Ende Mai 2017 bekam der Weltärztebund für diese Schlagzeile weltweite Aufmerksamkeit: Warnung vor steigender Gewalt gegenüber Ärzten. Immer wieder kommt es demnach zu verbalen und körperlichen Attacken der Patienten oder deren Angehörigen auf die Ärzteschaft. Auch in Europa und den USA nehmen die Fälle zu.
Die Vorstandsvorsitzende der Weltärztebund (WMA), Dr. Ardis Hoven, plädiert dafür, diese Übergiffe ernst zu nehmen. Auf der einen Seite fordert sie, Gesundheitseinrichtungen besser zu schützen und auch Waffen, wie Schusswaffen oder Messer, in Krankenhäusern zu verbieten. Ebenso müsse die rechtliche Situation der Mitarbeiter verbessert werden. Das Niveau des Rechtsschutzes sollte zumindest auf dasselbe Maß, das für Sicherheits- und Strafverfolgungsbeamte gilt, angehoben werden.
So toll sich diese Forderungen auf den ersten Blick auch anhören mögen, kommen sie vielleicht trotzdem nicht über das Stadium des Aktionismus hinaus. Zu wenig ist über die Auslöser von derart übergriffigem Patientenverhalten bekannt. Außerdem scheint die Frage, wie Ärzte sich in solchen Situation schützen können, zunächst wohl wichtiger. Lassen sich drohende Übegriffe möglicherweise schon vorab erkennen und verhindern?
Deutschland: Auch Hausärzte erfahren Gewalt
In Deutschland sind Situationen wie diese insbesondere in sozialen Brennpunkten tendenziell häufiger anzutreffen als andernorts. Generell sind von dem Problem aber nicht nur Krankenhäuser betroffen, auch Hausärzte berichten von Gewalterfahrungen seitens ihrer Patienten, wie eine Befragungsstudie, die 2015 im Deutschen Ärzteblatt publiziert wurde, verdeutlichte.
Vorderwülbecke und Kollegen verschickten im Rahmen ihrer Studie bundesweit 1.500 Fragebögen an zufällig ausgewählte Fachärzte für Allgemeinmedizin. Die Bögen enthielten unter anderem Fragen zu Häufigkeit, Art, Schwere und Ort des erlebten aggressiven Verhaltens.
Sicherheitsempfinden in der eigenen Praxis
Ausgewertet wurden schließlich 831 Fragebögen, die folgende Ergebnisse lieferten:
Daraus lässt sich ablesen, dass Allgemeinmediziner sich auch hierzulande auf Gewalterfahrungen mit Patienten oder deren Angehörigen einstellen sollten. Bestandteil der medizinischen Aus- oder Weiterbildung ist dieser Aspekt allerdings in den seltensten Fällen. Andere Länder sind uns hier weit voraus. So gibt es beispielsweise in Australien seit 2009 ein spezielles Sicherheitsprogramm für Allgemeinmediziner. In Deutschland scheint das Problem hingegen noch nicht wirklich in der Öffentlichkeit angekommen zu sein. Wie also umgehen mit gewaltbereiten oder aggressiven Patienten?
Das Pfefferspray ist die schlechteste aller Lösungen
Der Berliner Spezialist für Gewaltprävention, Dr. Martin Eichhorn, sagte hierzu 2016 im Interview, dass das Pfefferspray sicher die ungeeignetste Möglichkeit ist, auf Gewalt im Praxisumfeld zu reagieren. Die größten Gefahren gehen dabei davon aus, über den Luftzug vom Spray getroffen oder vom aggressiven Patienten überwältigt und dann selbst eingesprüht zu werden.
Eichhorn führte weiter aus, dass beispielsweise in Berlin Rettungssanitäter, Polizeibeamte und Busfahrer spezielle Trainingsseminare erhalten. Buchungen erfolgen aber zunehmend auch durch Praxen und kleinere Praxiszentren. Krankenhäuser scheinen das Problem aber weitestgehend totzuschweigen, so der persönliche Eindruck des Berliner Spezialisten.
Empathie kann der Schlüssel sein
Mediziner sollten stets verinnerlichen, dass der Patient in seiner Situation nur einen Teil der Aggressionsgefahr darstellt. Oft ist es das ungeschickte Verhalten der Gesundheitsfachkräfte, das die angespannte Stimmung zusätzlich anheizt, so Eichhorn weiter. Außerdem fehle es häufig an genug Empathie, um die Gefühle eines Patienten in der gegenwärtigen Situation richtig einordnen zu können. „Ein Beispiel dafür ist Scham. Ein Patient kann sich durchaus im Arztgespräch für etwas schämen. Scham verursacht wiederum nicht selten Aggression, wenn sie nicht erkannt wird und die Situation fortbesteht“, sagt Eichhorn.
Verbaler Gewalt, so der Experte, könne nur durch eine deeskalierende Sprache begegnet werden. Gelingt es aber nicht, auf diese Weise Zugang zum Patienten zu erlangen, muss der Arzt den Zeitpunkt, bis sein Gegenüber ausrastet, präzise abschätzen – ein Ding der Unmöglichkeit, wenn man den Patienten nicht näher kennt und selbst bei näher bekannten Menschen schwierig.
Extremsituation: Was kann man tun?
Eichhorn schlägt in kritischen Situationen deshalb folgende Maßnahmen vor:
Dennoch schätzt Eichhorn die Situation hierzulande nicht so düster ein, wie sie in den Medien oft dargestellt wird. Schwere Gewalt Ärzten gegenüber ist in Deutschland noch immer ein seltenes Ereignis. Es geht vielmehr darum, mit dem Gefühl der Hilflosigkeit in einer solchen Situation klarzukommen und auf einen möglichen Fall vorbereitet zu sein. Denn wer vorbereitet ist, dem gelingt es eher, in einer Extremsituation entspannt zu bleiben. Schon die eigene Gelassenheit kann sich positiv auf die Lage auswirken und eine Eskalation verhindern.