Muss erst eine Krise kommen, damit wir die wichtigen Dinge in unserem Leben erkennen?
Gestern habe ich ihn wieder einmal gehört, diesen einen Satz. Ausgesprochen hat ihn ein Patient, der wie viele andere erfahren musste, dass eine einseitige Orientierung an beruflichen Erfolgen Gefahren birgt. Auch wenn man sich sicher wähnt, der Wind kann sich schnell drehen.
Gerade wenn man wie ich viel mit arbeitsplatzbedingten psychischen Störungen zu tun hat, sieht man, wie schnell eine erfolgreiche Karriere ins Stocken geraten oder gar enden kann. Ein neuer Chef, dem meine Nase nicht passt, der sich durch mich bedroht fühlt, der den Auftrag hat, mich abzusägen oder, oder, oder. Dann gerät das bisher so stabile Lebensgerüst schnell ins Wanken.
Mich trifft es ja sowieso nicht
Ich schreibe das nicht, um jemandem Angst zu machen. Nach meiner Erfahrung gehen die meisten ohnehin davon aus, dass es immer „die anderen“ trifft, deshalb wird die Option des Scheiterns im eigenen Fall ausgeblendet. Das ist vielleicht auch gut so, wenn es um die eigenen Leistungen geht. Da sind Selbstvertrauen und Selbstsicherheit durchaus ein besseres Fundament als Selbstzweifel. Dass aber der beruflicher Weg durch schädigende Einflüsse von außen behindert oder gar zerstört werden könnte, davon geht kaum einer aus.
So ist es auch bei meinem gestrigen Patienten gewesen. Er hat gute, sehr gute Arbeit geleistet. Das hat jemandem nicht gefallen und er wurde demontiert.
Wie so oft waren auch hier die langen Monate der Krise eine Phase der Neuorientierung. Die alten Werte wie Erfolg, berufliche Position, Anerkennung von außen erwiesen sich als wenig brauchbar in der neuen Situation. An ihre Stelle traten neue Wichtigkeiten: Körperliche Gesundheit, Sport, Ruhe, Beziehungen, Interessen abseits des Berufes.
Braucht es immer erst eine Krise?
Und aus dieser Erfahrung heraus sagte mein Patient dann sinngemäß: „Vielleicht hätte ich schon viel früher mein Leben in eine andere Richtung lenken sollen. Nicht so viel an den Beruf denken, sondern mehr an mein Leben.“
Diesen Satz – es wäre sinnvoll, mehr ans Leben und weniger an den Beruf zu denken – habe ich in den letzten 20 Jahren in meiner Praxis sehr oft von Menschen in Krisen gehört.
Wie wäre es, wenn man damit nicht bis zur Krise warten würde?
Peter Teuschel
Zuerst veröffentlicht auf Schräglage.