Der Anteil von Senioren in der Gesellschaft nimmt immer mehr zu. Gegenstand der größeren Bauprojekte in unserer kleinen Stadt sind neben Baumärkten und Einkaufszentren zunehmend Seniorenheime. Aber wie verläuft die Versorgung dort?
Ein HNO-Arzt ist auf seine Untersuchungsgeräte angewiesen. Deshalb sind Hausbesuche nur selten effektiv möglich. Manchmal verschlägt es mich aber dennoch in ein Alten- oder Pflegeheim. Die Versorgungsqualität ist auf den ersten Blick sehr unterschiedlich. Der Personalschlüssel lässt erahnen, wie viel Betreuung die Senioren bekommen. Die Bewohner sitzen auf dem Flur und in den Gemeinschaftsräumen. Die Pfleger bewegen sich gehetzt, damit sie ihre Arbeit schaffen.
Ich möchte gar nicht in Frage stellen, dass die altenpflegerischen Maßnahmen korrekt nach den gesetzten Standards ausgeführt werden. Aber wie viel Zuwendung erhält der Bewohner tatsächlich und vom wem?
Der Doppeltermin: Gibt es viel zu besprechen?
Die heutige Patientin hat es – trotz ihres hohen Alters – noch zu mir in die Praxis geschafft. Wenn ein Patient in meiner Praxis einen Doppeltermin bekommt, schaue ich vor dem Aufruf nach den Gründen für den verlängerten Termin, um mich gegebenenfalls schon entsprechend vorzubereiten.
In diesem Fall handelt es sich um eine 96-jährige Patientin aus dem Heim gegenüber, sie sitzt im Rollstuhl. Ich mache etwas Platz und bitte die Patientin in Begleitung ihrer Tochter herein.
Die Seniorin reagiert kaum auf meine Begrüßung, kein Blickkontakt, keine Reaktion, als ich mir sanft ihre rechte Hand zur Begrüßung nehme. Mit viel Mühe bekommen wir sie auf den Untersuchungsstuhl.
Der eigentliche Konsultationsgrund
Ich solle doch mal durchchecken, das verschriebene Hörgerät trage sie seit 15 Jahren nicht mehr. Ich säubere die Ohren und finde weder dort noch in Nase und Mund/Rachen eine Auffälligkeit. Die geringe Mundöffnung ist die einzige nennenswerte Reaktion. Da ist doch noch eine Frage, oder?
„Ach ja, bevor ich es vergesse: Sie müssen meiner Mutter noch Logopädie aufschreiben, ihr fällt das Schlucken immer schwerer. Sie soll ja jetzt auch täglich Physiotherapie bekommen, damit sie mal wieder richtig mobilisiert wird!“
Ich bin sicher, dass jeder Mensch von einer täglichen fachgerechten Physiotherapie und Logopädie bei altersbedingten Beschwerden profitieren würde. Aber haben wir genug Therapeuten? Mein Quartalsbudget jedenfalls wäre nach einer Woche ausgeschöpft.