Wie können Männer die Qualität ihrer Spermien verbessern? Mehr Nüsse essen? Das Handy lieber nicht in der Hosentasche tragen? Studien zum Thema Sperma werden im Wochentakt veröffentlicht. Die Aussagekraft solcher Arbeiten variiert extrem. Ein Fakten-Check.
Europäische Männer produzieren immer weniger Samen. Solche Schlagzeilen geistern aufgrund einer Arbeit von Hagai Levine durch das Web. Der israelische Epidemiologe fand heraus, dass sich die Spermienkonzentration der Männer aus den westlichen Nationen zwischen 1973 und 2011 um 59,3 Prozent verringert hat. Basis seiner Metaanalyse waren 185 Studien. Daran gibt es methodisch nichts zu meckern, nur die Relevanz bleibt fraglich. „Männer in den westlichen Industrienationen haben immer noch rund 47 Millionen Spermien je Milliliter Ejakulat“, kommentiert Prof. Dr. Stefan Schlatt, Direktor des Centrums für Reproduktionsmedizin am Universitätsklinikum Münster. „Das ist schon eine stolze Zahl; damit ist der Mann sehr fertil.“ Und Professor Dr. Christian Wülfing von der Deutschen Gesellschaft für Urologie sagt: „Ebenfalls berücksichtigt werden müssen das Alter der Männer sowie Erkrankungen, die sich auf die Spermien- und Ejakulatqualität auswirken können, darunter Hodenkrebs, Prostatakrebs oder Lageanomalien des Hodens.“ Sollten Männer keine Vorerkrankungen haben und trotzdem nicht die WHO-Referenzwerte für ihr Ejakulat erreichen, finden sie im Web eine Liste an Ratschlägen mit teils zweifelhafter Evidenz. Welche davon basieren jedoch auf wissenschaftlichen Fakten? Dies soll im Folgenden geklärt werden.
Viele verzichten für besseren Samen auf Alkohol oder Zigaretten. Andrew Povey von der University of Manchester wollte wissen, inwiefern sich diese Enthaltsamkeit auf die Qualität der Spermien auswirkt. Er rekrutierte 2.249 Männer aus 14 Fruchtbarkeitskliniken Großbritanniens und bat sie, detaillierte Fragebögen über ihren Lebensstil auszufüllen. 939 Männer in der Kohorte hatten eine geringe Anzahl vitaler Spermien, und weitere 1.310 Männer mit normalen Werten dienten als Kontrollgruppe. Schlechte Werte waren mit Hodenoperationen in der Vorgeschichte (Faktor 2,5), mit körperlich anstrengender Arbeit (1,3) oder engen Unterhosen (1,3) assoziiert. Überraschenderweise zeigten der BMI, Drogen, Tabak und Alkohol sowie das Gewicht, gemessen am Body-Mass-Index (BMI), kaum Effekte. „Dies könnte viele der aktuellen Ratschläge, die Männern zur Verbesserung ihrer Fruchtbarkeit gegeben werden, revidieren“, kommentiert Povey im Artikel wird Povey im Artikel zitiert. Laut Povey hat der Lebenstil, abgesehen von zu engen Unterhosen, also wenig Einfluss auf die Spermienqualität. Diese Argumentation hat gleich mehrere Schwächen: Kohortenstudien bilden nur Assoziationen ab und Fragebögen liefern zwar Informationen, diese sind aber nicht immer verlässlich. Tatsache ist: Männer, die Nikotin und Alkohol in hohen Mengen und regelmäßig konsumieren, gefährden die Gesundheit ihrer Spermien. Denn zu den Risikofaktoren einer Potenzstörung gehören bekanntlich unter anderem Nikotinabusus und Alkoholismus. Elizabeth Hatch von der Boston University School of Public Health dämpft die Freude über allzu große Exzesse zumindest teilweise: In einer prospektiven Kohortenstudie mit 1.045 Männern fand sie heraus, dass die Zeugungsfähigkeit durch regelmäßigen Softdrink-Konsum um bis zu 33 Prozent nach unten geht. Allerdings erfasste Hatch den Konsum nur per Fragebogen. Die Liste der angegebenen Getränke ist allerdings nicht allumfassend gewesen, gibt Hatch zu bedenken. So wurden etwa bei Sport-Drinks nur zwei Marken angegeben. Außerdem wurde nicht konkret genug nachgefragt, zum Beispiel war in der Liste von Tee die Rede, es wurde aber nicht zwischen gesüßten oder ungesüßten Tees unterschieden. Die Studienautoren können einen Bias nicht ausschließen.
