Sowohl Ursachen als auch Therapiemöglichkeiten der erektilen Dysfunktion sind vielfältig und bedürfen einer individuellen Abklärung. Hier spielen persönliche Vorlieben des Patienten eine zentrale Rolle – diese muss man als Arzt bei der Behandlung unbedingt berücksichtigen.
„Ich möchte Ihnen heute Haengolin vorstellen, unser neues Präparat zur Behandlung der erektilen Dysfunktion“, erklärt der Pharmareferent freudestrahlend. „Es handelt sich um einen neuartigen PDE-5-Hemmer, der den Vorteil bietet, dass er einen genauso schnellen Wirkungseintritt hat wie Vardenafil, aber eine Wirkungsdauer wie Tadalafil.“
„Okay“, antworte ich. „Klingt interessant. Was muss ich zur Substanz wissen?“
„Das Nebenwirkungsspektrum ist ähnlich wie bei den anderen Präparaten, es ist also gut verträglich. In seltenen Fällen kann es allerdings zu einer endogenen Depression führen.“
„Ach.“
Der freundliche Vertreter nickt und ergänzt: „Dagegen haben wir aber Contradep im Programm, ein hervorragendes, sehr effektives Antidepressivum.“
„Und was hat das für Nebenwirkungen?“
„Nun ja, es führt in 50 % der Fälle zu einer erektilen Dysfunktion. Aber dagegen haben wir Haengolin entwickelt …“
(Die Person und alle neuen Namen wurden frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit tatsächlichen Präparaten, lebenden oder verstorbenen Personen ist beabsichtigt, aber reiner Zufall.)
Epidemiologie und Pathogenese
Eine organische erektile Dysfunktion (ED) tritt im höheren Erwachsenenalter häufig auf und geht nicht selten mit chronisch-degenerativen Erkrankungen einher. So klagen 30-50 % aller Diabetiker über eine ED, und bei 50 % der älteren Männer ist sie Folge einer Arteriosklerose oder arteriovenösen Schwellkörperinsuffizienz.
Zusätzlich können operative Eingriffe oder eine Strahlentherapie im Bereich des kleinen Beckens (radikale Prostatektomie, Rektumextirpation etc.) über eine Nervenläsion eine ED nach sich ziehen. Ferner gibt es eine starke Korrelation zwischen ED und Miktionsstörungen (LUTS = Lower Urinary Tract Symptoms): Über 70 % der Männer mit prostatischen Miktionsbeschwerden haben auch eine ED, wobei der genaue Pathomechanismus unklar ist. Auch bei jungen Männern mit einer primären oder längerfristigen Erektionsstörung sind organische Ursachen häufiger als eine rein psychologische Genese.
Risikofaktoren für eine ED sind neben dem Diabetes mellitus auch die arterielle Hypertonie, Rauchen, regelmäßiger Alkoholkonsum, metabolisches Syndrom, Hypogonadismus sowie die Einnahme bestimmter Medikamente (z.B. Betablocker, Antipressiva, Tranquilizer, Thiazide, LHRH-Analoga). So liegt die Prävalenz einer ED bei Patienten mit koronarer Gefäßerkrankung, Herzinsuffizienz oder peripherer arterieller Verschlusskrankheit signifikant höher als bei Gesunden.
Leitet man die Therapiebedürftigkeit von der Koinzidenz einer ED mit einem entsprechenden Leidensdruck ab, gibt es eine altersabhängige Zunahme der Behandlungsnotwendigkeit. Am Anfang der ED-Therapie stehen daher eine gründliche Anamnese, einschließlich einer Medikamentenanamnese und gegebenenfalls eine kardiovaskuläre Umfelddiagnostik.
„Es gibt doch diese Potenzpillen“
Herr D. ist 49 Jahre alt, hat einen Body Mass Index von 35, raucht etwa 20 Zigaretten am Tag, nimmt einen Angiotensin-II-Rezeptorantagonisten sowie ein Statin ein und leidet an einem Diabetes mellitus Typ II. Den Weg zu mir hat er gefunden, weil er seit einigen Monaten eine zunehmende Verschlechterung seiner Potenz beobachtet hat. Er hat eine zehn Jahre jüngere Frau und leidet sehr unter diesem Problem.
„Es gibt doch diese Potenzpillen“, sagt er. „Viagra und so. Die sollen doch sehr wirksam sein. Könnte ich das nicht einfach mal ausprobieren?“
„Im Prinzip schon“, antworte ich. „Aber ganz so einfach ist das nicht.“
„Wieso?“
Ich erkläre es ihm.
