Wie beeinflusst ein Schlafanzug die Fremdbeurteilung eines Facharztes? Machen blaue Pyjama Patienten kränker als sie sind?
Im Augenblick bin ich kurz vor dem Wechsel zu einem neuen Arbeitgeber im Bereich der psychosomatischen Rehabilitationsmedizin. Da passt dann schon der erste Eindruck, wenn man in eine Klinik kommt und man bekommt ein Gefühl für die Stimmung vor Ort und letztlich auch für die Patienten.
In diesem Zusammenhang fiel mir dann heute eine Studie auf, die sich auf das „Blue pyjama syndrome“ bezieht. Also dem Phänomen des blauen Schlafanzugs bei der Beurteilung des Schweregrads einer Depression durch Fachleute.
Wer schon einmal ein Krankenhaus oder auch eine Rehabilitationsklinik besucht hat, wird Patienten am Haupteingang (oder der Raucherecke) im Jogginganzug, Pyjama oder Bademantel bestimmt kennen. Sie vermitteln irgendwie schon das Gefühl, dass sie „krank“ sein müssen. Quasi bettlägrig und schonungsbedürftig.
Krankes Outfit
Das mag nun in einem Akutkrankenhaus in den Bereichen Innere oder Chirurgie bzw. den anderen Fachdisziplinen eine gewisse Berechtigung haben. Hier aber frage ich mich – als derzeit täglicher Besucher im Klinikum Lüneburg – schon, ob das so sein muss. Immerhin solte man sich nur in den seltensten Fällen die ganze Zeit im Bett aufhalten, wenn man ein medizinisches Problem hat.
Aber egal.
Ganz sicher ist es im Bereich der Psychiatrie und Psychosomatik nicht sinnvoll, im Schlafanzug oder Jogginganzug regelrecht Krankheit zu demonstrieren.
Ein Stück Stoff mit großer Auswirkung
Die erwähnte Studie ermittelte jetzt, dass sich Psychiater leicht hinter das Licht führen lassen. Sie schätzen Probanden in einem blauen Pyjama als „kränker“ ein als in Straßenkleidung. Die Selbsteinschätzung der Patienten ist davon glücklicherweise nicht betroffen.
Das finde ich schon krass. Immerhin macht ja nun ein blauer Pyjama nicht depressiver und die Kollegen sollten eigentlich bessere Mittel haben, den Schweregrad einer psychiatrischen Erkrankung individuell einzuschätzen.
Vielleicht muss man es aber auch einmal anders herum sehen: Wir Psychiater sind auch nur Menschen und lassen uns eben hinters Licht führen. Für mich aber noch einmal Anlass, mir Gedanken über die Verfestigung von Krankenrollen bzw. Vorurteilen in der Klinik Gedanken zu machen.