Auch vor Hitze im unteren Bereich wird immer wieder gewarnt. Andrea Garolla von der Universität Padua hat bei Literaturrecherchen etliche Artikel mit methodischen Schwächen gefunden. Deshalb wollte er wissen, welchen Effekt hohe Temperaturen tatsächlich auf die Hoden haben. Er hat zehn Probanden mit normalem Spermatogramm zwei Saunagänge pro Woche bei 80 bis 90 °C verordnet, und zwar für jeweils 15 Minuten. Nach drei Monaten waren je nach biochemischem Marker nur noch 69 % bis 79 % der Spermien intakt. Zu diesen untersuchten Markern zählten etwa die Mitochondrienfunktion, die Chromatinkondensation (Verdichtung der DNA während der Mitose) und der Histon-Protamin-Austausch. Bei diesem Austausch ersetzen bestimmte stark basische Proteine (Protamine) während der Spermatogenese die Histone. Nach den drei Monaten stoppte Garolla alle Rosskuren. Weitere drei Monate später hatten alle Teilnehmer wieder normale Werte. Dass Laptops oder Sitzheizungen gesunden Männern nachhaltig schaden, mag also bezweifelt werden. Und das Kinderwunschzentrum Goldenes Kreuz Wien berichtet sogar von gegenläufigen Trends. Befragt wurden hier 997 Männern zu ihrem Lebensstil. 62 % aller Sitzheizungsnutzer hatten gegenüber 46 % aller Kälteliebhaber normale Spermatogramme. Das gibt zu denken, auch wenn es sich auch hier nur um Angaben aus Fragebögen handelt.
Vielen von uns sind Smartphones ebenfalls ein Dorn im Auge, die in Hodennähe ständig Signale abgeben. Ist das Tragen von Handys am Körper vielleicht schuld am schlechten Sperma? Laut Bundesamt für Strahlenschutz lautet die Antwort Nein. Es berichtet, dass „nach dem jetzigen Stand von Wissenschaft und Technik vom Mobilfunk keine gesundheitliche Gefahr ausgeht.“ Eine Studie der Universität Haifa mit 106 Männern überrascht deshalb: Wer mindestens eine Stunde pro Tag sprach oder sich beim Laden des Smartphones in der Nähe befand, hatte signifikant niedrigere Samenkonzentrationen als eine Vergleichsgruppe (60,9 % versus 35,7 % der Männer und 66,7 % versus 35,6 %). Erstautor Ariel Zilberlicht muss aber methodische Kritik einstecken. Seine Kohorte war relativ klein und das Nutzungsverhalten wurde – mal wieder – nur über Fragebögen erfasst. Ob weitere Einflussfaktoren wie Ernährung, Bewegung o.ä. eine Rolle gespielt haben, bleibt offen.
Was das Zusammenspiel von Geschlechtsverkehrs und Spermienqualität angeht, lesen Männer unterschiedliche Ratschläge: jeden Tag, jeden zweiten Tag, einmal die Woche – das wirft Fragen zur Sinnhaftigkeit auf. Sorena Keihani von der University of Utah School of Medicine, Salt Lake City, ging dieser Problematik anhand von 15.623 Daten aus einer Fruchtbarkeitsklinik nach. Bei Männern mit normalem Spermiogramm zu Studienbeginn vergrößerte sich das Ejakulationsvolumen von 2,7 ml bei maximal zwei Tagen Enthaltsamkeit auf 3,6 ml bei acht und mehr Tagen. Die Spermienzahl stieg pro Ejakulat von 122 auf 194 Millionen. Die Befunde bestätigt auch Ashok Agarwal vom American Center for Reproductive Medicine an der Cleveland Clinic. Er warnt Männer jedoch gleichzeitig vor Wartezeiten: In seiner Studie erhöhte sich der Anteil der Spermien mit DNA-Schäden von 10 % nach zwei Tagen auf 20 % nach elf Tagen. Qualität sei wichtiger als Quantität, fasst er im Artikel zusammen.
