Bundesweit erkranken mehr und mehr Menschen an Demenzen. Interaktive Beleuchtungssysteme könnten ihnen helfen, länger in den eigenen vier Wänden zu leben. Von diesen Forschungsprojekten profitieren auch Menschen, die im Schichtsystem arbeiten.
Deutschland wird älter. Gelingt kein Durchbruch bei der Prävention und Therapie von Demenzen, wird die Zahl an Erkrankten bei uns Jahr für Jahr um durchschnittlich 40.000 ansteigen und sich bis zum Jahr 2050 nahezu verdoppeln. Das berichtet die Deutsche Alzheimer Gesellschaft. Es gibt aber nicht nur Strategien im medizinisch-pharmakologischen Sinne. Hier reicht das Spektrum von banal-genial bis hin zu Hightech-Lösungen.
Experten zeigten Ärzten und Angehörigen in Musterwohnungen, worauf sie bei Demenzpatienten achten sollten. Zu den Grundprinzipien gehören ruhige Farben, etwa bei der Gestaltung des Wohnbereichs. Gut erkennbare Kontraste erleichtern die Orientierung. Dieser Effekt lässt sich bereits durch blaue Markierungen am Rand des Waschbeckens, der Toilette sowie der Dusche erzielen. Hinzu kommt als Maxime, Angebote zu reduzieren. In Bad oder Küche sollten möglichst wenige Gegenstände zu finden sein. Transparenz erleichtert Menschen die Orientierung ebenfalls – etwa durch gläserne Türen oder durchsichtige Topfdeckel. Bleibt noch, auf helle Beleuchtung zu achten. Denn Licht spielt eine wichtigere Rolle als bislang angenommen. Demenz-Musterwohnung. Quelle: Diakonie Hamburg
Interaktive Beleuchtungssysteme unterstützen Demenzpatienten, indem ihr Schlaf-Wach-Rhythmus normalisiert wird. Schlechte Lichtverhältnisse führen zu Unsicherheit und Unruhe. Grund genug für die licht raum stadt planung GmbH, das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (UMSICHT), die Hochschule Ruhr West und die ALPHA – Allgemeine und psychiatrische Hauskrankenpflege gGmbH, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Im Rahmen von SILVERlighting entwickeln sie ein dynamisches Beleuchtungssystem, das den Tagesverlauf unseres Sonnenlichts nachbildet. Aufenthaltsbereich der Demenz-WG mit SILVERlighting. Foto: Fraunhofer UMSICHT Ihre Hoffnung: „Symptome wie die innere Unruhe gilt es zu dämpfen“, so Projektleiter André Reinecke von Fraunhofer UMSICHT. „Vielleicht bewirkt eine ausreichend innere Ruhe, dass letztlich weniger Medikamente eingenommen werden müssen, aber das primäre Ziel ist im Ganzen ein höheres Wohlbefinden zu erreichen.“
Um diese Frage zu klären, statteten Techniker eine Wohngemeinschaft für demenzkranke Menschen mit 66 Deckenleuchten aus. Die Strahler haben einen Durchmesser von 400 bis 600 Millimetern. Sie vermeiden aufgrund ihrer speziellen Anordnung Schatten oder Spiegelungen auf dem Boden. Ziel ist, Bewohnern die Orientierung zu erleichtern und letztlich Stürze zu vermeiden. Foto: Fraunhofer UMSICHT Jede Leuchte verfügt über zwei unterschiedliche Arten von LEDs. Als Lichtfarben wählten Forscher Kaltweiß (6500 Kelvin) und Warmweiß (3000 Kelvin). Dadurch kann das Farbspektrum im Tagesverlauf optimal nachgebildet werden. Stehlampen mit zirkadianem Licht wurden als transportable, flexible Lösung ebenfalls entwickelt. Um den Erfolg zu quantifizieren, erfassen Pflegekräfte per App anonymisierte Daten für jeden Bewohner. Dazu zählen unter anderem der Aktivitätsgrad, die Bewegung und das Schlafwachverhalten. Das Demenzstadium wird über etablierte Verfahren wie den Minimal-Mental-Status-Test (MMST) und das Neuropsychiatrische Inventar (NPI) berücksichtigt. Ihre Resultate liefern im besten Fall Argumente gegenüber Krankenkassen, um die Kosten zu übernehmen.
Von entsprechenden Forschungsprojekten profitieren aber auch Menschen, die im Schichtdienst arbeiten, beispielsweise Ärzte in Kliniken oder Arbeiter in Fabriken. Forscher von Fraunhofer UMSICHT arbeiten an einem LED-System, um große Bereiche dynamisch zu beleuchten. War bislang nur die Lichtintensität regulierbar, sollen jetzt Wellenlängenbereiche präzise gesteuert werden. Um den Nutzen zu erforschen, statten Wissenschaftler einen Produktionsabschnitt von BMW mit LED-Systemen aus. Gleichzeitig erfassen sie bei 80 Arbeitern diverse Vitalparameter. Der Druck, Arbeitsbedingungen zu verbessern, ist groß. Ältere epidemiologische Studien geben bei Krankenschwestern einen Zusammenhang zwischen dem Schichtdienst und Brustkrebs nahe, ohne die Kausalität zu beweisen. Die internationale Krebsagentur IARC spricht von „wahrscheinlich karzinogen für Menschen“. Und im Tierexperiment beschleunigten Störungen des zirkadianen Rhythmus das Tumorwachstum. Wurden BMAL1 und PER2 ausgeschaltet, die Gene steuern Tag-Nacht-Rhythmen, kam es zu ähnlichen Effekten. Bei den Tieren reicherte sich MYC an. Das Protein wirkt als Transkriptionsfaktor. Es reguliert Prozesse rund um das Zellwachstum, die Proliferation oder die Differenzierung. Molekularbiologische Effekte könnten erklären, warum Menschen mit Schichtarbeit gefährdet sind. Hier setzen Fraunhofer-Forscher mit ihrem Lichtkonzept an.