werden sollte.
Unter dem Einfluss des Bindungshormons verdoppelten sich die Spenden für Flüchtlinge ebenso wie für Einheimische bei jenen Versuchsteilnehmern, die schon vorher eine tendenziell positive Einstellung gegenüber Flüchtlingen zeigten. Gaben die Testpersonen dagegen eine eher abwehrende Haltung Migranten gegenüber an, hatte Oxytocin keinerlei Wirkung: Jedoch fiel bei diesen Versuchsteilnehmern die Spendenneigung gegenüber allen Bedürftigen insgesamt sehr gering aus. „Offensichtlich verstärkt Oxytocin die Großzügigkeit gegenüber Bedürftigen; fehlt diese altruistische Grundhaltung, vermag die Gabe des Hormons sie nicht von allein zu erzeugen“, sagt Hurlemann.
Oxytocin und Normen zeigen Wirkung
Doch wie lassen sich Menschen mit einer tendenziell fremdenfeindlichen Haltung zu mehr Altruismus motivieren? Die Wissenschaftler gingen davon aus, dass die Vorgabe sozialer Normen ein Ansatzpunkt sein könnte. Deshalb präsentierten sie den Probanden in einem dritten Durchgang zu jedem Fallbeispiel das durchschnittliche Spendenergebnis ihrer Vorgänger im ersten Experiment.
Wieder wurde der Hälfte der Probanden Oxytocin verabreicht. Das Ergebnis war erstaunlich. „Jetzt spendeten auch Personen mit einer an sich negativen Grundeinstellung bis zu 74 Prozent mehr für Flüchtlinge als in der vorangegangenen Runde. Die Spenden für Einheimische nahmen hingegen nicht zu“, berichtet Nina Marsh. Durch die kombinierte Darreichung von Hormon und sozialer Normübermittlung reichte das Spendenaufkommen der Probanden, die gegenüber Migranten skeptisch eingestellt waren, bis auf nahezu 50 Prozent an das der altruistischen Gruppe heran.
Was lernen wir daraus?
Welche Schlüsse kann man daraus ziehen? „Skepsis gegenüber Migranten könnte mit sozialen Normen begegnet werden“, meint Hurlemann. Wenn etwa vertraute Menschen wie Vorgesetzte, Nachbarn oder Freunde mit gutem Vorbild vorangingen, ihre positive Einstellung für Flüchtlinge öffentlich machten und an den Altruismus appellierten, würden sich wahrscheinlich auch mehr Personen mit einer tendenziell fremdenfeindlichen Einstellung durch diese soziale Richtschnur motiviert fühlen, durch höhere Spendenbereitschaft mitzuhelfen.“
Und weiter: „Das Bindungshormon Oxytocin könnte dabei Vertrauen stärken und Ängste abmildern – bei gemeinsamen Aktivitäten steigt erfahrungsgemäß der Oxytocin-Spiegel im Blut. „Das wäre eine ideale Situation, um die Akzeptanz und Integration von Zugewanderten zu fördern, die auf unsere Hilfe angewiesen sind“, sagt Hurlemann.
Quelle:
Oxytocin-enforced norm compliance reduces xenophobic outgroup rejection. Nina Marsh et al., PNAS, doi: 10.1073/pnas.1705853114; 2017