Und wie sieht’s mit Sport aus? Wenn wir joggen, dann am liebsten an der frischen Luft. Allerdings hält Xiang Qian Lao von der Chinese University of Hong Kong das in Großstädten für keine gute Idee. Zusammen mit Kollegen hat er Daten einer Kohorte mit mehr als 1,5 Millionen Männern im zeugungsfähigen Alter ausgewertet. Von 6.475 Teilnehmern standen Spermien zur Verfügung. Im nächsten Schritt erfasste Laos Team die Wohnorte ihrer Probanden und ermittelte aus Umweltmessungen Feinstaub-Konzentrationen (PM2,5). Tatsächlich war Feinstaub mit Auffälligkeiten im Spermiogramm assoziiert. Jeder Anstieg der Feinstaubbelastung um 5 µg/m3 war mit einem Rückgang von 1,29 Prozent der normal geformten Spermien assoziiert. Angesichts der Allgegenwart von PM2,5-Partikeln könne selbst eine kleine Effektgröße zu einer signifikanten Anzahl von Paaren mit Unfruchtbarkeit führen“, warnt Lao. Der Forscher hat außerdem bekannte Risikofaktoren wie das Alter, Bewegung, starkes Übergewicht oder Nikotin berücksichtigt. Eine Kausalität kann er mit der Kohortenstudie generell nicht belegen. Aber für begründete Warnungen reicht seine Veröffentlichung definitiv aus.
Werfen wir jetzt einen Blick auf Möglichkeiten, die Spermien zu tunen. Sport soll bekanntlich gegen fast jedes gesundheitliche Problem helfen. Auch unserem Samen schadet Bewegung sicher nicht? Das kommt darauf an: Entscheidend ist das Maß der Dinge. Zu intensives Training fragmentiert DNA in Spermien, berichtet Diana Vaamonde von der University of Cordoba, Spanien. Das kann Michael L. Eisenberg vom Departments of Urology and Obstetrics and Gynecology der Stanford University bestätigen. Er nahm 456 Männer mit einem Durchschnittsalter von 31,8 Jahren in eine prospektive Beobachtungsstudie auf. Nach einem Jahr hatten 13 Prozent aller Männer mit schwerer körperlicher Arbeit im Job zu wenige bewegliche Spermien für eine normale Zeugung. Bei reinen Büroarbeitern waren es nur 6,0 Prozent. Andere Faktoren wie Schichtarbeit, Nachtarbeit, Lärm, Hitze oder langes Sitzen hatten keinen Einfluss.
Vielleicht nehmen Sie ja außerdem noch ihre alte, aber heiß geliebte, Trinkflasche mit zum Training. Weg damit! Bisphenole unterschiedlicher chemischer Struktur als Weichmacher schaden männlichen Spermien. Das ist bei Bisphenol A (BPA) aus epidemiologischen Studien hinlänglich bekannt. Professor Dr. Gunther Wennemuth von der Universität Duisburg-Essen nimmt letzten Zweiflern den Wind aus ihren Segeln. Beim 68. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie hat er Daten zu den vermeintlich harmloseren Ersatzstoffen Bisphenol F (BPF) und Bisphenol S (BPS) vorgestellt. „Nachdem wir im Maus-Modell nachweisen konnten, dass BPA zu Veränderungen der Schlagfrequenz und der Signaltransduktion in Spermatozoen führt, haben wir nun den Einfluss von BPA, BPF und BPS auf humane Spermien untersucht“, schreibt Wennemuth. Anschließend versetzte er menschliche Ejakulate in vitro mit den Chemikalien. „Die Bisphenole A, F und S führen dosis- und zeitabhängig zu signifikanten Unterschieden im progressiven Schwimmverhalten der Spermien“, lautet sein Fazit. Aus Sicht der Reproduktionsmedizin sind alle Bisphenole schädlich. Daran bestehen keine Zweifel.
