Im neuesten WHO-Bericht kommen wir in puncto Prävention gegen Alkoholmissbrauch nicht gut weg. Vielleicht, weil Alkoholismus hierzulande verharmlost wird oder einfach ignoriert. Betroffene sehen wir in der Apotheke regelmäßig. Eine Konfrontation bringt mal mehr, mal weniger.
Kürzlich hat die WHO einen Bericht mit dem Titel „Policy in action – a tool for measuring alcohol policy implementation“ veröffentlicht. Beim Lesen kam ich ins Grübeln. ist es in Deutschland grundsätzlich zu einfach, an Alkohol zu gelangen?
Was ist der richtige Umgang mit Trinkern?
Mal davon abgesehen, dass die Untersuchung ein paar offensichtliche Schwächen aufweist, weil man die verschiedenen Länder nicht so einfach gegenüberstellen kann (auf die im Bericht erwähnte vorbeugende Maßnahme gegen illegal produzierten Alkohol wird in Deutschland selbstverständlich kein besonderes Augenmerk gelegt, denn die illegale Schnapsbrennerei wird sich hierzulande wohl in Grenzen halten) tun sich für mich ganz praktische Fragen auf.
Wie gehen wir zum Beispiel in der Apotheke mit Alkoholkranken um? Ich muss zugeben – selbst, wenn ich bemerke, dass einer unserer Kunden immer wieder alkoholisiert ist, spreche ich ihn oder sie nicht darauf an. Ich denke immer, dass es relativ sinnlos wäre und an der Situation nichts ändern würde … oder doch? Würde sich die Vertreterin, die immer einen Pfefferminzkaugummi kauend und mit ihren geplatzten Äderchen auf den Wangen bei uns vorspricht, über das Thema Gedanken machen? Einfach nur weil ihr mal jemand sagt, dass er bemerkt hat, dass bei ihr etwas nicht stimmt? Vielleicht.
Jeder sieht es, keiner sagt was
Bereits auf der PTA-Schule hatten wir eine trinkende Chemielehrerin, die grundsätzlich mit einer Tasse herumlief. Darin war aber weder Kaffee noch Tee, sondern Chlorhexamed Gurgellösung, damit sie immer mal zwischendurch davon nippen konnte damit niemand ihre Fahne bemerkt. Den „Asbach“ hatte sie in kleinen Fläschchen überall im Labor versteckt, damit sie immer mal davon trinken konnte, wenn es „nötig war“. Wie mir zu Ohren gekommen ist, ist sie Jahre später betrunken in den offenen Reagenzienschrank gefallen, erst dann hat die Schulleitung reagiert.
Hätte es geholfen, wenn schon eher mal ein Schüler zu ihr gekommen wäre, um das Thema anzusprechen? Auch eine Kundin war vor vielen Jahren einmal bei mir, um Antabus-Tabletten zu kaufen, die sie ihrem trinkenden Ehemann heimlich unterjubeln wollte. Mal davon abgesehen, dass diese Tabletten in Deutschland keine Zulassung haben, konnten wir die Kundin glücklicherweise davon überzeugen, dass das keine gute Idee wäre. Die Nebenwirkungen wären derart stark, wenn ihr Mann wieder zur Flasche greift, – sie könnten ihn sogar töten – dass sie davon absah, sich die Tabletten illegal im Internet zu besorgen. Aber reicht das? Hätten wir nicht mehr für sie tun können?
Ob eine Konfrontation was bringt, ist die Frage
Es ist wahrlich eine Gratwanderung. In der Apotheke haben wir die Möglichkeit, uns über die Symptome, die unser Kunde an den Tag legt, dem Thema zu nähern. Lallt er, oder hat er eine verwaschene Aussprache, könnten das ja auch die Auswirkungen eines medizinischen Problems sein. Wir könnten ihn vorsichtig darauf ansprechen. Blockt er gleich ab, dann ist es sinnlos, weiterzubohren, aber man hat deutlich gemacht, dass man sein Problem erkannt hat. Geht er darauf ein, so findet sich – vielleicht im Zusammenspiel mit seinem Arzt – eventuell eine Möglichkeit, zu helfen.
Echte Trinker brauchen aber meist ein stärkeres „Erweckungserlebnis“ als ein Ansprechen in der Apotheke. Wenn der Alkohol erst einmal den Coolnessfaktor oder das Geselligkeitselement verlieren würde, dann glaube ich, wäre der Kampf, in keine Abhängigkeit zu rutschen, schon halb gewonnen.