Ich habe Herrn D. zunächst einmal zum Kardiologen überwiesen. Dieser schickte ihn aufgrund eines pathologischen Belastungs-EKGs zur Herzkatheteruntersuchung mit dem Ergebnis einer koronaren 3-Gefäßerkrankung und der Implantation von Stents. Der Patient nimmt nun zusätzlich ASS und Clopidogrel ein, aber auch bei Bedarf einen PDE-5-Hemmer und ist darunter wieder potent.
Patienten mit metabolischem Syndrom (Adipositas, arterieller Hypertonie, Hyperlipidämie und Insulinresistenz) wie Herr D. leiden überdurchschnittlich häufig auch an einer ED. Dies ist ein klarer Hinweis darauf, dass vaskuläre Faktoren in diesen Fällen bei der Genese eine Rolle spielen. Eine Reihe von Studien konnte sogar belegen, dass das Vorliegen einer ED, ähnlich wie Rauchen, Hyperlipidämie oder familiäre Belastung ein unabhängiger Risikofaktor für kardiovaskuläre Ereignisse darstellt. So bestand in der Placebo-Gruppe des Prostate Cancer Prevention Trial bei 9.457 Männern, die älter als 57 Jahre waren, ein um 27 % erhöhtes Risiko für zukünftige kardiovaskuläre Erkrankungen, wenn eine ED jeglichen Schweregrades bestand.
Interessanterweise ist dabei eine penile Atherosklerose eher selten, häufiger und wahrscheinlich als ursächlich für die ED anzusehen ist dagegen eine Obstruktion in Höhe der Beckenarterien: Eine prospektive Sektionsstudie an 31 Männern, die im durchschnittlichen Alter von 68 Jahren verstorbenen waren, fand in 87,1 % eine Koronarsklerose sowie in 77,4 % auch eine Stenose der A. iliaca Interna, aber nur in 12,9 % eine Läsion im Bereich der penilen Arterien, wobei diese nur bei einem Mann isoliert war. Risikofaktor für eine penile Atherosklerose war ein Diabetes mellitus.
Zusammenfassend kann man sagen, dass eine ED die Frühmanifestation einer allgemeinen Gefäßkrankheit sein kann.
Diagnostik
Die Diagnostik der ED umfasst neben einer zielgerichteten klinischen Untersuchung auf penile Veränderungen, Prostataerkrankungen, klinische Zeichen eines Hypogonadismus und den kardiovaskulären sowie neurologischen Status die laborchemische Bestimmung des Nüchternblutzuckers (ggf. HbA-1C), Testosteronspiegels und SHBG auch spezielle urologische Untersuchungen wie den Schwellkörper-Injektionstest (SKIT) mit Duplexsonographie der penilen Gefäße. Fällt der SKIT normal aus, so liegt eine nichtvaskuläre (neurogene oder psychogene) ED vor.
Ist die penile Perfusion vor der Injektion normal, danach jedoch vermindert, so liegt eine Störung des arteriellen Zuflusses vor und eine Angiographie der Beckenarterien kann indiziert sein; ist sie in beiden Fällen pathologisch, so handelt es sich am ehesten um eine Störung des venösen Abflusses, und es sollte eine Kavernosographie erfolgen. Aber nicht jeder Patient braucht eine aufwendige Abklärung oder Therapie.
„Er wird einfach nicht von alleine wieder steif“
„Früher war alles anders!“
Der Patient, der dies mit Leidensmiene und einem unverkennbaren Unterton der Frustration sagt, sitzt vor mir in der Sprechstunde und ist gerade einmal 25 Jahre alt.
„Was war anders?“ will ich wissen.
„Alles“, seufzt der junge Mann. „Früher konnte ich nach dem Sex auch noch ein zweites oder manchmal sogar drittes Mal. Aber heutzutage kann ich mich nicht mehr richtig motivieren. Ich habe keine rechte Lust. Er wird einfach nicht von alleine wieder steif.“
„Hmmm.“ Alle möglichen Differentialdiagnosen zur erektilen Dysfunktion schießen durch meinen Kopf. „Wie häufig haben Sie denn so im Durchschnitt Geschlechtsverkehr?“
„Jeden zweiten Tag.“
„Achso.“ Das klingt eigentlich nicht nach einer ernsthaften Potenzstörung. „Und seit wann sind Sie mit Ihrer Freundin oder Frau schon zusammen?“
„Seit neun Jahren.“
Ich kratze mich nachdenklich am Kopf. „Und wie läuft das dann so ab? Ich meine, sitzen Sie abends vor dem Fernseher und plötzlich fällt Ihnen ein: ‚Du Schatz, gestern hatten wir keinen Sex. Heute ist es wieder soweit!‘?“
„Naja …“
„Und wenn Sie mal außer der Reihe Lust haben sollten?“ frage ich. „Denken Sie dann: Ach nein, wir hatten ja erst gestern Sex?“
Betretenes Schweigen.