Behzad Hajizadeh Maleki von der Justus-Liebig-Universität Gießen verglich unterschiedlich intensive Trainingsprogramme. Die besten Resultate erzielten Teilnehmer mit 30 bis 55 Minuten Laufbandtraining an drei bis vier Tagen pro Woche bei 45 bis 55 Prozent der maximalen Sauerstoffkapazität. Ihr Ejakulat hatte um 8,3 Prozent mehr Volumen und eine um 14,1 Prozent höhere Spermienkonzentration pro Milliliter. Auch die Beweglichkeit schnitt um 12,4 Prozent besser ab, jeweils gemessen an einer Kontrollgruppe ohne Training. Intensivere Programme zeigten einen geringeren Benefit. Spätestens einen Monat nach Ende der Aktivität gingen alle Parameter wieder auf ein normales Maß zurück. Moderate Bewegung bleibt die beste Empfehlung, setzt man einen gesunden Lebensstil voraus.
Nach dem Training kommt der kleine Hunger. Albert Salas-Huetos von der Universitat Rovira i Virgili im spanischen Reus versucht, Männern mit beeinträchtigtem Sperma Ernährungstipps zu geben. Er rekrutuierte 119 gesunde junge Männer im Alter von 18 bis 35 Jahren für seine randomisierte kontrollierte Studie. Die Probanden erhielten täglich zusätzlich 60 g einer Mischung aus Mandeln, Haselnüssen und Walnüsse oder ernährten sich ohne die Ergänzung normal weiter. Nach 14 Wochen hatte sich bei Nuss-Konsumenten die Spermiengesamtzahl um 16 Prozent, der Anteil lebender Spermien um 4 Prozent, die Beweglichkeit um 6 Prozent und die Morphologie um 1 Prozent verbessert. Das ist gut, aber auch nicht überragend. Focus online etwa berichtete kürzlich mit dem Slogan „Dieser Snack verbessert ihr Sperma“ über die Studie. Angesichts der Werte ist diese Aussage doch etwas hochgegriffen. Gesunde Ernährung tut dem Körper zwar immer gut. Inwiefern sich allerdings im Speziellen der Konsum von Nüssen auf die Qualität der Spermien auswirkt, bleibt auch nach Veröffentlichung dieser Studie offen. Aus dem Abstract geht nicht hervor, ob beide Gruppen hinsichtlich ihres Lebensstils und hinsichtlich sonstiger Risikofaktoren vergleichbar waren. Weitere Schwächen: die fehlende Verblindung, die kleine Kohorte und die kurze Studiendauer. Nicht zuletzt kamen vom International Nut and Dried Food Council Fördergelder, was gewisse Interessenskonflikte zumindest möglich macht.
Einfach wäre es, wenn man nur Antioxidantien oder Mineralstoffe als Supplementation schlucken müsste, damit das Sperma gesund bleibt. Ob die Einnahme solcher Präparate tatsächlich sinnvoll ist, haben sich Autoren der Cochrane Collaboration gefragt. Sie fanden 48 randomisierte kontrollierte Studien mit 4.179 vermindert fruchtbaren Probanden. Die Arbeiten umfassten Zeiträume von drei bis 26 Wochen mit Follow-up von drei Wochen bis zu zwei Jahren. „Antioxidantien könnten bei der Behandlung von subfertilen Männern wirksam sein, aber die Ergebnisse waren inkonsistent“, heißt es im Review. Viele Arbeiten hätten methodische Schwächen aufgewiesen, vor allem durch zu wenige Teilnehmer oder durch zu kurze Zeiträume. Aus evidenzbasierter Sicht seien Nahrungsergänzungsmittel derzeit nicht zu empfehlen, lautet das Cochrane-Fazit.
In Anbetracht der genannten Studienergebnisse lassen sich folgende Ratschläge an Männer zusammenfassen: