Aktuelle Forschungsergebnisse belegen, dass die therapeutische Wirkung von Herzglykosiden nicht auf Hemmung der Natriumpumpe beruht. Für Ouabain ist nachgewiesen, dass der Schutz des Herzens auf Aktivierung von Signalkaskaden beruht.
Digitalisglykoside (Digoxin, Digitoxin) und die strukturell verwandten Strophanthusglykoside (Strophanthine, Cymarin) werden seit mehr als 200 Jahren zur Behandlung von Herzerkrankungen eingesetzt. Dennoch ist der Wirkmechanismus über den die Herzglykoside ihre therapeutische Wirkung entfalten nach wie vor Gegenstand intensiver Forschung. In genügend hohen Konzentrationen blockieren Herzglykoside die Natriumpumpe (Na+/K+-ATPase). Intensiv diskutiert worden ist, ob und wie die Wirkungen der Herzglykoside auf die Natriumpumpe die an Patienten beobachtete inotrope Wirkung erklären können. Hierzu sind viele Erklärungsansätze vorgeschlagen worden. Als allgemein akzeptiert und als Lehrbuchwissen verankert hat sich die Hypothese von Mordecai Blaustein durchgesetzt, dass eine partielle Hemmung der Natriumpumpe zu einem Anstieg der intrazellulären Calciumionen Konzentration und damit zur verstärkten Kontraktion des Herzmuskels führt [1].
Es gibt zahlreiche Befunde, welche mit der Blaustein Hypothese nicht in Einklang stehen [2]. Mehrere Forscher haben gezeigt, dass die partielle Blockade der Natriumpumpe nicht mit der inotropen Wirkung korreliert [3]. Okita hat in mehreren Arbeiten die Trennung von inotroper und toxischer Wirkung beschrieben [4]. Lüllmann hat gezeigt, dass die inotrope Wirkung nicht mit dem Grad der Hemmung der Natriumpumpe korreliert. Jedoch gibt es eine enge Korrelation zwischen der Elektrolytzusammensetzung und Toxizität [5,6]. Liu konnte diese Ergebnisse 20 Jahre später bestätigen [7]. Wasserstrom fand, dass die Stärke der Inotropie stark mit der Struktur der Glykoside variiert, während die Toxizität auf Strukturveränderungen kaum reagiert [8,9]. Verbindungen aus unterschiedlichen Substanzklassen hemmen die Natriumpumpe. In Jahrzehnte langen Bemühungen in der Industrie und an Hochschulen ist es nicht gelungen, Inhibitoren der Natriumpumpe zu synthetisieren, welche eine den Herzglykosiden vergleichbare oder bessere Herzwirkung aufweisen.
Ratten sind gegenüber Steroidglykosiden recht unempfindlich. Die Affinität der Herzglykoside zur Natriumpumpe der Ratte ist deutlich geringer als die zur Natriumpumpe anderer Tiere. Die lethale Dosis von Herzglykosiden bei Ratten liegt um Größenordnungen über den für sensible Tierarten bestimmten Werten. Intraperitoneal verabreicht beträgt die lethale Dosis (LD50) von Ouabain bei Mäusen 1,2 mg/kg Körpergewicht, während die lethale Dosis bei Ratten 125 mg/kg beträgt. Auch diese Befunde deuten darauf hin, dass eine Hemmung der Natriumpumpe für die Toxizität, nicht aber für die therapeutische Wirkung der Herzglykoside verantwortlich ist.
Für die experimentelle Bestimmung der Hemmwirkung von Herzglykosiden auf die Natriumpumpe sind unterschiedliche Verfahren eingesetzt worden, welche zu stark abweichenden Ergebnissen geführt haben. Es sind Präparationen der Natriumpumpe sowohl aus humanem als auch aus tierischem Gewebe benutzt worden. Die Messmethoden – Medium, Reagenzien, Reaktionszeit – waren nicht standardisiert. In einer aktuellen Arbeit hat eine Arbeitsgruppe um Alexei Bagrov und Amir Askari nunmehr die Bindungskonstanten mehrerer Herzglykoside an gereinigten Enzympräparationen aus humanem Nierengewebe und aus Nierengewebe von Schweinen bestimmt [10]. Gemessen wurden übereinstimmende Hemmwirkungen der Herzglykoside auf die Na+/K+-ATPasen aus humaner und Schweineniere. Die Hemmungskonstante (Ki-Wert)von Ouabain (g-Strophanthin) beträgt 1.22 ± 0.09 μM, der Ki-Wert von Digoxin wurde zu 3.2 ± 0.22 μM bestimmt. Im Gegensatz hierzu sind die therapeutischen Konzentrationen in der Behandlung von Herzkrankheiten bei Ouabain < 0,5 nM und 1 – 2 nM bei Digoxin. Die zur Hemmung der Natriumpumpe notwendigen Konzentrationen von Herzglykosiden sind demnach um den Faktor 1.000 höher als die für therapeutische Zwecke eingesetzten Konzentrationen. Damit ist ausgeschlossen, dass die therapeutische Wirkung der Herzglykoside durch Hemmung der Natriumpumpe bewirkt werden kann.