„Könnte es vielleicht sein, dass in Ihrer Beziehung eine gewisse Routine herrscht, dass es ein wenig an Spontanität fehlt?“
Der junge Mann schaut mich nachdenklich an: „Ich weiß nicht. Vielleicht …“
Im Geiste blase ich alle Untersuchungen ab, die ich eingangs erwogen hatte.
„Vertrauen Sie mir, bei Ihnen ist alles in Ordnung. Gehen Sie doch entspannter an die Sache heran. Und haben Sie Sex, wenn Ihnen beiden danach ist. Es ist völlig normal, eine Zeit lang keinen Sex zu haben. Bestimmt klappt es dann auch wieder besser.“
Der Patient wirkt sichtlich erleichtert, als habe er nur von jemandem hören wollen, dass mit ihm alles okay ist. Er lächelt.
„Vielen Dank, Herr Doktor.“
„Keine Ursache.“
Und dann wäre da noch die situative erektile Dysfunktion, die ebenfalls keiner weiteren Abklärung bedarf. Eine medikamentöse Therapie kann aber hilfreich sein. Die Funktionsstörung tritt nur in bestimmten Situationen, bei bestimmten Partnern oder bestimmten Arten der Stimulation auf. Situativ auftretende Funktionsstörung können auf eine Unzufriedenheit mit der Qualität der Beziehung zum Partner hinweisen.
„Herr Doktor, in letzter Zeit habe ich gelegentlich Probleme mit der Erektion.“ erklärt mir Herr K., ein vital wirkender, braun gebrannter Mittfünfziger, der ansonsten kerngesund ist.
„Wie meinen Sie das?“ erkundige ich mich.
„Nun, in bestimmten Situationen bekomme ich ihn einfach nicht hoch.“
„Und wann tritt das Problem auf?“
„Immer wenn meine Frau mit mir schlafen will. Mit meiner Freundin klappt alles wunderbar.“
Therapiemöglichkeiten
Grundsätzlich kann man die Therapie der ED in konservative, nicht- oder semiinvasive und operative Maßnahmen einteilen, wobei die konservativen Therapien psychologisch-verhaltenstherapeutische Methoden, medikamentöse Therapieversuche und externe Erektionshilfen umfassen.
Eine hormonelle Therapie (Testosteron-Substitution) sollte grundsätzlich Patienten mit nachgewiesenem Androgendefizit (Serumtestosteronspiegel < 12 nmol/l) vorbehalten bleiben. Dabei ist zu beachten, dass der Testosteronspiegel einen zirkadianen Rhythmus mit Schwankungen um bis zu 30% aufweist und daher am Morgen bestimmt werden sollte. Die Substitution kann oral, transdermal (Pflaster, Gel) oder parenteral (i.m.-Injektion) erfolgen.
Die am weitesten verbreitete medikamentöse Therapie ist sicherlich die Gabe von PDE-5-Hemmern, wobei in Deutschland vier Substanzen verfügbar sind: Sildenafil (Viagra), Tadalafil (Cialis), Vardenafil (Levitra) und Avanafil (Spedra), welche sich in erster Linie in ihrer Phramakokinetik unterscheiden.
Ein Teil des physiologischen Prozesses der Erektion beinhaltet die Freisetzung von Stickstoffmonoxid (NO) im Corpus cavernosum, welches das Enzym Guanylatzyklase aktiviert, welches dann die Ausschüttung von zyklischem Guanosinmonophasphat (cGMP) erhöht und so wird eine Relaxation der glatten Muskulatur des Schwellkörpers ausgelöst, so dass das Einströmen von Blut und damit die Erektion ermöglicht. PDE-5-Hemmer vermindern die Abbaurate von cGMP, erhöhen den Spiegeln von cGMP im Corpus cavernosum und führen so zu einer verstärkten Erektion. Voraussetzung hierfür ist jedoch eine sexuelle Stimulation und somit die Aktivierung des NO/cGMP-Systems.
Jeder Patient braucht etwas anderes
Trotz des identischen Wirkmechanismus sprechen individuelle Patienten unterschiedlich auf die einzelnen Präparate an, sodass bei Non-Respondern neben einer Dosiseskalation auch ein Substanzwechsel versucht werden kann. Diese Medikamente sollten jedoch nicht unkritisch verordnet werden. Insbesondere sollten sie nicht bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung, die Nitrate einnehmen, zur Anwendung kommen, da es durch Wechselwirkungen so einer dramatischen Blutdrucksenkung kommen kann.
