Der neue Service einer Privatklinik macht mich als Physiotherapeut stutzig: Patienten, die eine Hüft-OP vornehmen lassen, können dies in nur einem Tag abwickeln. Anreisen, operieren und nachhause fahren hat man innerhalb von 24 Stunden hinter sich. Ob das gut ist?
Als Physiotherapeut bin ich einige abenteuerliche OP- und Reha-Geschichten meiner Patienten gewohnt. Was mich im ersten Moment aber wirklich innehalten ließ, war ein Bericht aus Seligenstadt. Die Emma Klinik, eine private Einrichtung in der Stadt, bietet Menschen mit einer verordneten Hüft-OP einen ganz besonderen Service. Anreisen, operieren, heimfahren – alles an einem Tag. Da ist als erster Gedanke durchaus die Frage erlaubt: Ist das wirklich ein Service im Patienteninteresse oder schadet das den frisch Operierten?
Operationen an der Hüfte sind heute häufig minimal-invasiv
Wo früher in einer offenen OP große Schnitte gesetzt werden mussten, hat sich inzwischen weitestgehend der minimal-invasive Eingriff durchgesetzt. Meine Patienten sprechen gern von der Schlüsselloch-OP und im Grunde trifft es das sehr gut: Der Chirurg muss nur eine kleine Öffnung schaffen und kann die notwendigen OP-Geräte über Sonden einführen. Mit maximal zwei Zentimetern Durchmesser ist ein Schnitt wirklich kaum größer als ein Schlüsselloch.
Der Fachbegriff „minimal-invasiv“ passt aus medizinischer Sicht besser, denn es muss wenig Gewebe verletzt werden, was das Risiko für operative und post-operative Komplikationen stark verkleinert. Dennoch muss bei der klassischen Hüft-OP Muskelgewebe zerschnitten werden, weswegen der Operierte nicht sofort aus dem Bett springen und nach Hause gehen kann. Was macht die Emma Klinik anders?
Die Idee zur „Same-Day-Operation“ kommt aus den Niederlanden Die Ärzte aus der deutschen Privatklinik folgen einem Vorbild aus den Niederlanden. Dort praktizieren Mediziner schon länger die sogenannte AMIS-Methode. Das Kürzel steht für „Anterior Minimal Invasive Surgery“ und soll die OP besonders muskelschonend gestalten. Daher können Operierte nach wenigen Stunden bereits wieder laufen und zeitnah die Klinik verlassen. Für eine Same-Day-Operation kommen natürlich nur Patienten infrage, deren Operation ein gut kalkulierbarer Standardeingriff ist und wo das minimal-invasive Vorgehen möglich ist.
Aber – und damit bin ich wieder bei meiner Eingangsfrage – ist das zum Patientenwohl?
Wie funktioniert AMIS?
Normalerweise wird bei einer minimal-invasiven Hüft-OP ein Zugang seitlich vom Hüftgelenk oder hinter dem Gelenk gewählt. AMIS nutzt für die Schlüsselloch-Operation aber das Areal vor dem Hüftgelenk. Dies macht einen großen Unterschied, denn für den Zugang müssen die oberen Muskelschichten am Knie nicht verletzt werden. Normalerweise ist das Einschneiden nicht vermeidbar, doch in dieser Position können die Muskeln nach dem Anschneiden der Muskelhülle einfach zur Seite geschoben werden. Nach der eigentlichen Operation muss der Chirurg daher nur den Schnitt durch die Haut und die Muskelhülle vernähen. Das verkürzt praktischerweise auch die OP-Dauer: 60 Minuten reichen dort, wo früher 180 Minuten die Norm waren.
Eine echte Revolution der Hüft-Operationen
Nachdem ich mich etwas eingehender mit AMIS beschäftigt habe, wundere ich mich ehrlich gesagt, dass noch nicht früher umgedacht wurde. Statt Muskeln zu verletzen, kann man sie sanft beiseite schieben und damit dem Patienten viel ersparen. Für Operierte selbst dürfte es das Schönste sein, sofort wieder in die eigenen vier Wände zu kommen, aber aus medizinischer Sicht kommen noch mehr Pluspunkte dazu:
Physiotherapeuten sind immer vor Ort
Durch AMIS bietet man Patienten also tatsächlich einen nicht zu verkennenden Service. Sowohl aus meinem Patienten- als auch Familienkreis kenne ich viele Menschen, die beim Thema Operation vor allem Angst vor den Übernachtungen im Krankenhaus haben. Sie möchten in Ruhe daheim genesen. Diesem Bedürfnis kommt die neue OP-Methode definitiv entgegen. Gleichzeitig muss niemand Angst haben, dass er „rausgeworfen“ wird und damit auf sich allein gestellt ist.
Die Privatklinik hat Physiotherapeuten vor Ort, die nach der Operation die sprichwörtlich ersten Schritte gemeinsam mit den frisch Operierten gehen. Das Gelenk erfährt also eine Belastung unter fachlicher Aufsicht. Das Entlassungsziel der Klinik: 300 Schritte flüssiges Gehen inklusive kurzes Treppensteigen. Nur wenn das funktioniert, wird der Patient entlassen.
Wichtig: Nach der Entlassung sollten Patienten unbedingt weiter an der Mobilisierung arbeiten. Auch wenn das von den Klinikärzten vor Ort geprägte Motto „Hip in a day“ prinzipiell funktioniert, werden alle Patienten darauf hingewiesen, dass sie in den kommenden Wochen eine klassische Physiotherapie benötigen. Nach der OP will das flüssige und selbstsichere Gehen trainiert werden. Diese Reha-Maßnahme gilt bei AMIS ebenso wie bei der klassischen minimal-invasiven Hüft-OP.
Quellen:
http://www.emma-klinik.de/fileadmin/content/Aktuelles/OP_16-04_Krieger_Dr.pdf
http://www.orthopaedicsurgeon.co.za/Anterior%20Minimal%20Invasive%20Surgery%20and%20Hip%20Replacement.html
http://www.drcakic.co.za/types-of-surgery/types-of-prosedures-amis/