Das Schöne an meinem Beruf ist unter anderem, dass es „menschelt“. Nicht nur in der Apotheke, sondern ganz besonders auch außerhalb – zum Beispiel, wenn wir Medikamente ausliefern. Wie wohl die meisten Apotheken haben auch wir einen Botendienst, der gegen Abend Medikamente für die Leute ausfährt, die es aus verschiedenen Gründen nicht schaffen, selbst zu kommen.
Wir liefern aber auch außer der Reihe wenn es besonders schnell gehen muss – Kundenservice eben. Eine Kundin älteren Semesters rief heute an und informierte uns, dass sie dringend sofort ein Antibiotikum brauche, das Rezept habe sie schon in der Wohnung. Sie hustete auch wirklich erbärmlich, sodass wir ihr versprachen, in der nächsten halben Stunde bei ihr zu sein.
Als ich gerade auflegen wollte, sagte sie noch: „Wenn Sie dann gleich kommen, bringen Sie mir noch eine Stange Marlboro Menthol vom Tabakladen mit, da fahren sie ja eh dran vorbei!“ Ohne Worte!
Zeitreise in die Kundenwohnung
Aber auch sonst bekommen wir wirklich alle Facetten unserer Kunden zu sehen. Bei den alleinstehenden älteren Damen fühlt man sich manchmal in eine andere Zeit zurückversetzt. Da steht in der Ecke ein Original Nierentisch aus den 70er Jahre, die Stehlampe hat einen Schirm mit Troddeln dran. Im Lesezimmer ein alter Globus aus Holz, der ausgestopfte Kanarienvogel „Tweety“ grüßt von der Garderobe, an der noch der Hut des vor 15 Jahren verstorbenen Gatten hängt.
Diese Damen begrüßen einen meist herzlich in der bunten Kittelschürze und bieten einen Platz am Küchentisch an, damit sie sich die Medikamente erst einmal ansehen können. Sie haben viel Zeit und würden am liebsten noch einen Kaffee mit uns trinken. Am Ende gibt’s meist noch einen Euro Trinkgeld oder eine Tafel Schokolade als Dankeschön. Dort gehen wir gerne hin.
Alleinstehende Männer: Immer für eine Überraschung gut
Weniger gerne liefern wir an alleinstehende ältere Männer, die – Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel – meist das genaue Gegenteil leben. Wir sind schon froh, wenn wir nicht hereingebeten werden. Abgestandene Luft, leere Bierflaschen auf dem Wohnzimmertisch, volle Aschenbecher daneben. Wann das letzte Mal geputzt/Staub gewischt wurde, weiß man nicht genau, aber es könnte um die Jahrtausendwende gewesen sein. Gut, häufig geht es hier um eine Generation, die alles an häuslicher Arbeit den Frauen überlassen hat und seit dem Tod ihrer Holden von Essen auf Rädern beliefert wird.
Es ist traurig, aber unser Mitleid hält sich in Grenzen, wenn die Türe im weit geöffneten, alten, vergilbten Bademantel geöffnet wird. Oder wir gleich völlig nackt im Wohnzimmer auf der Couch liegend begrüßt werden. Auch den Anblick des Mittsiebzigers letzte Woche, der mir nur mit einem Suspensorium „bekleidet“ entgegenkam, sorgte da eher für Entsetzen. Bitte, bitte, zieht euch doch was an, wenn die Apotheke 3 Mal klingelt, ja?