Ouabain aktiviert schützende Signalkaskaden
Seit einigen Jahren ist bekannt, dass Ouabain in nanomolaren Konzentrationen durch Wechselwirkung mit der Natriumpumpe Signalkaskaden aktiviert, welche unabhängig sind von der Ionenpumpfunktion. In mehreren Arbeiten hat die Arbeitsgruppe um Sandrine Pierre an der University of Toledo, USA, bereits nachgewiesen, dass Ouabain ähnlich wie die Präkonditionierung einen Schutz der Herzzellen bewirkt. Es gilt als gesichert, dass Ouabain hierbei die gleichen Signalkaskaden aktiviert, welche auch durch ischämische Präkonditionierung aktiviert werden. In einer aktuellen Arbeit wird berichtet, dass Ouabain in Zellkulturen sowohl enzymatische als auch signalgebende Funktionen der Natriumpumpe vor Veränderungen schützt, welche im ischämischen Herzen beeinträchtigt sind [11].
Auch aktuelle in-vivo Versuche mit Mäusen belegen, dass die Schutzwirkung von Ouabain bei Herzinsuffizienz nicht auf Hemmung der Natriumpumpe beruht, sondern durch Aktivierung einer spezifischen Kinase (Phosphoinositide 3-kinase-α) induziert wird [12]. Die Autoren schlussfolgern aus ihren Versuchen: „In Verbindung mit einer Fülle von verfügbaren Informationen über die klinische Anwendung von Digitalis Medikamenten am Menschen belegen die vorliegenden Ergebnisse die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen über die mögliche Verwendung dieser Medikamente für die Prävention von Herzinsuffizienz, wie es bereits vor fast einem Jahrhundert empfohlen worden ist.“ Diese aus aktuellen Forschungsergebnissen erneut abgeleitete Empfehlung hat der an der Universität Düsseldorf lehrende Internist Prof. Ernst Edens (1876 – 1944) bereits 1944 aus seinen klinischen Erfahrungen mit Strophanthin abgeleitet und als Prognose formuliert:
„Es wird einmal die Zeit kommen, in der man die Unterlassung der rechtzeitigen Strophanthinbehandlung von Angina pectoris als Kunstfehler verurteilen wird.“
Literatur
[1] Blaustein MP, The cellular basis of cardiotonic steroid action. Trends Pharmacol Sci 1985; 6: 289-292
[2] Fürstenwerth H, On the differences between ouabain and digitalis glycosides. Am J Ther. 2014; 21(1): 35-42.
[3] Wasserstrom JA, Aistrup GL. Digitalis: new actions for an old drug. Am J Physiol Heart Circ Physiol 2005; 289: 1781-1793
[4] Okita GT. Dissociation of Na+,K+-ATPase inhibition from digitalis inotropy. Fed Proc 1977; 36(9): 2225-2233
[5] Lüllmann H, Peters T, Preuner J. Mechanism of action of digitalis glycosides in the light of new experimental observations. Eur Heart J 1982; 3 Suppl D: 45-51.
[6] Lüllmann H, Peters T, Prillwitz HH, et al. Cardiac glycosides with different effects in the heart. Basic Res Cardiol 1984;7 9 Suppl: 93-101.
[7] Liu J, Tian J, Haas M, et al. Ouabain interaction with cardiac Na/K-ATPase initiates signal cascades independent of changes in intracellular Na+ and Ca2+ concentrations. J Biol Chem 2000; 275:27838–27844
[8] Wasserstrom JA, Farkas DE. Inotropic and toxic actions of several cardiac steroids in sheep cardiac tissues. Prog Clin Biol Res 1988; 268B: 469–476.
[9] Wasserstrom JA, Farkas DE, Norell MA, et al. Effects of different cardiac steroids on intracellular sodium, inotropy and toxicity in sheep Purkinje fibers. J Pharmacol Exp Ther 1991; 258: 918–925.
[10] Marjorie E. Gable, Linda Ellis, Olga V. Fedorova, Alexei Y. Bagrov, and Amir Askari, Comparison of Digitalis Sensitivities of Na+/K+‐ATPases from Human and Pig Kidneys, ACS Omega 2017, 2, 3610−3615,
http://pubs.acs.org/doi/abs/10.1021/acsomega.7b00591
[11] Aude Belliard, Gaurav K. Gulati, Qiming Duan, Rosana Alves, Shannon Brewer, Namrata Madan, Yoann Sottejeau, Xiaoliang Wang, Jennifer Kalisz & Sandrine V. Pierre Ischemia/reperfusion-induced alterations of enzymatic and signaling functions of the rat cardiac Na+/K+-ATPase: protection by ouabain preconditioning. Physiol Rep. 2016 Oct;4(19). pii: e12991.
[12] Wu J, Li D, Du L, Baldawi M, Gable ME, Askari A, Liu L. Ouabain prevents pathological cardiac hypertrophy and heart failure through activation of phosphoinositide 3-kinase α in mouse. Cell Biosci. 2015 Nov 18;5:64.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4652409/