Die Wahl des Wirkstoffes hängt ansonsten von der gewünschten Wirkung ab. Patienten, die mehr spontanen Sex bevorzugen, sind mit Vardenafil, welches einen relativ raschen Wirkungseintritt mit einer kürzeren Wirkdauer verbindet, besser bedient, während Tadalafil länger bis zum maximalen Wirkstoffspiegel braucht, dafür aber länger wirkt (24-36 Stunden); zusätzlich bietet die tägliche Einnahme von 5 mg die Möglichkeit einer Erhaltungstherapie. Sildenafil und Avanafil liegen diesbezüglich dazwischen.
Bei Patienten, die nicht auf PDE-5-Hemmer ansprechen, was vor allem bei einer neurogenen ED (z.B. nach radikaler Prostatektomie) der Fall ist, kann im nächsten Schritt eine topische/transurethrale (MUSE) oder intrakavernöse (Schwellkörperautoinjektionstherapie = SKAT) Therapie mit Prostaglandin E1 zum Einsatz kommen.
Die Substanz führt unabhängig von einem sexuellen Stimulus zu einer Zunahme der Schwellkörperperfusion und so zu einer künstlichen Erektion. Wichtig ist, dass eine individuelle Dosisfindung mit schrittweiser Dosiseskalation erfolgen sollte, da bei Überdosierung ein Priapismus droht. Gravierendste Spätfolge der SKAT kann eine generalisierte Schwellkörperfibrose sein. Die Akzeptanz dieser Therapie ist überraschend gut (ca. 80 %), auch wenn es nicht jedermanns Sache ist, sich eine Spritze in den Penis zu setzen.
Wie Vakuumsysteme funktionieren
Externe Erektionshilfen (Vakuumsysteme) funktionieren nach dem Prinzip der Restriktion des venösen Abflusses durch Kompression der Penisbasis durch einen Silikonring in Kombination mit einer passiven Blutfüllung des Schwellkörpers durch Erzeugung eines Unterdrucks. Wesentlicher Vorteil dieser Methode ist die weitgehende Komplikationsfreiheit auch bei Langzeitanwendung.
Nachteil ist eine sich von einer physiologischen deutlich unterscheidende Erektion: Die Rigidität ist nicht immer zufriedenstellend, und der Penis bleibt unterhalb des Ringes schlaff. Auch können petechiale Einblutungen der Penishaut, Parästhesien und ein Stauungsödeme ausgelöst werden. Die Akzeptanz solcher Vakuumerektionshilfen ist sehr unterschiedlich. Während in den USA eine Akzeptanz von bis zu 85% angegeben wird, liegt sie in Deutschland deutlich geringer. Eine solche Pumpe ist als Medizinprodukt verhältnismäßig teuer. Allerdings gibt es ähnlich funktionierende Systeme zur angeblichen Penisvergrößerung auch im Sexshop, dort deutlich günstiger.
OP als letzte Maßnahme
Operative Maßnahmen sollten die ultima Ratio sein. Venöse Sperroperationen und Revaskularisierungen sind nur in ausgewählten Einzelfällen indiziert. Da venöse Eingriffe rein symptomorientiert funktionieren, die eigentliche Ursache jedoch nicht beheben können, ist ihre Wirkung häufig zeitlich begrenzt. Die Implantation einer Schwellkörperprothese ist eine Therapiemöglichkeit für Patienten, die auf andere Behandlungsmöglichkeiten nicht ansprechen oder diese grundsätzlich ablehnen. Dabei ist zu bedenken, dass dieser Schritt unumkehrbar ist, da das Corpus cavernosum bei diesem Eingriff irreparabel geschädigt wird.
Die Zuverlässigkeit solcher in der Regel hydraulischen Systeme ist heutzutage so gut, dass mechanische Defekte in den ersten zehn Jahren nur selten auftreten. Die schwerste Komplikation stellen Infektionen dar, welche bei Primäreingriffen in 2-4% der Fälle auftreten. Die Akzeptanz ist bei korrekter Indikationsstellung sowohl beim Patienten als auch den Sexualpartnern hoch, wenn beide über die Möglichkeiten und Limitationen eines Implantates aufgeklärt sind.
Bei den meisten Patienten mit ED sind die Therapiekosten nicht erstattungsfähig, sondern müssen privat getragen werden, da die Krankenkassen dies als Lifestyle-Behandlungen ansehen. Man muss es sich also auch leisten können. Ausnahme stellt vor allem die postoperative ED dar.
Zusammenfassend sollten der betriebene diagnostische und therapeutische Aufwand im Dialog mit dem Patienten geplant werden und nur das gemacht werden, was der Patient in Abhängigkeit von seinem Leidensdruck auch wirklich will.